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Die Hoffnung, dass die Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender, hier der WDR-Rundfunkrat, die Zukunftsdebatte befördern, darf als gering gelten.

© WDR/Herby Sachs

Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Auftrag ohne Aussprache

Es reicht nicht, wenn die Gesellschaft den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur bezahlt. Sie muss beim Funktionsauftrag mitreden können.

Medienpolitisch ist viel geschehen in den vergangenen Tagen, zentrale, seit Jahren schwelende Konflikte scheinen mit der Einigung der Ministerpräsidenten über den Telemedienauftrag gelöst worden zu sein. Vorangegangen sind Verhandlungen zwischen ARD, ZDF und Deutschlandradio auf der einen und dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger auf der anderen Seite. Für die hart geführten und zuletzt seitens des BDZV polemisierenden Auseinandersetzungen um die Streitfrage der Presseähnlichkeit von öffentlich-rechtlichen Rundfunkangeboten im Netz soll es ebenso eine Lösung geben wie für die Sieben-Tage-Regel, also die Beschränkung der Verweildauer von Inhalten in Mediatheken.

Stimmen die Länderparlamente entsprechenden Änderungen des Rundfunkstaatsvertrages zu, könnten zentrale Streitpunkte beigelegt werden. Dies ist erst einmal eine gute Nachricht. Positiv ist sicher auch, dass die Nutzerinnen und Nutzer in Sachen der Verweildauer von öffentlich-rechtlichen Angeboten im Netz profitieren. Ungeklärt bleibt allerdings die Frage, wie die Ausweitung der Rechteverwertung der Kreativen der Film- und Fernsehbranche finanziert werden soll.

Anderes hört sich eher bedenklich an. In Streitfällen um die Frage der Presseähnlichkeit von Angeboten soll künftig eine paritätisch besetzte Schlichtungsstelle entscheiden und in Pattsituationen die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag geben. Es widerspräche dem Grundsatz der verfassungsrechtlich garantierten Programmautonomie, wenn wirtschaftlich agierende Interessengruppen über die Veröffentlichung eines öffentlich-rechtlichen Angebotes entscheiden oder auf diese Entscheidung erheblichen Einfluss nehmen würden.

Grundsätzlich sind Schlichtungsstellen gute Instrumente, um den Gang zu Gerichten zu vermeiden. In der Regel werden sie mit unabhängigen Sachverständigen besetzt. Will man in Streitfragen der Presseähnlichkeit von Angeboten eine Schlichtungsstelle installieren, dann müssten ihre Besetzung und das Entscheidungsverfahren den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Rundfunkregulierung folgen.

Wer darf sich im Mediensystem durchsetzen?

Neben diesen ersten Gedanken zu den bislang verlautbarten Verhandlungsergebnissen stellt sich zuerst die Grundsatzfrage: Wollen wir ein medienpolitisches System, in dem sich die einflussreichsten Meinungsmacher, die wirtschaftlich potentesten Akteure oder diejenigen, die ihre Interessen am lautesten artikulieren, durchsetzen? Dies liefe dem Grundgedanken der parlamentarischen Demokratie zuwider.

Aushandlungsprozesse sind nur ein Instrument, um Lösungswege zu erarbeiten, sie dürfen nicht das letzte Wort sein. Wo bleiben die Interessen der schwächeren Akteure oder derjenigen, die nicht lautstark lobbyieren oder populistisch ihre Muskeln spielen lassen? Ganz zu schweigen von den gesellschaftlichen Interessen und denen der Nutzerinnen und Nutzer, die das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem mit ihren Beiträfen finanzieren. Sie bleiben wie bisher nur Zaungäste bei der Rundfunkregulierung.

Von 1987 bis heute zählen wir 21 Rundfunkänderungsstaatsverträge, deren Entstehen in zentralen Punkten durch Aushandlungsprozesse geformt wurden. Privilegierte Akteure der Medienbranche handeln gesetzgeberische Lösungen aus. Zu ihnen zählen regelmäßig die Veranstalter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Interessenvertreter des privaten Rundfunks sowie der Zeitungsverleger. Insofern sind die aktuellen Verhandlungen mit dem BDZV nichts Neues.

Die Verfahren zum Abschluss von Staatsverträgen sind, anders als die Gesetzgebungsverfahren im Bundestag und in Länderparlamenten, nur teilweise formal abgesichert. Infolgedessen haben sich Interaktionsprozesse eingespielt, die dem parlamentarischen Verfahren in den Parlamenten weit vorgelagert sind. Es ist dabei von außen kaum nachzuvollziehen, wie die Entscheidungsprozesse verlaufen, wer an Gesprächen oder Anhörungen teilnimmt.

Am Ende entscheiden zwar die Länderparlamente, allerdings sind die Rundfunkänderungsstaatsverträge dann bereits im Kreise der Ministerpräsidenten abgestimmt, sodass Veränderungen auf der Grundlage von öffentlichen Debatten die seltene Ausnahme sind. Der gegenwärtig so notwendige gesellschaftliche Diskurs über den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Digitalen, seine gesellschaftliche Funktion im demokratischen Meinungsbildungsprozess, wird öffentlich kaum geführt. Vielmehr reduziert sich die öffentliche Debatte sehr verkürzt auf die Frage der Höhe des Rundfunkbeitrages. Die Problemlagen haben sich seit Einführung des dualen Rundfunks grundsätzlich verändert. Die Notwendigkeit eines öffentlich finanzierten Rundfunks wird verstärkt angezweifelt, auch von Nutzerinnen und Nutzern. Damit sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit einer starken Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger im digitalen Zeitalter entwickeln kann, bedarf es einer inhaltlichen Debatte, bei der es um die gesellschaftliche Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehen muss. Diese ist längst überfällig.

Komplexe Prozesse brauchen robuste Verfahrensregeln

Hierzu könnte die Politik einen wesentlichen Beitrag leisten, wenn sie die Arbeitsweise der Rundfunkkommission der Länder überdenken und reformieren würde. Die komplexen Prozesse, die wir heute auf allen Ebenen der Politik und Gesetzgebung sehen, brauchen robuste und nachvollziehbare Verfahrensregeln. Dies gilt vor allem in dem gesellschaftlich relevanten Bereich der Rundfunkregulierung.

Dies bedeutet, dass nicht nur privilegierte Akteure an den Willensbildungsprozessen beteiligt werden. Auch reichen Expertenkommissionen nicht aus. Sie können bestenfalls den Weg bereiten, indem sie beispielsweise Konsultationsvorschläge erarbeiten. Als rechtlicher Bezugspunkt für einen gesellschaftlichen Diskurs könnte die Überarbeitung der Präambel des Rundfunkstaatsvertrages dienen. Sie enthält die wesentlichen Programmsätze des Rundfunkstaatsvertrages und umfasst die rundfunkpolitischen Zielsetzungen. Damit strahlt die Präambel auf alle weiteren Regelungen aus. Sie wurde allerdings seit 1987 nur einmal geändert und atmet damit durch und durch den Geist des analogen Zeitalters.

Nähme man sie ernst und brächte man ihre Leitsätze auf den Stand des digitalen Zeitalters mit seinen spezifischen Anforderungen, dann könnte die Präambel als komprimierter Gesellschaftsvertrag für das duale Rundfunksystem im digitalen Zeitalter dienen. Dazu reicht es bei Weitem nicht aus, wenn Interessen der Medienbranche zwischen einzelnen Akteuren ausgeglichen und befriedet werden. Vielmehr ist eine Zeitenwende in der Rundfunkregulierung überfällig: Die Ausgestaltung des Funktionsauftrages des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter muss auf eine breite gesellschaftliche Basis gestellt werden.

Frauke Gerlach ist Direktorin des Grimme-Instituts. Bisher erschienen: Patricia Schlesinger (15. April), Hans Demmel (25. April), Christoph Palmer (7. Mai), Rainer Robra (11. Mai), Norbert Schneider (21. Mai), Tabea Rößner (25. Mai), Thomas Bellut (10. Juni)

Frauke Gerlach

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