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Sommerglück. Hier hat Hölderlin selige Wochen mit seiner geliebten Susette verbracht. Die Diotima-Insel erinnert daran.

© horst@horsthamann.com

Ostwestfalen: Lustwandeln in Bad Driburg

Grün, grüner, dunkelgrün: Ein Hotel mitten im englischen Landschaftspark vereint Ayurveda und Kurorchester.

Glück gehabt. Die Quelle macht gerade Mittagspause. In der Wandelhalle kann der „Säuerling“ erst wieder gezapft werden, wenn man schon auf dem Rückweg ist. Sonst hätte man es doch noch probieren müssen, das heilsamste der heilsamen Wässerchen, Rabe genannt, von dem eine Frau sagt, es schmecke wie Nasenbluten. Der für die Mayr-Fastenkur zuständige Arzt schwört darauf. Warmduschende Genießer wie unsereins begnügen sich mit der in Flaschen abgefüllten milden Heilquellen-Version, die dem Gast bei der Ankunft zur Begrüßung angeboten wird. Denn mit dem Wasser fing in Bad Driburg alles an.

Ostwestfalen, das klingt nach Ende der Welt, so fühlt es sich bei der Anreise auch an: Viereinhalb Stunden dauert die Fahrt von Berlin mit dem Zug. Und das ist die schnelle Verbindung. „Slow“ und „Flow“, die Zeitschriften, die in der Bahnhofsbuchhandlung liegen, braucht man nicht mehr. Mit der Bummelbahn geht es ab Göttingen durch Wiesen, links und rechts türmen sich die Wälder, grün, grüner, dunkelgrün, einmal hält der Zug an einer blühenden Kastanie.

Vom Bahnhof Bad Driburg läuft man in zehn Minuten zum Park, lässt die Stadt links liegen: 70er-Jahre-Charme, Tanztee mit Heinz, eine große Baustelle macht die Sache auch nicht charmanter. An der Kirche biegt man ein in den Park, wird von herrschaftlichen, jahrhundertealten Bäumen begrüßt sowie vom zehn Jahre jungen Staudengarten des Holländers Piet Oudolf, der durch seine Bepflanzung der New Yorker Highline international bekannt wurde. Große weite ländliche Welt.

Der Gräfliche Park ist ein idyllisches Unikum

Die grün bewachsene Wandelhalle mit dem Brunnen bildet das Herzstück der Anlage. Dort kann man nicht nur trinken, sondern auch lauschen. Fast jeden Tag spielt ein ungarisches Trio auf, oft sogar zweimal, Polka, Tango, Klassik, nicht ganz rein, aber mit ungarischem Akzent. Dass es das noch gibt, ein richtiges Kurorchester!

Hereinspaziert ins 18. Jahrhundert.

Nicht, dass im Gräflichen Park Health & Balance Resort, wie das Kurhotel etwas sperrig heißt, die Zeit stehen geblieben ist. Wenn sie das wäre, dann gäbe es die 1782 von Caspar Heinrich von Sierstorpff gegründete Anlage nicht mehr. Spätestens mit der Gesundheitsreform, die Schluss machte mit dem Kurparadies BRD, wäre man untergegangen. Was außerordentlich schade gewesen wäre. Denn der Gräfliche Park ist ein idyllisches Unikum: das einzige private Kurbad Deutschlands, noch immer in Familienbesitz, in der siebten Generation.

Freiherr von Sierstorpff war ein schlauer Mann. Stück für Stück kaufte der weit gereiste Jurist Land, legte – gegen den Widerstand der Einheimischen – einen englischen Landschaftspark an, mit Alleen, Sichtachsen und geschwungenen Wegen. Ebenfalls peu à peu, nur wenn er Geld hatte, baute der gebürtige Rheinländer Badehäuser und Unterkünfte, aus Fachwerk oder mit Schindeln verkleidet, die heute unter Denkmalschutz stehen.

Noch immer in Familienbesitz. Der Gräfliche Park ist das einzige private Kurbad Deutschlands.
Noch immer in Familienbesitz. Der Gräfliche Park ist das einzige private Kurbad Deutschlands.

© horst@horsthamann.com

Früher wurde das Heilwasser mit Wein serviert

Die Weitläufigkeit der gutsähnlichen Anlage verführt nicht nur zum Lustwandeln durch den 64 Hektar großen Park, zum Wildgehege oder in den Rosengarten. Oder zur Hochzeit von Thomas und Nicole, in die man aus Versehen stolpert, weil man sich anfangs noch gern verläuft. Neuankömmlinge bekommen als Erstes einen Plan in die Hand gedrückt.

Die großzügige Dimension hat den Vorteil, dass die Menschen sich aus dem Weg gehen können: Jene, die kommen, um ein Wellnesswochenende mit Freundinnen oder dem Liebsten zu machen, diejenigen, die fasten, im neuen Ayurveda-Bereich kuren oder sich einem Medical-Check unterziehen, und jene, die feiern oder tagen wollen. Und schließlich die Spaziergänger aus dem Städtchen oder den umliegenden Kliniken, die sich ebenfalls im Park verlustieren, mit Rollator und Kinderwagen oder ohne, und auf der Terrasse des früheren Pferdestalls ein saftiges Stück Pflaumenkuchen mit Schlagsahne verschlingen.

Genussfreundlich ist der Gesundbrunnen seit jeher gewesen. Zu des Freiherrn Zeiten durften die Kurgäste das Heilwasser zumindest am Nachmittag mit Zucker oder Wein aufpeppen; letzterer wurde auch zum Mittagsmahl serviert. Böhmische Musiker begleiteten die plaudernden Wandelnden auf Schritt und Tritt bei ihrer Promenade durchs Grüne. Ganzheitlich, so nennt man den Ansatz heute: Körper, Seele, Geist und Sinne, allen soll es gut gehen. Dem Freiherrn, kurz vor seinem Tode für seine Verdienste zum Grafen befördert, scheint das Konzept ausgesprochen gut bekommen zu sein. Er wurde knapp 92 Jahre alt.

Im Sommer hat er sich immer unter die Gäste gemischt, sie begrüßt, sich mit ihnen an einen Tisch gesetzt. Auch seine Nachfahren, Graf Marcus und Gräfin Annabelle von Oeynhausen-Sierstorpff, die dem Anwesen in den letzten 20 Jahren neuen Schwung gegeben haben, wohnen mit ihren Kindern mittendrin.

Konzerte und Lesungen zwischen Meditation und Qi Gong

Auf der Pirsch. Zum Gräflichen Park gehört auch ein Wildgehege.
Auf der Pirsch. Zum Gräflichen Park gehört auch ein Wildgehege.

© horst@horsthamann.com

Man pflegt das Familiäre. Das gräfliche Wappen prangt auf Tüchern und Gläsern, beim Frühstück wird der Gast nicht nach der Zimmernummer, sondern nach dem Namen gefragt, bevor er sich Birchermüsli und Landleberwurst holt, ein frisch gebratenes Spiegelei bestellt und sich die Morgensonne durch die hohen Sprossenfenster ins Gesicht scheinen lässt. Draußen zieht die erste Walkingtruppe vorbei, es wird nicht die letzte bleiben, auch umliegende Kliniken nutzen das Areal. Zwei der zwölf Gärtner rupfen die verblühten Tulpen aus den Beeten, die mehrmals im Jahr komplett neu bepflanzt werden, nach allen Regeln der Gartenkunst. Der Gräfliche Park gehört zum Europäischen Gartennetzwerk.

Caspar’s heißt das helle Restaurant, wie der Freiherr, nach dessen Hund Oscar die Bar benannt wurde. Bis unter die hohe Decke reichen die mit alten Büchern der Familie bestückten Regale, sympathische Raumteiler, die dem Saal das Saalige nehmen. Natürlich werden auch zur westfälischen Potthucke, zur ayurvedischen Dhalsuppe oder dem Flanksteak „mit komprimierter Wassermelone“ mildes Caspar-Heinrich-Sprudelwasser kredenzt, das in einer benachbarten Anlage, zusammen mit einer hauseigenen Cola, zum Verkauf abgefüllt wird.

Es gibt noch andere Möglichkeiten, sich an Wasser zu erfreuen. Etwa schwimmenderweise im 25 Meter langen dampfenden Außenpool, mit eigenem Quellwasser gefüllt. Oder man legt sich in die Badewanne: eine Viertelstunde im warmen Kohlensäuremineralbad, das Herz, Haut und Kreislauf anregt. Die Bäume und das Sprossenfenster spiegeln sich so klar im Wasser, dass dieses undurchsichtig wird. Fast fühlt man sich ein wenig beschwipst von diesem prickelnden Perlen.

Aktuelle Pflichtlektüre: „Fräulein Nettes kurzer Sommer“

Solchermaßen belebt, könnte man danach im Park Schach spielen. Wenn man es denn könnte. Zu den weiteren Vergnügungen an Land gehören Tennisspielen (auf Asche oder Rasen), Golfen, Jagen oder, ganz faul, sich auf eine der weißen Gartenbänke zu setzen und zu lesen.

Aktuelle Pflichtlektüre: Karen Duves neuer Roman „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ über Annette von Droste-Hülshoff. Das Buch enthält mehrere ebenso muntere wie realitätsnahe Kapitel über die Kur der unter Kopfweh, Unterbauchweh, Augenweh und Fernweh leidenden Dichterin und ihrer Großmutter in Bad Driburg. Nach Annette ist hier auch ein mit Biedermeiermöbeln stilgerecht ausgestattetes Logierhaus benannt.

Wer damals nicht morgens um sechs schon mit dem Trinken begann, schaffte sein Pensum nie. Zwölf Becher am Tag sollte die Droste am Ende ihrer Kur bewältigen. Und spazieren gehen!, riet der Arzt.

Das muss man dem Gast des 21. Jahrhunderts, der nichts mehr als Ruhe sucht, nicht zweimal sagen. An der Roterle und der Sumpfeiche vorbei, landet man vor der bezaubernden Diotima-Insel, die die gartenbegeisterte Mutter des jetzigen Grafen in den Teich gesetzt hat, an dessen Ufer die Enten gerade kollektiv Mittagsschlaf halten. Hölderlin hat hier, im Kurbad, 1796 seinen wohl glücklichsten Sommer verbracht, mit der geliebten Susette Gontard, seiner „Diotima“.

„Leben bedeutet Weitergehen“

Daran erinnert die Diotima Gesellschaft, gegründet von der quirligen Gräfin Annabelle, die heute die Kulturtradition des Bades lebendig hält. Mag es die Sammlung des kunstliebenden Gründungsvorvaters, Rembrandt, Caravaggio & Co, schon lange nicht mehr geben – jetzt lädt die Hausherrin und Kunsthistorikerin zeitgenössische Künstler zu Ausstellungsprojekten ein, setzt Konzerte und Lesungen zwischen Meditation, Qi Gong und Rückengymnastik aufs Kurprogramm. Natürlich hat Karen Duve ihren Bestseller über Fräulein Nette hier vorgestellt, an diesem Sonntag liest Christian Berkel aus seinem Familienroman.

Gräfin Annabelle hat auch mit einer Innenarchitektin die Zimmer neu gestaltet und möbliert. Auf der Tapete blühen an Warhol erinnernde Tulpen. „Die alten Häuser“, sagt der indische Ayurveda-Arzt, der seine Heilkunst in sechster Generation ausübt, „haben alle ihre eigene Energie. Wie ein erfahrener Mensch. Aber man muss sie pflegen, damit sie diese abgeben.“

Was Vaidya Kumaran Rajsekhar ebenfalls sagt im Gespräch: „Leben bedeutet Weitergehen.“ Das gilt auch für das Resort, das den medizinischen Aspekt wieder stärker betont, mit westlichen wie östlichen Methoden. Da zur Unternehmensgruppe der Familie mehrere Rehakliniken gehören, hat man die ärztlichen Fachleute vor der Hoteltür. Allerdings sind die Angebote, auch zur Prävention, flexibler als vor 50 Jahren, reichen von ein, zwei Tagen Schnuppern bis zur zweiwöchigen Kur.

Nur die Sehnsucht, die bleibt immer gleich. Die Menschen kommen, wie der Badearzt anno 1792 schrieb, „um das Landleben zu genießen, von dem Joche des Geschäftslebens befreyet, einmal frei zu atmen.“ Und zur Freude des Großstädters, muss man, einmal angekommen, nirgendwo mehr hin.

Reisetipps für Bad Driburg

Hinkommen

Mit der Bahn je nach Verbindung in viereinhalb bis fünfeinhalb Stunden von Berlin aus. Sparpreis ab 26,90 Euro.

Unterkommen

Gräflicher Park Health & Balance Resort. Brunnenallee 1, Bad Driburg. Doppelzimmer mit Frühstück ab 84,50 Euro. Es gibt zahlreiche Arrangements, auch zum Heilfasten und für Ayurvedakuren: graeflicher-park.de

Das Hotel hat die Reise unterstützt.

Rumkommen

Für auswärtige Besucher kostet der Eintritt in den Park fünf Euro. Jeden Dienstag um 14.30 gibt der leitende Gärtner eine anderthalbstündige Führung. Von Bad Driburg aus bieten sich verschiedene Ausflüge an: zum Schloss Corvey (Weltkulturerbe); in den Teutoburger Wald, in dem Hölderlin so gerne wandern ging; zur Porzellanmanufaktur Fürstenberg; zum Hermannsdenkmal; nach Paderborn, mit seinem großen Computermuseum; in die Altstadt von Detmold; oder nach Herford, in das von Frank Gehry entworfene Museum für moderne Kunst und Design.

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