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Zu PAPIER gebracht: Die Welt am Lagerfeuer

Lagerfeuer frei! Früher versammelten sich die Menschen bei gefühlt weltbewegenden Ereignissen vor dem Radio.

Lagerfeuer frei! Früher versammelten sich die Menschen bei gefühlt weltbewegenden Ereignissen vor dem Radio. Herbert Zimmermanns Radiokommentar zum WM-Finale 1954 steht stellvertretend für die Wahrnehmung seiner Zeit. Ab den 60er Jahren folgte dann das Fernsehen: Ob „Rumble in the Jungle“, „Live Aid“, Mondlandung, Mauerfall oder Irakkrieg, das Lagerfeuer flackerte bei 50 oder 60 Hertz im Wohnzimmer. Und heute?

Als Mitte März im Vatikan nicht wieder schwarzer Dunst, sondern weißer Rauch aus dem Kamin strömte, dauerte es nur Sekunden. Dann war Twitter der Ort des Geschehens, an dem sich Gott und die Welt die Wartezeit auf des Rätsels Lösung verkürzten. Während Fernseh- und Radiomoderatoren das ewig wirkende Nichts in Rom irgendwie seriös klingend mit mehr oder minder wertvollen Informationsbröckchen überbrücken mussten. Auf Twitter nahm binnen Sekunden der Humor seinen Lauf: „Der Vorhang geht auf und es ist: ein neues iPhone!“, hieß es in mehreren Sprachen von gleich einigen Nutzern.

Twitter als der Plauschkanal zur biederen Ernsthaftigkeit des vatikanischen Spektakels und seiner massenmedialen Aufbereitung: Es verläuft ein Bruch zwischen dem Lagerfeuer auf dem ersten „Screen“, wie es die Medienzunft nun nennt, und dem zweiten – also Social Media. Das, was Twitter in solchen Momenten bietet, kann kein klassisches Medium: Die Nutzer verglichen die archaisch wirkenden Rituale der römischen Kirche mit ihrer Lebensrealität. Und das war kein Zeichen von Respektlosigkeit, sondern von echter Neugierde. „Instant messenging“ alter Schule, das sei das Glockengebimmel der katholischen Kirchen, schrieb einer, dem der Kölner Dom die Nachricht eines neuen Papstes kaum langsamer als das Internet übermittelte. „Vor Twitter war #Papst-Wahl nicht so lustig“, schrieb ein Berliner Fernsehjournalist.

Hier die klassischen Massenmedien, dort Twitter und Konsorten. Noch sind sie Parallelwelten, wobei die zweite von der ersten Medienvariante lebt. Doch auf die Dauer wird sich beides noch mehr vermischen. Kaum vorstellbar, wie es bei einem Kanzlerkandidatenduell mit einem Moderator Stefan Raab im Netz rauschen würde.

Eine besonders hübsche Variante der Papsterwartungswitze kam aus dem englischen Sprachraum. Dort wurde unter #reasonsthenewpopeislate wild und absurd spekuliert, warum es so lange dauere, bis der neue Papst auftauche: Der neue Papst müsse wohl noch fix Latein lernen, den vom weißen Rauch ausgelösten Feueralarm in der Sixtinischen Kapelle ausschalten oder die Stimmzettel müssten noch einmal nachgezählt werden. Das ist zwar vielleicht auch alles nicht so richtig lustig. Aber unterhaltsamer als die salbungsvollen Worte der offiziellen Kommentatoren, die bald darauf selbst das lateinische „Vater unser“ noch simultan dolmetschten, war es allemal.

Falk Steiner

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