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Internet, Internet, Internet: Leuchtschilder weisen den Teilnehmern der „re:publica“ im Berliner Friedrichstadtpalast den rechten Weg.

© dpa

Zwischenbilanz re:publica 11: Mehr als nur ein Internet

Eine Welt aus Pixeln ist mehr als eine Welt aus Pixeln. Die "Facebook Revolution" war wirklich eine. Und die "Digitale Gesellschaft" steht in der Kritik der digitalen Gesellschaft. Nach der Hälfte der "re:publica" ist eines klar: Ein Relevanzproblem hat die Veranstaltung in diesem Jahr nicht.

Die kleinen, mal roten, mal blauen oder gelben Pixel erscheinen zunächst an einem der Ränder der großen Leinwand. Von dort wandern sie in deren Mitte, wo sie sich mit anderen Punkten der gleichen Farbe zu Kontinenten im ozeanblauen Meer vereinigen, die immer größer werden, schließlich ineinander wachsen. In jeder Vortragspause entsteht so auf einer Leinwand im Friedrichstadtpalast die „re:publica“-Welt, oder zumindest ihr grafisches Abbild, gespeist aus den Twitter-Meldungen ihrer Teilnehmer. Der Mechanismus, der hinter dem eingängigen Symbol dieser Karte steht, ist so einfach wie raffiniert. Am Einlass wurde jeder Besucher einer der drei Farben zugeordnet. Indem er ein Farbkürzel sowie den Verweis „#rp11“ in einer Twitter-Nachricht gebraucht, beamt er ein entsprechendes Pixel auf die Leinwand.

Doch was ist nun Inhalt dieser mehr als doppelbödigen Metapher? Was ist nun, abseits einer hübschen Grafik, diese „re:publica“-Welt? Die Avantgarde eines immer wichtigeren Bereiches der Gesellschaft? Oder doch die Enklave einiger Nerds? Fragen, die sich auch die reichlich versammelten Netzbürger der fünften Auflage der Netzweltkonferenz immer wieder stellen lassen müssen – und dies auch bereitwillig tun. Als Ex-Wikileaks-Mitglied Daniel Domscheit-Berg bei der Vorstellung seiner neuen Enthüllungsplattform openleaks.org am Donnerstag betont, dass Informationen, um von der Gesellschaft richtig verstanden zu werden, eines Kontextes bedürfen, der definitiv nicht allein über das Internet zu schaffen sei, bekommt er Applaus. Als Deutschlands bekanntester Irokesenschnittträger Sascha Lobo bei einem Vortrag am Abend zuvor in einer einleitenden Publikumsbeschimpfung der versammelten Netzgemeinde mitteilt, sie habe darin versagt, die digitale Gesellschaft zu prägen und nach außen zu kommunizieren, quittiert diese das mit einem verständnisinnigen Johlen.

Dass Lobo und vielleicht noch Domscheit-Berg die einzig bekannten Gesichter außerhalb dieser Parallelwelt sind, tritt bei dieser „re:publica“ jedoch fast ein wenig in den Hintergrund. Das aus den Vorjahren bekannte Relevanzproblem einer Tagung, die sich zwar nicht mehr ausschließlich mit Blogs, jedoch weiterhin „nur“ mit dem Internet, seinen Autoren und Phänomenen beschäftigt, scheint spätestens seit den „Facebook Revolutionen“ in der arabischen Welt erledigt. „Natürlich war das Internet entscheidend für die ägyptische Revolution“, ruft die bahrainische Bloggerin Amira Al Hussaini am Mittwochnachmittag den Zuhörern einer Diskussion über die gesellschaftliche Funktion sozialer Medien zu. „Das Internet war und ist ein Fenster der Freiheit“, ergänzt am nächsten Morgen anlässlich eines anderen Vortrags der arabischstämmige Journalist Zahi Alawi – unter dem einvernehmlichen Nicken seiner deutschen Zuhörer. Viel Applaus erhält auch der Mathematiker und Philosoph Gunter Dueck, als er im vollbesetzten Friedrichstadtpalast eine Wissenswende einfordert. Der Gedanke ist so einleuchtend, wie er die gesellschaftliche Relevanz von Webstrukturen hervorkehrt: In ihnen, so Duecks These, steht nicht mehr der Mensch als Wissensspeicher und Empfehlsempfänger im Mittelpunkt, sondern als professioneller, selbst lernender und prozessierender und vor allem: glücklicher Agent der ihn umgebenden Kontexte. Als Dueck bei einem anschließenden Podium noch im Beisein einiger Lehrer die bildungspolitischen Konsequenzen dieser anders agierenden Netzbürgerschaft vorstellt (weg vom statischen Wissen, hin zur Beherrschung der Kontexte), wird deutlich, als was die "re:publica" im besten Fall funktionieren kann: als Erklärer und Impulsgeber für eine medial veränderte Gesellschaft, auch außerhalb des Netzes.

Dass es in dieser Erklär- und Kommunikationsmatrix auch Konflikte gibt, erscheint da nur konsequent - denn die Gruppe der Netzaffinen ist eben, auch das wird bei dieser "re:publica" deutlich, kein monolithischer und konzertiert agierender Lobbyverband. Im Gegenteil: Viele wollen gerade das nicht. Der Vorstoß des Netzpolitik-Bloggers und „re:publica“-Mitorganisators Markus Beckedahl, der bei der Eröffnung die Gründung einer „Digitalen Gesellschaft“ verkündete, die – ähnlich Greenpeace bei ökologischen Themen – als Plattform für Kampagnen mit netzpolitischen Themen wie etwa Datenschutz und Urheberrecht, löst in der Szene nur wenig Begeisterung aus. „Es braucht strahlende Organisationen, aber irgendwie klappt das nicht, weil die Leute dann doch irgendwie doof sind“, sagt Sascha Lobo. So sei für ihn auch bei der neuen „Digitalen Gesellschaft“ nicht erkennbar, wer genau da was auf welche Weise erreichen wolle. Auch Andreas Baum, Berliner Spitzenkandidat der Piratenpartei, begrüßt das Projekt nicht uneingeschränkt: „Im Moment ist noch unklar, wer dort in welcher Form beteiligt ist und was entscheidet. Da würde ich mir noch mehr Aufklärung wünschen.“

Nach einem Vortrag am Donnerstagnachmittag just über die "Digitale Gesellschaft" muss sich Beckedahl dann auch von Angesicht zu Angesicht viele kritische Fragen gefallen lassen. Der Plan, mit einer bewusst gering gehaltenen Zahl stimmberechtigter Vereinsmitglieder jene endlos zerfasernden Diskussionsprozesse auszuklammern, die dem Netz eigen sind, um es vor regulierenden Zugriffen und privatwirtschaftlichen Interessen zu schützen, erhält nur mäßigen Applaus. Beckedahls dünnhäutige Verweise darauf, dass man die Aktion in der eigenen Freizeit durchführe (und darum eh machen könne, was man wolle) und eben keine Partei geschaffen habe, um handlungsfähig zu sein, scheinen den Graben nur noch zu vertiefen. Das Netz, das wird an diesem Nachmittag deutlich, lässt sich auch von denen, die es schützen wollen, nicht ordnen. Die Pixel streben nur dann zueinander, wenn die Menschen dahinter es auch wirklich wollen. Der Versuch, einen Kontinent auszurufen, anstatt ihn sich aus unzähligen Partikeln bilden zu lassen, zumindest auf dieser "re:publica" scheint er nicht aufzugehen.

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