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Europäisches Hier und Jetzt. 2019 versammelte die Doku „24h Europe – The Next Generation“ Protagonistinnen und Protagonisten aus 26 Staaten zu einem 24-Stunden-Puzzle. Entstanden ist eine europäische Erzählung, wie sie wohl nur Arte leisten kann.

© Arte

Zukunft des Kulturkanals Arte ist unsicher: „Wir sind besorgt“

Die Finanzierung von Arte in Frankreich wackelt. Gespräch mit Präsident Bruno Patino und Vizepräsident Peter Weber.

Lieber Herr Patino, lieber Herr Weber, müssen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer von Arte Sorgen um ihr Lieblingsprogramm machen?

PATINO: Peter Weber und ich arbeiten eng zusammen, um die Erfolgsgeschichte unseres Senders fortzuführen. Die Existenz von Arte steht nicht auf dem Spiel, wir sind aber besorgt um die unabhängige und stabile Finanzierung des Senders in Frankreich. Die Debatte über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Frankreich birgt drei Ungewissheiten: die Höhe des französischen Finanzierungsbeitrags, die Modalitäten seiner Ermittlung und die langfristige Planbarkeit der Finanzierung. Bisher ist es Arte stets gelungen, die Kreativität und Produktivität des Senders aufrechtzuerhalten. Effizienzanstrengungen und Einsparmöglichkeiten sind ausgeschöpft. Als deutsch-französisches Tandem setzen wir uns daher für eine bedarfsgerechte Finanzierung ein, die unserem redaktionellen Qualitätsanspruch und den europäischen Herausforderungen gerecht wird.

Betrachten wir die Finanzen des Kulturkanals mal genauer: Wer finanziert wie viel?

WEBER: Bevor ich genauer auf die Finanzierung von Arte eingehe, möchte ich zum besseren Verständnis kurz auf die Organisation und die europäische Struktur des Senders eingehen. Die Arte-Gruppe besteht aus drei Einheiten: Arte France, Arte Deutschland TV GmbH mit seinen Gesellschaftern ARD und ZDF und dem Hauptsitz Arte Geie in Straßburg.

Prinzipiell wird Arte zu 95 Prozent über den in Deutschland und Frankreich erhobenen Rundfunkbeitrag getragen. Die beiden Mitglieder Arte France und Arte Deutschland finanzieren gemeinsam und zu gleichen Teilen die Zentrale in Straßburg und liefern jeweils 40 Prozent der ausgestrahlten Programme. Die restlichen 20 Prozent kommen von der Straßburger Zentrale Arte Geie und den europäischen Partnersendern. Für die Untertitelung und Verbreitung der Programme im Rahmen unseres europäischen Angebots auf Englisch, Spanisch, Polnisch und Italienisch erhält Arte zudem Fördermittel von der EU. Wir möchten uns mit der Entwicklung und Verbreitung unseres mehrsprachigen Angebots an ein wachsendes Publikum von Europäerinnen und Europäer richten, um als europäische Kulturplattform einen wichtigen Beitrag zur Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit zu leisten.

Der Anteil von ARD und ZDF ist ja bis zum Ende der Beitragsperiode 2024 gesichert. Was lässt sich über die französische Seite sagen?

PATINO: Die französische Regierung hat angekündigt, den Rundfunkbeitrag rückwirkend ab Januar 2022 abzuschaffen. In Frankreich ist es so, dass die öffentlich-rechtlichen Medien mit dem Staat einen mehrjährigen Vertrag abschließen, in dem die Ziele und die zuzuweisenden Mittel festgelegt werden. Unser Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Eine finanzielle Planungssicherheit für die kommenden Jahre ist daher nach aktuellem Stand nicht gegeben. Selbstverständlich setzen wir uns dafür ein, dies zu ändern.

Ist Arte denn Bestandteil der laufenden Diskussionen in Frankreich, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk organisiert und finanziert werden soll? Präsident Macron will mit der Haushaltssteuer auch die Fernsehgebühr abschaffen, Linke und Gewerkschaften protestieren gegen diese Pläne.

PATINO: Wir haben die Entscheidungen der französischen Regierung zur Kenntnis genommen. Unsere Priorität liegt auf der Anerkennung des deutsch-französischen Sonderstatus. Dabei muss unsere Unabhängigkeit im Interesse des europäischen Publikums weiterhin gewährleistet bleiben. Wir sind davon überzeugt, dass Arte zu einem demokratischen öffentlichen Diskurs in Europa wesentlich beiträgt. In dieser Hinsicht leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Allgemeinheit!

Ist es überhaupt denkbar, dass Arte, dieses Prestigeprojekt deutsch-französischer Freundschaft, in Schieflage gerät?

PATINO: Das hoffe ich nicht! Ich bin davon überzeugt, dass die französische Regierung sich der Bedeutung und Wichtigkeit von Arte auch für die deutsch-französischen Beziehungen bewusst ist und diese nicht vernachlässigen wird. Dieses Jahr feiern wir unser 30-jähriges Bestehen und können stolz darauf sein, dass wir gewachsen und dabei unserem Versprechen von Qualität, Mut und Vielfalt treu geblieben sind. Im Laufe der Jahre waren wir immer wieder innovativ und haben uns an die Gewohnheiten der Zuschauerinnen und Zuschauer angepasst. So ist es uns gelungen, Nähe zum Publikum zu schaffen. Wenn ich den Weg betrachte, den wir seit der Gründung des Senders zurückgelegt haben, denke ich, dass wir bereits sehr viel erreicht haben. Viele Kreative gehen bereits bei Arte ein und aus, aber viele Talente gibt es noch zu entdecken und zu fördern.

WEBER: Arte ist ein deutsch-französisches Erfolgsprojekt, das in beiden Ländern seinen Platz gefunden hat und die europaweite Verbreitung vorantreibt. Dass dieses in der europäischen Medienlandschaft einzigartige Projekt in Schieflage geraten könnte, ist für mich undenkbar. Gleichwohl sind wir über die Entwicklungen und die Abschaffung des Rundfunkbeitrags in Frankreich sehr besorgt. Wie Sie wissen, ist Arte das Ergebnis der entstandenen deutsch-französischen und europäischen Geschichte zur Zeit des Mauerfalls und von Beginn an dem Ziel verpflichtet, die Menschen in Europa zu einem besseren gegenseitigen Verständnis zu bringen. Betrachtet man die geopolitische Lage in Europa, hatte dieser Auftrag von Arte, der in seinem zwischenstaatlichen Gründungsvertrag verankert ist, nie mehr Bedeutung als heute.

Arte selber gibt sich stabiler und selbstbewusster denn je, gerade wurden Assoziierungsverträge mit den öffentlich-rechtlichen Sendern RTVE in Spanien und LRT in Litauen geschlossen. Wie weit ist der Weg noch zum europäischen Kulturkanal?

PATINO: Wie Peter Weber sagt, scheint unser europäischer Auftrag in einer Zeit, in der unser Kontinent erneut von Kriegen heimgesucht wird, essentieller denn je zu sein. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, unsere europäische Dimension zu stärken. Seit seiner Gründung hat Arte ein breites Netzwerk von europäischen Partnern aufgebaut, darunter elf öffentlich-rechtliche Sender aus und zahlreiche Produzenten und kulturelle Einrichtungen. Arte ist auf seiner Plattform arte.tv bereits in sechs Sprachen verfügbar und erreicht somit 70 Prozent der Europäerinnen und Europäer in ihrer angestammten Sprache. Wir diskutieren derzeit mit der Europäischen Kommission, um die Referenz für ein europäisches Kulturlabel zu werden.

ZDFNeo produziert mit Filmschaffenden aus der Ukraine eine Instantserie. Was ist von Arte zu erwarten?

WEBER: Als europäische Kulturplattform ist es für Arte natürlich von besonderer Wichtigkeit, unserem Publikum aktuelle Entwicklungen in der Ukraine aber vor allem auch Hintergründe des Konflikts zu bieten. Seit Ende Februar ist der Krieg in der Ukraine daher in unserem Programm sehr präsent. Sowohl im TV, als auch in unserer Mediathek und auf unseren YouTube-Kanälen zeigen wir eine Mischung aus Info- und Hintergrunddokus sowie Kulturangeboten, wie zahlreiche Solidaritätskonzerte aus ganz Europa. Seit Anfang April stellen wir zudem online eine Auswahl an Programmen in ukrainischer und russischer Sprache zur Verfügung. In der Reihe „Ukraine: Der Krieg von innen – Ukrainische JournalistInnen berichten“ werfen wir beispielsweise einen authentischen Blick auf den Widerstand der Menschen gegen die russische Armee und den Alltag in den Kriegsgebieten.

Und das reicht das schon?

Für die zehnteilige Reihe „Tracks East“ stellt Arte sein Programm momentan für zehn Wochen lang um und räumt am Dienstagabend einen Sendeplatz frei. In dem Magazin, das auch auf arte.tv europaweit abrufbar ist – kommen osteuropäische JournalistInnen, Kulturschaffende und InfluencerInnen aus der Ukraine, aus Russland und dem Baltikum zu Wort, sprechen über ihre Perspektive auf den Osten, blicken aber auch kritisch auf den Westen. Ich erinnere zudem daran, dass Arte schon im November 2021 die erste Staffel der Serie „Diener des Volkes“ mit Wolodymyr Selenskyj zeigte. Seit Mai 2022 sind auch die zweite und dritte Staffel online verfügbar. Und am 28. Juli übertragen wir live auf Arte Concert das Konzert des „Ukrainian Freedom Orchestra“ aus Warschau, der Auftakt einer Welttour des Exil-Orchesters. Sie sehen, dass Arte mit seiner europäischen Ausrichtung einen aktiven Beitrag zum besseren Verstehen und Einordnen in diesen Krisenzeiten leisten möchte.

Das Interview führte Joachim Huber.

Bruno Patino, Präsident von Arte France, ist Präsident des Vorstands von Arte Geie.

Peter Weber, Justitiar des ZDF, ist Vize-Präsident des Vorstands von Arte Geie.

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