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Sieben Partner des Lovelace haben aus der ehemaligen Bank ein Erlebnishotel gemacht.

© Ulf Lippitz

München: Hip und weg: Das ist die luxuriöseste Zwischennutzung in ganz Deutschland

Die Berliner Bar 25 machte es vor: Auf einer Brache entstand ein Club. Auch in München ist der Trend angekommen. Und keines der Projekte ist so groß geraten wie das Lovelace.

Vermutlich gibt es wenige Rezeptionen auf der Welt, an denen der Hotelmitarbeiter stolz ist, dass gerade eine Wah-Wah-Gitarre das Einchecken unterbricht. „Bandprobe“, sagt der junge Mann und reicht den Schlüsselanhänger hinüber. Darauf zu sehen: wie zwei Finger das Victory-Zeichen formen, das Symbol des Münchner Hotels „Lovelace“.

Das Haus liegt hinter der Einkaufspassage „Fünf Höfe“, gleich nebenan steigen deutsche Schauspieler im „Bayerischen Hof“ ab, und von der Raucherterrasse im obersten Stock haben Besucher einen unverstellten Blick auf die Frauenkirche. Es ist, was man im Maklerjargon eine „prime location“ nennt, eine grandiose Lage, die man nie, nie, nie aufgeben sollte. Genau das haben die Gründer des Lovelace aber vor. Sie schließen das Hotel im ehemaligen Sitz der Bayerischen Staatsbank Anfang 2019 wieder, nach nur knapp eineinhalb Jahren Betrieb.

Zwischennutzung war eigentlich eine Berliner Idee. Sie gehörte ab den 1990er Jahren zu den Innovationen des Hauptstadt-Nachtlebens. Viele Grundstücke lagen brach, weil entweder die Eigentümerfrage nach der Wende unklar war oder sich keine Mieter dafür fanden. Das berühmteste Beispiel ist die Bar 25 am Spreeufer, die aus dem provisorischen Konzept einen lang währenden Club aufbaute. Sechs Sommer lang mietete die Bar einen aufgegebenen Standort der Berliner Stadtreinigungsbetriebe. Sukzessive entstand auf dem Gelände ein Holzhüttendorf, bis 2010 die letzte Party gefeiert wurde.

Die Zimmer sehen wie schicke Möbelshowrooms aus

München hat die höchsten Wohnmieten Deutschlands, 15 Euro kalt pro Quadratmeter im Durchschnitt. Zudem gibt es eine starke Nachfrage nach freien Räumen. Und trotzdem existieren in der Isar-Metropole einige Projekte, die Kulturarbeit und Immobilienaufwertung miteinander verbinden. In der ehemaligen Stadtteilbibliothek im Westend ist der Kreativverbund Kösk eingezogen, im vergangenen Sommer bot der Mars Markt ein zweimonatiges Kulturprogramm in einem leer stehenden Autohaus an, und der geschlossene Viehhof diente als Open-Air-Kino. In diesem Jahr entstehen auf demselben Gelände Wohnhäuser.

Keines der Projekte ist so groß geraten wie das Lovelace. Mit einer Investitionssumme von 1,5 Millionen Euro dürfte das vorübergehende Hotel die wohl luxuriöseste Zwischennutzung in ganz Deutschland sein. 30 Zimmer verteilen sich auf drei Etagen und sehen wie schicke Möbelshowrooms aus. In das mehrgeschossige Atrium ist eine Ebene an Stahlseilen eingehängt – die Lobby, in der Herumlümmelsofas, ein Café mit veganer Küche und ein Klavier Platz haben.

Die sieben Partner des Lovelace haben aus der ehemaligen Bank ein Erlebnishotel gemacht – darunter der „König des Münchner Nachtlebens“ („SZ-Magazin“), Michi Kern, der 1990 bereits den ersten Technoclub der Stadt, das „Bubaluu“, gegründet hat. Im Atrium hängen Neon-Botschaften des Berliner Grafikdesigners Chris Rehberger, „All Places are temporary places“ oder „Love Communication“. Es finden Podiumsdiskussionen, Lesungen und Konzerte statt. Gäste können das Zwickl-Apartment für eine Party buchen, und an manchen Wochenenden wird aus dem gesamten Foyer ein Dancefloor. Die Grenzen zwischen Club-, Bar- und Hotelbetrieb sind fließend.

Irgendein Event findet hier immer statt

Heller Holzfußboden, graues Polstersofa und ein Mammutbett: So übernachten die Gäste im Lovelace.
Heller Holzfußboden, graues Polstersofa und ein Mammutbett: So übernachten die Gäste im Lovelace.

© thelovelace.com

Einer der Gründer ist Gregor Wöltje. Der 55-Jährige arbeitet gerade in seinem Büro. Das heißt: Er hockt mit rundem Rücken auf einem Sofa in der Lobby, vor ihm ein aufgeklappter Laptop, neben ihm zwei Gäste, die auf Spotify ihre Musiklisten aktualisieren.

Als Werber hat Wöltje früher Kampagnen für MTV und Burger King mitgestaltet, seit zehn Jahren berät er Unternehmen in Nachhaltigkeitsfragen und bei Marketingstrategien. Er trägt eine Brille, kurze graue Haare und ein lockeres Ensemble von grauem Pullover und schwarzer Jeans. Sein Titel im Hotel lautet nun Managing Director.

„Das Ding stand leer“, fasst Wöltje die jüngere Geschichte des Gebäudes zusammen. Die Bank war vor drei Jahren ausgezogen, eine Hotelgruppe wollte umbauen, musste jedoch nach einem Gerichtsverfahren ihr Projekt zurückziehen. Der Besitzer, die Bayerische Hausbau, suchte eine Interimslösung. Also trat man an Michi Kern und Gregor Wöltje heran, von denen man annahm, dass sie schon irgendwas anzufangen wüssten mit dem ganzen Platz.

Das Lovelace dreht die Lautstärke gern auf

Zwei Jahre Mietvertrag, millionenschwere Renovierungskosten, zwei Monate Planung, dreieinhalb Monate Umbauzeit, und erst einen Tag vor der Eröffnung im vergangenen September gaben die Behörden die offizielle Genehmigung zur Inbetriebnahme. Gregor Wöltje erinnert sich daran, wie oft jemand vom Amt anrief: „Was ist das denn? Herberge, Einzelhandel, Gastronomie?“ Das alles – und noch viel mehr, nämlich Veranstaltungsort, Sportklub oder Barbiersalon.

Wöltje zeigt die vielen Möglichkeiten, sich zu zerstreuen, bei einem Rundgang. In der ersten Etage verkauft ein Modelabel seine Entwürfe von der Stange, in der zweiten warten Barbiersessel auf Kunden, in der Bar unterm Dach mixt ein junger Mann Gin Tonics für 9,50 Euro, und nebenan lernen junge Menschen in einem gläsernen Sportstudio Boxen. Irgendein Event findet immer im Lovelace statt, eine Deep-House-Party, die Abschlussveranstaltung einer Messe oder ein Rockkonzert.

Das Lovelace dreht die Lautstärke gern auf, verstanden. Mit mehr Dezibel steigt die Stimmung der Besucher. Proportional dazu sinkt normalerweise die Laune der Hotelgäste. In den Zimmern ist jedoch nichts zu hören. Heller Holzfußboden, graues Polstersofa, ein Mammutbett vor grauen Stoffvorhängen, die von den hohen Decken bis zum Boden reichen und einmal um den gesamten Raum herum gehen. Man hat den Eindruck, sich wahlweise auf einer Bühne (der Vorhang!) oder in einem Kokon (die Dunkelheit!) zu befinden. Die Stahltüren stammen noch aus den Bankzeiten – die Vorstandsmitglieder brauchten für ihre ausgetüftelten Geschäftsstrategien wohl allerhöchste Konzentration – und bieten wirklich größtmöglichen Schallschutz.

Für ähnliche Projekte gibt es kaum Nachahmer

In der ehemaligen Bank wohnen nun arabische Familien neben deutschen Anwälten, junge Pärchen neben internationalen Künstlern. Der für seine Lichtinstallationen berühmte Däne Olafur Eliasson übernachtet hier, die Toten Hosen haben in den Zimmern geschlafen und nur eine Sache bemängelt: dass es keine Fernseher gibt. Die wurden flugs besorgt und später wieder hinausgestellt. Die Zimmer sehen ohne die Ungetüme einfach schöner aus. Und wer sich heute einen Film im Bett anschauen möchte, hat sowieso meist seinen Laptop dabei.

Es ist sechs Uhr abends, hinter der Rezeption trotten Angestellte von BMW aus ihren Zimmern. Nur 40 Prozent des Umsatzes generiert der Hotelbetrieb, den Rest bringen Events und Vermietungen ein – wie jene an den Autohersteller, der seine E-Communication-Abteilung in einem Trakt einquartiert hat.

Dass es kaum Nachahmer für ähnliche Projekte gibt, liegt laut Wöltje auch daran, dass niemand weiß, ob sich die Höhe der Investition je wieder einspielt. Deshalb brauchen Menschen, die irgendwo anders einen Ort wie das Lovelace erschaffen wollen, folgende Qualifikation: „Die müssen wie wir einen an der Klatsche haben.“ Und eineinhalb Millionen auf der Kante.

Das sind Peanuts im internationalen Vergleich. Die Zwischennutzung soll Anfang des kommenden Jahres auslaufen. Die Hotelgruppe Rosewood hat Verträge über einen Umbau unterzeichnet. Die Investitionssumme beziffert die Bayerische Hausbau auf 100 Millionen Euro.

Reisetipps für München

Hinkommen

Easyjet und Lufthansa fliegen von Tegel nach München, ab 65 Euro zum Handgepäcktarif. Vom Flughafen die S-Bahn zum Marienplatz nehmen und zu Fuß zum Lovelace. Mit der Deutschen Bahn dauert die Anreise ins Münchner Zentrum inzwischen fast genauso kurz. Im Sparpreis kostet die Verbindung rund 120 Euro.

Unterkommen

Das Hotel liegt in einer Seitenstraße hinter der Shoppingmall „Fünf Höfe“ in der Kardinal-Faulhaber-Straße 1, eine Nacht im Doppelzimmer ohne Frühstück ist ab 105 Euro zu haben. Mehr Infos unter thelovelace.com

Rumkommen

Die Ausgehmeile an der Sonnenstraße nennen Einheimische die „Feierbanane“ – weil die Straße dort einen Bogen macht. Auf diesem Teil befindet sich unter anderem das „Pacha“ (Maximiliansplatz 5), ein House- Club, der auch Michi Kern gehört, einem der Gründer des Lovelace. Ansonsten lohnen sich für Techno-Liebhaber das „Harry Klein“ (Sonnenstr. 8) und der etwas weiter entfernte „Blitz Club“ im Deutschen Museum (Museumsinsel 1).

Gute Cocktailbars verteilen sich über die Viertel Schwabing und Maxvorstadt, beide nördlich des Zentrums. Zum Beispiel einen selbst produzierten Gin mit Waldbeernoten im „Call Soul“ (Biedersteiner Str. 6) oder einen Hutong Dark & Stormy mit Rum, Gingerbier, Orangenblüten- und Korianderwasser im „Hutong Club“ (Franz-Joseph-Str. 28) probieren. Amadeus Danesitz, Autor des „Barguide München“ (München Verlag), bietet ab sechs Personen geführte Gruppentouren durch die Bars der Stadt an, Preise auf Anfrage. Zu buchen unter barguide-muenchen.com.

Info

Alle Reiseinformationen zur Stadt unter muenchen.de/tourismus.

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