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Wana Limar, MTV-Moderatorin und Bloggerin

© Mike Wolff

MTV-Moderatorin Wana Limar: „Die kultivierte Deutsche trägt wenig Make-up“

Sich zu schminken, findet Wana Limar sehr intim – und tut es trotzdem öffentlich. Von der Pracht afghanischer Hochzeiten und dem Konsumwahn im Netz.

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Wana Limar, 25, moderiert für den Jugendsender MTV Onlinevideos mit Styling- und Schönheitstipps. Sie wurde in Kabul geboren und verbrachte die ersten vier Jahre ihres Leben in einem Asylbewerberheim. Limar hat Modejournalismus in Hamburg studiert. Jetzt lebt sie in Berlin

Frau Limar, auf „MTV Style“ erklären Sie Zuschauern in Videos, wie man sich richtig schminkt. Sie sprechen von Contouring und Highlighting. Können Sie das übersetzen?

Mein erster Anspruch ist es natürlich, der breiten Masse Make-up nahezubringen und ...

Das muss man?

Ich denke schon. Schminke kann Kunst sein. Aber es fehlt vielen der Zugang, weil sie nicht wissen, wo sie sich die Infos holen sollen. Meist lesen sie veraltete Frauenmagazine. Selbst Moderedakteurinnen und Bloggerinnen in Berlin haben oft keinen Plan. Ich versuche alles so zu erklären, dass es auch der Letzte versteht.

Uns zum Beispiel!

Contouring und Highlighting sind Methoden, um das Gesicht zu modellieren. Man setzt Schatten, wo welche fallen würden, wenn da eine Vertiefung wäre. Durch dunklere und hellere Töne kann man die Wangenknochen höher wirken lassen, die Nase schmälern. Man verkleinert die Stirn, indem man den oberen Teil verdunkelt. Wenn man es gut macht, alles sauber verblendet, erkennt das Gegenüber nicht, dass man gearbeitet hat.

Wo haben Sie das gelernt?

Schon als Dreijährige habe ich mich mit rotem Lippenstift von meiner Mutter aufgestylt. Später war ich MTV-Junkie, hab mich von Jennifer Lopez inspirieren lassen. Die war eine Vorreiterin, was Make-up betrifft, und Ende der 90er Jahre die Erste, die den heute so berüchtigten Glow hatte. Weg von einem matten Gesichtsbild, hin zu einem vorteilhaften Glanz: an den Wangenknochen, unter dem Augenbrauenknochen, mit Gloss in Nude und Pfirsichfarben. Ich war zwölf und habe ihre Red-Carpet-Looks nachgeschminkt. Leider gab’s in den Drogerien damals kaum Schminke für meinen Hautton. Deutschland war immer extrem weit zurück, was Beauty-Fragen betrifft.

Sie machen sich in einem Clip über die schlichten Schminkgewohnheiten der Deutschen lustig: Quittentagescreme, ein wenig Puder, maximal Mascara.

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Die Schminke spiegelt nur die Mentalität wider. Das fängt mit den Umgangsformen an. Wenn ich mit meinen Freundinnen unterwegs bin, die auch einen sogenannten Migrationshintergrund haben, sagen wir: Gib mal die Tasse. Wenn ich mit Vollblutdeutschen unterwegs bin: Bist du so lieb und reichst mir die Tasse? Man ist hier vorsichtig mit seiner Meinung, seinem Kleidungsstil, das sieht man am deutschen Film, der sich an Hollywood orientiert. Jemand, der sich schminkt, wird in die Schublade Tussi gesteckt. Männer denken: Die ist minderbemittelt und leicht zu haben. In Großbritannien, Amerika oder Afghanistan, wo ich geboren wurde, denken die eher, dass man Grippe hat, wenn man sich nicht schminkt. Die kultivierte deutsche Frau trägt wenig Make-up.

Sie selbst haben gerade eine Viertelstunde bei uns im Redaktionsbad vor dem Spiegel verbracht.

Inzwischen erlaube ich mir das. Vor Jahren, an meinem ersten Arbeitstag in einer Firma, habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich mich anziehe, damit ich bloß nicht den Eindruck erwecke, dass ich den Mädels Konkurrenz machen will. Ich trug Brille, Dutt, ein weites Hemd und null Schminke. So lief ich drei Monate rum! Bis zur ersten Weihnachtsfeier, wo ich mir ein Kleid angezogen habe. Da schauten alle: Wer ist die Neue?

Sie sind in Hamburg-Langenhorn aufgewachsen, aber in Kabul geboren. Daher wissen Sie: Zu einem afghanischen Make-up gehören pinke Lippen, violette Lider und viel Glitzer.

Zumindest bei einer Hochzeit. Schließlich müssen auch die Gäste aus der letzten Reihe sehen, was für eine schöne Braut der Bräutigam heiratet. Hochzeiten sind bei uns gefühlt jede Woche. Allein in Hamburg habe ich 20 Cousinen väterlicherseits.

Der Schriftsteller Khaleid Hossein sagt: „In Afghanistan ist man nie bloß ein Individuum, man versteht sich als ein Bruder von jemandem, Cousin von jemandem, man ist Teil von etwas Größerem als man selbst.“

Deshalb kommen auch 300 bis 400 Gäste zu so einer Hochzeit. Die Vorbereitung beginnt um drei Uhr nachmittags. Ich style meine Mutter, meine Schwester und habe für mich selbst nur noch auf der Autofahrt Zeit. Um sechs Uhr trifft man sich in der Location. Afghanische Säle in Deutschland sind leider nicht alle schön, das sind Hallen in einem Industriegebiet. Aber woanders bekommt man so viele Leute nicht unter. Dafür gibt man sich dann mit der Deko besonders viel Mühe. Das ist für Deutsche wahrscheinlich etwas kitschig.

"Auf dieses Partyding habe ich keinen Bock"

Wana Limar, MTV-Moderatorin und Bloggerin
Wana Limar, MTV-Moderatorin und Bloggerin

© Mike Wolff

Servietten in Tierform auf den Tischen?

Wenn es ganz fancy ist, liegen um die Teller herum lauter Straßsteine. Überall sind Kameras aufgestellt. Das Spektakel muss ja von Anfang bis Ende gefilmt werden. Die ersten Gäste kommen auf einem roten Teppich in den Saal, links stehen die Frauen der Familien, rechts die Männer. Dann muss jeder jeden erst einmal begrüßen. Das dauert. Nachdem alle sitzen, tanzt zuerst die Familie des Bräutigams, die der Braut hält sich aus Respekt zurück. Gegen neun Uhr kommt das Essen: weißer Reis, roter Reis, Fisch, Rind, Lamm, Hühnchen, unterschiedliche Currys, Spinatsaucen, Salate. Das Allergeilste jedoch: Braut und Bräutigam sitzen auf einem Thron, mal golden, mal weiß. Alle Afghanen werden mich nun hassen, aber ich finde diesen Thron echt schlimm.

Sie sind mit solchen Bräuchen groß geworden, obwohl Ihre Eltern 1990 mit Ihnen und Ihren zwei Geschwistern über Tadschikistan nach Deutschland geflohen sind.

Es ist unfassbar schade, dass ich nie wieder, wie soll ich es ausdrücken, in meinem Geburtsland war.

Wollten Sie gerade Heimat sagen?

Dieses Gefühl habe ich nur in der Wohnung meiner Eltern. Ohne die beiden halte ich es kaum zwei Wochen aus. Als ich vor zwei Jahren nach Berlin gezogen bin, wollte ich nie die Wochenenden hier verbringen. Ich habe nicht das Gefühl, ich müsste in Berlin sein. Ich will nichts erleben.

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Die ganze Welt kommt genau deshalb in die Stadt.

Auf dieses Partyding habe ich keinen Bock. Ich gehe gern mit Freunden aus, zum Essen oder ins Kino, aber ich muss keine neuen Leute kennenlernen. Heimat ist das Zuhause in Hamburg. Das gehört zur afghanischen Kultur, die Loyalität zur Familie, die ich von meinen Eltern natürlich vermittelt bekommen habe. Die Umgangsformen unterscheiden sich von denen der Deutschen. Der Respekt vor Älteren ist größer. Das fängt damit an, dass ich meine Eltern nicht duze, sondern den Majestätsplural verwende. Mir würde es nie einfallen, meinen Vater zu fragen, ob er denn blöd sei. Das habe ich einmal gemacht und einen tödlichen Blick bekommen. Gastfreundschaft ist enorm wichtig. Afghanen sind darauf bedacht, einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Deutsche nicht?

Als ich einmal eine deutsche Freundin besuchte, gab es gerade Abendbrot. Ich durfte nicht mitessen und musste im Kinderzimmer warten, bis die Familie fertig war. Würde es bei Afghanen nie geben! Das ist übrigens ein Running Gag unter Ausländern: Kennst du das auch? Wenn ich darüber rede, habe ich ein unfassbar großes Bedürfnis, nach Kabul zu reisen. So sehr, dass es wehtut.

Warum fahren Sie nicht?

Meine Mutter möchte nie wieder hin, sie hat zu viele schlechte Erinnerungen, hat Teile der Familie dort verloren. Und allein, sagt sie, sei es zu gefährlich. Ich werde mich dem bald widersetzen. Das Schlimmste für mich wäre es jedoch, nach Kabul zu reisen, mir das Elend als Tourist anzugucken und wieder zurückzukehren. Ich möchte etwas tun, während ich dort bin, vor Ort helfen.

Sie reden vom Verein „Visions for Children“. Ihre ältere Schwester hat den vor sechs Jahren in Hamburg gegründet.

Wir haben mit Bildungsprojekten in Afghanistan angefangen und eine Schule in Kabul ausgestattet. Bildung ist der Schlüssel zur selbstbestimmten Entwicklung. In Afghanistan sind 70 Prozent der Menschen noch Analphabeten. Schon aus Perspektivlosigkeit schließen sich Menschen Terrorgruppen an. Das ist für sie der einzige Weg, ihre Familie zu ernähren. Der Verein kümmert sich aber auch um Bildungsförderung für Flüchtlinge hier, hilft ihnen bei der Integration und bringt ihnen bei, was sich in Deutschland gehört und was nicht.

Zum Beispiel?

Vor Kurzem habe ich eine afghanische Familie in Berlin kennengelernt. Als die siebenjährige Tochter in die Schule musste, war die Mutter ganz besorgt, weil Mädchen und Jungs zusammen in einer Klasse saßen. Ein Kulturschock, das muss ihnen jemand einmal erklären. Dann war es aber okay.

Sie selbst haben die ersten vier Lebensjahre in einem Asylbewerberheim bei Hamburg verbracht.

Neulich besuchte ich diese afghanische Familie in ihrer Unterkunft, da erinnerte ich mich plötzlich wieder an unser Zimmer. Es sah genauso aus wie das der Familie. Klein, vielleicht vier mal vier Meter, zwei Hochbetten, ein Schnellkochtopf auf einem Tisch, ein afghanischer Teppich, rostbraun, grafische Muster.

"Ich würde einen Konsumstopp verhängen"

Wana Limar, MTV-Moderatorin und Bloggerin
Wana Limar, MTV-Moderatorin und Bloggerin

© Mike Wolff

Als Kind fanden Sie das Heim toll, weil es überall Kinder zum Spielen gab. Wie hat sich das für Ihre Eltern angefühlt?

Wir kamen aus gutbürgerlichen Verhältnissen in Afghanistan. In Deutschland hatten meine Eltern ständig Angst, weil sie nicht wussten, ob sie bleiben durften. Wir bekamen nur eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Monate, die mussten wir ständig verlängern. Ich kann mich erinnern, wie wir dafür in die Ausländerbehörde gingen. In tiefster Nacht um drei Uhr stand die gesamte Familie auf, mein Vater stellte sich vor dem Amt in einer endlosen Schlange an. Wir hatten Proviant für den ganzen Tag dabei. Zwischendurch gab es immer wieder Gerüchte, nun müssten alle Afghanen aus Deutschland raus. Das war sehr belastend.

Reden Ihre Eltern viel darüber?

Meine Mutter spricht nicht gern über unangenehme Zeiten. „Gumesh Ko“, Schwamm drüber, sagt sie. Lange war mir nicht bewusst, wie schwierig diese Zeit für sie war. Erst jetzt wird mir klar, dass ich mich mal mit ihren Ängsten von damals befassen sollte.

Ihre Eltern flohen vor dem Krieg und suchten in Deutschland Stabilität.

Dadurch war Politik ein wichtiges Thema bei uns. Ich habe eine sozialistische Ader. Wenn ich Politikerin wäre, würde ich einen Konsumstopp verhängen. Da bin ich knallhart.

Diktatorisch sind Sie.

Man müsste festlegen, wie viel jeder Haushalt höchstens für Lebensmittel und Kleidung verbrauchen darf.

Auch für Schminke?

Natürlich. In der Gesellschaft wächst das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zwar, aber man kann nicht davon ausgehen, dass der Bürger altruistisch verzichtet. Einiges muss einfach gesetzlich geregelt werden. Jedes Bundesland sollte zum Beispiel verstärkter regionale Produkte anbieten.

Schafwollpullis aus Brandenburg!

Das hier ist doch vermeintliche Freiheit. Wir können für 99 Euro nach Marokko fliegen und für einen Fünfer ein T-Shirt kaufen – auf Kosten der Umwelt oder anderer Menschen. Massentierhaltung, Kinderarbeit bei Modefirmen, das finde ich verantwortungslos. Wir müssen uns einschränken.

Sie befördern den Konsum doch mit Ihren Videos.

Ich befördere ihn nicht direkt, sondern gebe an erster Stelle praktische Tippe und versuche nicht, den Hype noch anzukurbeln. Wir leben alle mit Widersprüchen. Wenn ich eine Tüte ungetrennten Müll wegwerfe, habe ich ein schlechtes Gewissen. Dennoch kommt es vor. Durch meine Arbeit als Moderedakteurin versuche ich den Leuten zu verklickern, dass sie nicht immer das neueste Teil brauchen, dass sie Mode nicht so ernst nehmen sollen.

Jan Böhmermann hat einige Youtube-Stars kritisiert, weil sie mit Schleichwerbung an Minderjährigen Geld verdienen. Auch bei Ihnen führen Links direkt zu den Verkaufsseiten.

Die Leute wollen wissen, was wir tragen, wie man es bekommt. Daher gehört es dazu, immer anzugeben, welche Produkte man benutzt hat, gerade bei Beauty-Tutorials ist das wichtig. Das ist ein unverzichtbarer Service für die Zuschauer.

Und für die Firmen.

Bei uns werden Produkte nur sehr selten platziert, mehr als 90 Prozent unserer Videos sind nicht gesponsert. Wir haben auch mal eine Kooperation mit einer Marke, das sagen wir dann aber explizit. Ich finde diese Konsumgeilheit verrückt. Egal, was ich bei Instagram poste, fragen die Kids nur: Wo hast du das gekauft?

Wollen Sie sich gerade für Ihre Videos rechtfertigen, als wären die Ihnen peinlich?

Anfangs kostete es Überwindung, mich vor laufender Kamera zu schminken und das mit der Welt zu teilen. Dieser Prozess einer Frau, wie sie sich zurechtmacht, ist sehr intim. Die Rechtfertigung ist eher politisch. Ich ringe mit mir, inwiefern es okay ist, Marken indirekt zu bewerben, deren Arbeitsweisen ich nicht immer gut finde.

Diesen Zwiespalt merkt man den Tutorials nicht an.

Ich versuche in meinen Videos so authentisch wie möglich zu agieren. Am Ende des Tages haben aber meine politischen Haltungen nicht zwingend was mit den Style-Clips zu tun, das ist nicht Konzept des Formats.

Dort könnten Sie etwas bewirken.

Es würde nichts bringen, wenn ich nur meckere in meinen Videos. Das mache ich schon in meinem privaten Umfeld. Davon sind alle genervt.

Die Blogger Dandy Diary haben einen Clip über Kinderarbeit gedreht und wurden von H&M abgemahnt.

Ich wünsche mir, dass es auf MTV in Zukunft mehr politische Aussagen gibt. Das muss ja nicht bedeuten, eine Marke zu bashen, aber man kann sie in die Verantwortung holen.

Ist Engagement bei jungen Menschen in Mode?

Ich denke schon. Vor ein paar Jahren hat man ehrenamtliche Arbeit belächelt. Heute sehen wir in sozialen Medien Videos von Bombeneinschlägen in Syrien, wir können dem nicht mehr aus dem Weg gehen. Wer ein bisschen Mitgefühl hat, tut den nächsten Schritt.

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