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Das "Karpatenblatt"

© Repro: Tsp

Zeitungen für deutschsprachige Minderheiten: Putin, Polarkreis, Praktikanten

Vom "Karpatenblatt" zur "Moskauer Deutsche Zeitung": Wie sich Zeitungen für deutschsprachige Minderheiten in Osteuropa fit für die Zukunft machen.

Wenn die Journalistin Olga Silantieva in ihr Moskauer Büro in der Malaja Pirogowskaja 5 kommt, geht es recht übersichtlich zu. Sechs Redakteure arbeiten für die „Moskauer Deutsche Zeitung“. Alle14 Tage erscheint das Blatt für die deutschsprachige Minderheit in Russland. Heiliger Nikolaus, Deutsche Stiftungen in Moskau, russische Investments in Deutschland, Dortmunder Tänzer im Bolschoi-Ballett – die Themenlage ist übersichtlich und nicht gerade hyperaktuell. Aber Zeitungen wie die von Silantieva erfüllen einen wichtigen Zweck. Sie dienen der Selbstvergewisserung für die deutschsprachigen Minderheiten, werden aber auch als als mediale „Visitenkarte“ für auswärtige deutsche Kulturpoltik wahrgenommen. Das zeigte eine Medientagung der Deutschen Gesellschaft zu „Demokratie, Medien und Regionen im Wandel“ in der vergangenen Woche.

Gut zwei Dutzend Chefredakteure, Mitarbeiter und Medienvertreter aus dem osteuropäischen Raum kamen nach Berlin. Ihre Zeitungen tragen Titel wie „Baltikum-Blatt“,, „Allensteiner Nachrichten“ oder „Karpatenblatt“, und es ist schon recht überraschend und teilweise rührend zu hören, mit welchen Schwierigkeiten die Kollegen bei ihrer täglichen Arbeit zu kämpfen haben.

„Geht auch mal auf Facebook!“ Die "Moskauer Deutsche Zeitung"
„Geht auch mal auf Facebook!“ Die "Moskauer Deutsche Zeitung"

© Repro: Tsp

Von der Finanzierung angefangen (selten über den freien Markt, meistens über Kulturinstitute, Stiftungen und Verbände), über die Distribution (die „Moskauer Deutsche Zeitung“ wird in 500 Dörfer des Riesenreiches verschickt) bis hin zu Themenwahl, Zielgruppensuche und Strukturwandel.

Veränderungen in der politischen, gesellschaftlichen und medialen Landschaft stellen gerade auch die deutschsprachigen Medien im östlichen Europa vor Herausforderungen. Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift „Osteuropa“, wies darauf hin, dass die polnische Stadt Opole laut Regierungsbeschluss mehrere Gemeinden aus dem Umland zugeschlagen bekommen soll. Gerade die deutschen Minderheiten befürchten, ihre Rechte durch die Eingemeindung zu verlieren. Wer berichtet darüber? Und wer liest es?

Es braucht keine Fantasie, um zu erahnen, dass diese Gruppen bald kleiner werden

Derzeit leben noch rund 500 000 Deutsche in Ostmittel- und Südosteuropa, weiß Gerald Volkmer vom Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), die größten Gruppen in Polen (zwischen 148 000 und 350 000), Ungarn (132 000) und Rumänien (36 900). Etwa 40 000 verteilen sich auf Estland, Lettland, Litauen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina sowie Serbien.

In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion leben etwa 700 000 Menschen, die sich vor allem als Angehörige der deutschen Minderheiten in der Russischen Föderation (rund 400 000 bis 500 000), in Kasachstan (182 000) und in der Ukraine (33 000) bekennen. Rund 25 000 Deutschen verteilen sich auf Belarus, die Republik Moldau, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan.

Es braucht keine Fantasie, um zu erahnen, dass diese Gruppen bald kleiner werden. Die Nachfahren der Verstorbenen, sagt Alexander Bauknecht von den „Allensteiner Nachrichten“, steigen immer öfter aus dem Abonnement aus.

Da ist die „Moskauer Deutsche Zeitung“ mit ihrer 25 000er-Auflage noch gut aufgestellt. Die meisten anderen der deutschsprachigen Zeitungen im östlichen Europa werden im niedrigen vierstelligen Bereich vertrieben. Die „unabhängige Zeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur“ bringt 16 Seiten auf Deutsch und acht Seiten auf Russisch.

Das "Polenjournal"
Das "Polenjournal"

© Repro: Tsp

Die sechs Redakteure sind auf Beiträge und Impulse von freien Mitarbeitern angewiesen. „Wir wollen ein differenziertes Russland-Bild vermitteln“, sagt Olga Silantieva, „wir lieben Russland und versuchen, diese Liebe in der Zeitung zu zeigen.“ Dazu gehört auch Kritik am Präsidenten. Die jüngste Ausgabe bringt auf der ersten Seite ein Zitat vom Oppositionspolitiker Alexej Nawalnyi: „Ich bleibe dabei, dass Trägheit, Mangel an Initiative, Nichtstun unseren Journalismus eher ins Grab bringt als Putin.“

Bei allen unterschiedlichen regionalen Lagen, die „Hermannstädter Zeitung“ beispielsweise profitiert von reichlich Tourismus und Wirtschaft in Siebenbürgen – Olga Silantieva bringt das Grundproblem all dieser Zeitungen auf den Punkt: „Für uns geht es darum, neue Leserschaften zu gewinnen.“ Das geschehe zum einen über gelegentlichen Deutschunterricht in Schulen oder Kindergärten.

Welche Themen kommen gerade auch bei jungen Lesern an?

Oft bleibe das im Ansatz stecken, wie die Tagungsteilnehmer beklagen. Zum anderen müssten die Mitarbeiter verstärkt in die Sozialen Netzwerken gehen. Wie mit dem „Mind_Netz“, ein übergreifendes Social-Media-Projekt der Medien der deutschen Minderheiten, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (IfA). „Mind_Netz“ informiert und vernetzt deutsche Minderheiten und alle, die sich für eine alternative Sicht auf das aktuelle Zeitgeschehen in den osteuropäischen Ländern, die deutsche Sprache und Minderheiten interessieren. Die Redaktion scannt täglich mehr als 40 Onlinemedien, verbreitet sie auf Facebook, Twitter, YouTube.

Das scheint noch nicht überall in Osteuropa angekommen. Klar, die meisten dieser Zeitungen haben eigene Websites. „Neulich hatten wir eine Art Erweckungserlebnis durch einen Praktikanten“, sagt Olga Silantieva. Ausgeruhte Reportagen über eine Mammut-Bahnlinie am Polarkreis im Blatt sind schön und gut, aber das Praktikanten-Video über die Moskauer Metro wurde 60 000 Mal angeklickt. „Ihr müsst mehr auf Facebook arbeiten, das sage ich meinen Leuten immer“, so Silantieva.

Die Fragen an die Blattmacher in Moskau, Allenstein, Königsberg oder Temeswar unterscheiden sich also gar nicht so grundlegend von denen an Zeitungen und Magazine in Deutschland: Welche Themen kommen gerade auch bei jungen Lesern an? Wie erreiche ich die? Wie schaffen wir es, nicht nur in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft zu blicken? Vielleicht sogar in die Mehrheitsgesellschaft hinein. Geschichten über Brauchtum, Heimat, Muttertag, Verbandswesen und Folklore alleine, so stark sie der Selbstvergewisserung der deutschsprachigen Minderheiten dienen, helfen kaum weiter.

Zu einer der wichtigsten Aufgaben der Medien, insbesondere der Zeitungen der deutschen Minderheiten im östlichen Europa, zählt Historiker Gerald Volkmer: "Medien als Zukunftssicherung". Medien müssten vor allem die Jugendlichen innerhalb der Minderheit ansprechen, um ein Bekenntnis der Jugendlichen zur jeweiligen deutschen Minderheit attraktiv zu machen.

Viele Gäste der Medientagung sind sich allerdings nicht sicher, ob es ihre Zeitung im nächsten Jahr noch geben wird.

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