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Gewaltig. Das V&A Dundee will ein "Wohnzimmer für alle" sein.

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Neue Museen in Europa: Dundee: Ein Museum als Problemlösung

Dundee war lange eine ungemütliche Stadt mit vielen Problemen. Das "Victoria and Albert" soll Aufschwung bringen.

Ein stürmischer Tag, Schottland wie im Bilderbuch. Der Fluss tut so, als sei er Meer, die Wellen schäumen hoch. Direkt am Ufer des Tay steht der schroff wirkende Museumsbau, wie Origami aus Beton gefaltet und gedreht. Die Ähnlichkeit mit hiesigen Klippen ist beabsichtigt: Sie dienten dem japanischen Architekten Kengo Kuma als Inspiration für das V&A Dundee.

Oh Gott, nicht schon wieder, war der erste Gedanke bei der Ankündigung gewesen. Kriegen die Museen nicht genug, müssen denn alle nach dem Prinzip McDonald’s eine Filiale nach der anderen eröffnen? Hier noch ein glitzerndes Pompidou, dort ein schönes Guggenheim, in Abu Dhabi ein prachtvoller Louvre. Jetzt also das Victoria & Albert: Vor zwei Wochen wurde das V&A Dundee eröffnet, der erste Ableger des gewaltigen Londoner Kunstgewerbemuseums. Es soll der einzige bleiben. Und sowieso was ganz Eigenes sein.

Im Mittelpunkt steht hier, theatermächtig inszeniert, schottisches Design. Vom Hunter-Gummistiefel bis zum eichengetäfelten Teesalon von Charles Rennie Mackintosh, dazwischen Comics und Computerspiele wie „Lemmings“. Dafür ist Dundee so berühmt wie für seinen Früchtekuchen und die Orangenmarmelade. Jedes britische Kind kennt die Comicfiguren, Dennis the Menace & Co aus dem Verlagshaus DC Thomson, das bis heute wichtiger Arbeitgeber und Kultursponsor ist.

„Killbox“ dagegen wird für die meisten Museumsbesucher neu sein. Ein Anti-Kriegscomputerspiel, entwickelt von Tom deMajo and Malath Abbas. Die Spiele der beiden, die mit ihrem „Biome“-Kollektiv in einem unglamourösen Coworking-Space sitzen, sind immer ein bisschen anders. So hat Abbas zusammen mit dem schottischen Nationaltheater das Spiel „other“ als App gestaltet, um damit Dundee zu erkunden. Im Auftrag der Londoner Designbiennale haben die Freunde auch gerade das farbenprächtige „Shpeel“ entworfen, in dem junge Menschen ohne Worte über psychische Probleme kommunizieren können.

Dundee ist eine Industriestadt ohne Industrie

Denn Design bedeutet in Dundee mehr als Möbel, Mode, Porzellan. Oft geht es weniger um Produkte als um Lösungsansätze für Probleme. An denen hier kein Mangel herrscht. Dundee ist eine Industriestadt ohne Industrie. Einst das Zentrum der weltweiten Juteproduktion, ist diese heute nur noch im Museum zu bestaunen, dem sehenswerten „Verdant Works“. Walfang und Schiffsbau sind ebenfalls längst passé, mit der Ölförderung geht’s bergab, die Konkurrenz ist billiger. Dundee, eine gute Stunde nördlich von Edinburgh, hat die höchste Arbeitslosenquote Schottlands.

DeMajo und Abbas möchten mit ihren Spielen etwas verändern – die Lebensqualität von Menschen, das Bewusstsein, die Stadt, die sie als Zugereiste schätzen. London könnten sie sich nie leisten, und in Dundee wächst die kreative Community, hier haben sie ganz andere Möglichkeiten. Am Eröffnungswochenende des V&A, das sich mit einem Festival ausdrücklich an junge Leute wandte, verwandelten sie das Museum in eine Lichtinstallation.

Gemessen am Volumen des gewaltigen Baus ist dessen Ausstellungsfläche ziemlich klein: 1650 Quadratmeter. Aber das Museum soll ja auch mehr sein als ein Ausstellungshaus: „ein Wohnzimmer für alle“. Großzügig und gastfreundlich gibt es sich im Inneren, mit viel warmem Holz, Kengo Kumas bevorzugtem Material. Wie in den meisten öffentlichen Museen im Land ist der Eintritt gratis, nur für Sonderausstellungen (die erste widmet sich dem Ozeandampfer) muss man zahlen. Es gibt zahlreiche Angebote für Schulen und Familien, die in eigenen Räumen picknicken können. Denn das Wohnzimmer ist auch Esszimmer. Am spektakulärsten im verglasten Café-Restaurant im Obergeschoss, mit Blick auf die nebenan ankernde „Discovery“, jenes 1900 in Dundee gebaute Segelschiff, mit dem Robert Scott in die Antarktis aufbrach, und das heute ebenfalls Museum ist.

Doch noch fühlen sich nicht alle im urbanen Wohnzimmer zu Hause. Mögen sich die internationalen Kritiker überschlagen in ihrem Lob für Kengo Kumas großen Wurf, mag der Stolz vieler Einwohner, ihre Hoffnung auf Aufschwung mit Händen zu greifen sein – am Morgen der Museumseröffnung erklingen andere Töne aus dem Radio. „So was von hässlich!“, schimpft ein Jugendlicher vom Rande der Stadt. „Crap“, Scheiße, ergänzt sein Kumpel. 80 Millionen Pfund! Hätte man die nicht besser ausgeben können?

Dundee ist eine gespaltene Stadt

Von außen wirkt es schroff, innen ist es warm. Im Zentrum des Museums steht schottisches Design.
Von außen wirkt es schroff, innen ist es warm. Im Zentrum des Museums steht schottisches Design.

© dpa

Dundee ist eine gespaltene Stadt, wie ein linker Stadtrat bekennt. Die Industriestadt hat sich zur Unistadt entwickelt, mit Biowissenschaftszentrum und renommierter Kunsthochschule. Hier wurde der erste Studiengang für Computerspiele etabliert, es gibt sogar einen Professor für Comics. Jeder siebte der insgesamt rund 148 000 Einwohner ist Student. Die Hochschulen waren es auch, die die Idee des V&A Dundee maßgeblich mit initiiert und entwickelt haben.

Auf der anderen Seite stehen jene, die nur schwer mit Bildung zu erreichen sind. Diese Zerrissenheit macht sich auch im Stadtbild bemerkbar. Imposante, renovierte historische Bauten wie das McManus-Museum, Plattenläden und Cafés. Dazwischen eine Spielhölle namens Mecca, leerstehende Läden im Zentrum, Junkies.

Es fehlt an Jobs für ungelernte Arbeiter. Und die Armut mehrerer Generationen zu durchbrechen sei schwer, sagt eine Ärztin, die in der Drogenberatung arbeitet. Dundee ist Europas Hauptstadt der Drogentoten. Jede Woche mindestens einer. Regelmäßig stürzen sich Selbstmörder von der Brücke in den Tay.

Natürlich wird das V&A das nicht einfach richten können. Und ebenso natürlich ist das Museum ein Politikum. Die Bewohner der Stadt haben mehrheitlich für die schottische Unabhängigkeit und gegen den Brexit gestimmt. Der industrielle Norden Großbritanniens fühlt sich traditionell von London abgehängt und ausgenutzt, auch in Sachen Kultur ist es ein zentralistisches Land. Da ist das V&A mit seinem schottischen Schwerpunkt ein Signal.

Vor 20 Jahren sah es hier noch ziemlich düster aus

350 000 Besucher soll das Museum pro Jahr anziehen. Möglichst viele der auswärtigen Besucher sollen hier übernachten. Was sie inzwischen auch gepflegt können. Reisende, die vor 20 Jahren in die Stadt kamen, sahen zu, dass sie schnell wieder verschwanden. Düster, dreckig, ungemütlich, war der Eindruck. Heute können sie im Malmaison unterkommen; die Boutique-Hotelkette ist in ein historisches Gebäude aus den goldenen Zeiten der Stadt gezogen, das jahrelang leer stand. Vor drei Monaten hat Indigo eine Hotelfiliale in einer früheren Jutefabrik eröffnet, mit ausgezeichnetem Restaurant. Die kulinarische Szene entwickelt sich allmählich.

Der Bahnhof gegenüber vom V&A wurde überholt und mit einem Allerweltshotel ausgebaut. Das Ergebnis: unterdurchschnittlich. Auch der Blick von der Innenstadt aufs neue Museum ist nicht so schön, wie die Einwohner es gern hätten. Eine Baustelle steht im Weg, ein Büro ist im Werden. Und es wird nicht das letzte sein. Kulturstadtrat Stewart Murdoch zuckt mit den Achseln: Das ist der Preis. Ohne Investoren und ihre Architektur wäre die Entwicklung der acht Kilometer langen Riverfront, die insgesamt eine Milliarde Pfund kosten und 30 Jahre dauern soll, nicht möglich.

Das Museum ist der Höhepunkt einer Entwicklung

Das V&A ist kein Ufo. Es ist der Höhepunkt eines Prozesses, aber weder ihr Anfang noch ihr Ende. Begonnen hat der Umschwung vor knapp 20 Jahren, mit der Gründung des DCA, das mehr ist als ein internationales Zentrum für zeitgenössische Kunst: eine Druckwerkstatt für alle, ein Programmkino, für das Filmfans auch von weither anreisen, ein Shop, in dem man die Produkte einheimischer Designer kaufen kann. Bis in den späten Abend brummt das Museumsrestaurant.

Dass Dundee 2014 als erste Stadt Großbritanniens zur Unesco City of Design ernannt wurde, hat ebenfalls für Auftrieb gesorgt. Die quirlige Anna Day kümmert sich zusammen mit Murdoch darum, dass der Titel, der neben Aufmerksamkeit auch internationale Kooperationen bedeutet, mehr als ein Label bleibt. So organisiert sie ein alljährliches Designfestival in einer stillgelegten Druckerei des Verlagshauses Thomson, das sich zum Kreativzentrum entwickeln soll. Anna Day schätzt Dundee als Stadt der kurzen Wege: Man kennt sich, unterstützt sich.

Wer sich die Mühe macht, aus der steinernen Stadt auf den Law zu steigen, den erloschenen Vulkan – beliebtes Ausflugsziel für Kindergeburtstage und Liebespaare –, blickt auf grüne Hügel ringsum. Dundee hat einen eigenen Strand, auf der anderen Seite des Tay liegt St. Andrews, die renommierte Uni, an der Prinz William und Kate sich kennenlernten. Und nicht weit dahinter stößt man auf idyllische Fischerdörfer, in denen sich Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle niedergelassen haben. Eine Atmosphäre wie einst in Cornwall, bevor es vom Tourismus überrollt wurde, erzählt eine Engländerin.

Von einer solchen Welle wird Dundee wohl verschont bleiben. Aber die Immobilienpreise steigen schon.

Ankommen: Mit Easyjet nach Edinburgh, dann eine gute Stunde mit dem Zug

Ausspannen: Cream tea im Parlour Café an der Uni oder im Countryhouse-Hotel Taypark House. Mehr unter visitscotland.com, vam.ac.uk.dundee, dundee.com

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