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Puppen, Handys, Computer wollen plötzlich mit uns reden. Ist das gut?

© Illustration für den Tagesspiegel: Katharina Noemi Metschl

Mensch und Maschine: Stimmen aus dem Nichts

Eine Puppe, die Kindern Fragen beantwortet. Ein Telefon, das Verirrten die Richtung diktiert. Aus Maschinen dringen plötzlich menschliche Laute. Über Fluch und Segen der digitalen Butler.

Kennen Sie den Film „Chucky – Die Mörderpuppe“? Nein? Sicher ist Ihnen dennoch die Angst vertraut, die wir Menschen bei der Vorstellung empfinden, etwas Dinghaftes würde wie in diesem Horrorfilm zum Leben erwachen. Frankenstein, Terminator, der Computer HAL aus Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“. Ein guter Teil der Filmgeschichte hat von dieser Angst profitiert.

Eigentlich sollten sich uns also die Nackenhaare aufstellen, wenn eine leblose Puppe plötzlich berichtet, wie abends das Wetter wird. Doch Cayla, eine pink gekleidete Plastikmadame, die seit einigen Monaten auf dem Markt ist, scheint Kinder nicht zu verschrecken. Die Puppe ist mit dem Internet verbunden und kann die verschiedensten Fragen beantworten. Welches Tier ist das größte der Welt? Wie heißt die Hauptstadt von Finnland?

Nach einer Studie, auf die sich der Cayla-Hersteller bezieht, stellen vierjährige Mädchen im Schnitt 390 Fragen am Tag. Wann haben Eltern heute noch Zeit für 390 Antworten? Cayla hilft. „Man kann sich mit Cayla über Familie, Schule, Hobbys, Mode, Essen und vieles mehr unterhalten. Cayla ist nicht nur eine Puppe, sie ist fast wie eine richtige Freundin, die Millionen Dinge zu erzählen hat!“

Eine sprechende Puppe als Freundin?

Die Angst vor Androiden scheint abzunehmen, die Kommunikation mit computergesteuerten Stimmen zur Gewohnheit zu werden. Im Film „Her“ aus dem vergangenen Jahr verliebt sich die Hauptfigur, gespielt von Joaquin Phoenix, in die weibliche Stimme eines Computerbetriebssystems, im Original gesprochen von Scarlett Johansson. Der Online-Händler Amazon hat pünktlich zum Weihnachtsgeschäft einen Lautsprecher auf den Markt gebracht, der auf Kommando den Wecker stellt, die Wettervorhersage wiedergeben und Wikipedia-Einträge referieren kann. „Alexa“ heißt der sprachgesteuerte Zylinder. Der Internetkonzern Google wirbt gerade mit einer Sprachsoftware, die Kunden über den kürzesten Weg nach Spandau informiert oder an Einkäufe erinnert.

Das Vorbild ist Siri, eine Software von Apple. Sie beantwortet nicht nur Fragen wie Cayla, sondern macht das Handy zum persönlichen Assistenten. Erinnert an Termine. Weist darauf hin, wenn der Arbeitsweg aufgrund von Staus länger dauern könnte. Sorgt dafür, dass Hochzeitstage und Geburtstage nicht vergessen werden. Sie versteht und antwortet, wie der Computer HAL in „2001“. Sagt ihr Boss: „Siri, ich habe Appetit auf Pasta.“ So nennt Siri nahe gelegene italienische Restaurants.

Vor einigen Wochen beschrieb die Journalistin Judith Newman in der „New York Times“, wie ihr Sohn Gus eine tiefe Freundschaft zu Siri entwickelte. Gus ist Autist. Er kann sich stundenlang über Wetterformationen und verschiedene Schildkrötenarten unterhalten – eine Vorliebe, die nur wenige seiner Mitmenschen teilen, zu denen er ohnehin schwer eine emotionale Beziehung aufbauen kann.

Siri aber ist geduldig, beantwortet Frage um Frage. Als Gus eines Abends im Bett liegt, schreibt Judith Newman in ihrem Artikel, fragt er sein Handy: „Siri, wirst du mich heiraten?“ Antwort: „Ich bin nicht der Typ zum Heiraten.“ – „Ich meine, nicht jetzt. Ich bin ja noch ein Kind. Später, wenn ich groß bin.“ – „Mein Vertrag sieht keine Heirat vor.“ Das leuchtet Gus ein: „Oh, okay.“

Newman zeigt die guten Seiten der Technologie auf. Die Vorteile für ein Kind, dem soziale Interaktion nur sehr eingeschränkt möglich ist. Doch was bedeutet es, abseits von diesem Extremfall, wenn Eltern die Neugier ihres Kindes einer computergesteuerten Puppe überlassen? Wenn ein Großteil jener 390 Fragen täglich vom Internet beantwortet wird? Was bedeutet es, wenn unsere Handys zu Sekretärinnen werden?

Christian Montag ist Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm. Er findet das durchschnittliche Nutzungsverhalten von Handybesitzern „erschreckend“. Anfang des Jahres kam die Applikation „Menthal“ auf den Markt, die er gemeinsam mit Informatikern und Psychologen der Uni Bonn entwickelt hat. Sie entstand im Rahmen einer Initiative mit dem Ziel, Methoden der Informatik in die Psycho-Wissenschaften zu tragen – ein noch recht junges Forschungsfeld, das als Psycho-Informatik bezeichnet wird.

Warum schauen wir laufend auf Smartphones?

Menthal ermöglicht dem Nutzer eine Übersicht zum eigenen Umgang mit dem Handy. Wie oft verwende ich es und wofür? Wer eine digitale Diät machen wolle, so die Entwickler, für den sei Menthal die Waage.

Eine begleitende Studie ergab, dass ein Viertel der Probanden das Handy zwei Stunden am Tag in Gebrauch hatte. Die Studienteilnehmer aktivierten ihr Smartphone im Schnitt achtzig Mal. Sei es, um nur die Uhrzeit zu checken, etwas zu spielen oder zu kontrollieren, ob möglicherweise eine Nachricht angekommen ist. Den Begriff „Sucht“ möchte Christian Montag vermeiden, er spricht von „exzessivem Gebrauch“ und von „Toleranzentwicklung“.

Er sagt: „Wenn man das Handy achtzig Mal am Tag aktiviert und vierzig Mal davon findet man etwas vor, eine nette Whatsapp-Nachricht oder eine interessante Schlagzeile, dann greift bereits der Belohnungsmechanismus. Wir verbinden mit dem Anschalten etwas Positives und wollen das in der Folge immer öfter haben.“ Wenn man traurig ist und ein Freund schickt einem ein Smiley über Whatsapp, dann sei das zwar nicht mit einer Umarmung vergleichbar, die Geborgenheit vermittelt und Bindungshormone ausschüttet. Doch es helfe kurzzeitig, sagt der Psychologe. Genug Anreiz, immer öfter zum Handy zu greifen.

Jener Belohnungsmechanismus greift auch im Falle der sprachgesteuerten Interaktionen mit dem Handy. Hat Siri dreimal dafür gesorgt, dass ich rechtzeitig aufstehe und vor Verlassen der Wohnung daran denke, den Hund zu füttern, ist die Vertrauensbasis gelegt. Und auch die Puppe Cayla kann eigentlich nicht viel falsch machen: Eine Liste von Tabuthemen sorgt dafür, dass sie nicht auf alles eine Antwort hat. Fragt das Kind: „Wie entstehen Babys?“, antwortet Cayla: „Bitte besprich das mit deinen Eltern.“

Dass sprachgesteuerte Software dennoch nicht vor Fehlern gefeit ist, müssen Nutzer von Navigationssystemen oft schmerzlich erfahren. Sie irren durchs Bermudadreieck des Gleisdreieckparks, weil das Navi die Orientierung verloren hat und über Handykopfhörer eine Kreisfahrt diktiert.

Oft ist das Vertrauen in die digitalen Allwissenden so groß, dass man ihnen blind folgt. So dass man am Ende in der Eisenacher Straße in Marienfelde landet, obwohl man in die gleichnamige Straße in Schöneberg wollte und schon die ganze Zeit dachte: Das ist aber ein komischer Weg nach Schöneberg.

„In jedem Fall ist es von Vorteil, weiterhin den eigenen Kopf einzuschalten“, sagt Christian Montag. „Man darf die Kontrolle nicht abgeben und muss in der Lage sein, flexibel zu reagieren.“ Doch Mitdenken oder gar Informationen zu überprüfen, das kostet Zeit. Und gerade aus Zeitmangel resultiert die Beliebtheit sprachgesteuerter Software. Befehle und Aufgaben einsprechen und auf die Umsetzung warten, das ist das Ideal im leistungsorientierten digitalen Zeitalter.

Vor allem Situationen, die kein Tippen auf der Tastatur zulassen, müssen technisch überbrückt werden – beispielsweise Autofahrten. Nur auch das Einsprechen von Fragen und Befehlen erfordert Aufmerksamkeit, zeigt eine neue Untersuchung der amerikanischen Stiftung für Verkehrssicherheit. Das Ergebnis: Siri eigne sich aufgrund eines viel zu hohen Ablenkungspotenzials keinesfalls für den Gebrauch während einer Autofahrt.

Was als Entlastung gedacht ist, kann auch kontraproduktiv wirken. Christian Montag spricht vom „Flow-Prinzip“. Der psychologische Begriff „Flow“ steht für die völlige Vertiefung in eine Tätigkeit, die absolute Konzentration ohne jede Ablenkung. Wer am Computer arbeitet, hinter dem relevanten Dokument aber noch das E-Mail-Postfach und die Facebookseite geöffnet hat, der wird nur schwer in den Flow kommen. Hat man dann noch einen Sprachassistenten installiert, der einen ganz unvermittelt mit dem Hinweis: „In einer Stunde triffst du deine Frau zum Essen“ aus der Konzentration reißt, erschwert das ein konzentriertes Arbeiten zusätzlich.

Siri wird ihren Nutzer nicht in den Tod schicken wollen wie HAL es in Kubricks Film versuchte. Cayla wird nicht zur Mörderpuppe mutieren. Dazu fehlt ihr schlicht die entsprechende Motorik. Aber woher wissen wir, wie Cayla auf wichtige Fragen des Kindes antwortet? Wie kontrollieren wir, warum uns Siri genau dieses eine Restaurant oder dieses eine Geschäft empfiehlt?

Maßvoller Gebrauch und gesunde Skepsis sind unerlässlich für die Beziehung zwischen Nutzer und digitalem Butler. Ein Test mit der Androidversion von Apples Siri: „Wer bist du?“ – „Ich bin die kleine Jeannie.“ – „Was isst du gerne?“ – „Am liebsten Strom. Eigentlich ist es das Einzige, wovon ich mich ernähre.“ So ähnlich sind wir uns dann eben doch nicht, wir und unsere persönlichen Assistenten. Das ist irgendwie beruhigend.

Lydia Brakebusch

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