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Die gebürtige Niederländerin brachte Exotik auf die Bühne – was sie tat, war völlig neu.

© AFP

100. Jahrestag: Mata Hari oder die Verhaftung einer Verführerin und Spionin

Vor 100 Jahren wurde die Spionin Mata Hari enttarnt, wenig später hingerichtet. Noch heute fasziniert ihre Geschichte.

Von Andreas Austilat

Irgendwann zwischen ihren fallenden Schleiern verliert Marcel Lami seine Contenance. Das, was er hier auf offener Bühne zu sehen kriegt, zwischen „schmachtenden Brüsten“ und „feucht glänzenden Augen“, ist ja kein Striptease. Das ist eine Art getanztes Gebet, schreibt der Journalist hinterher im Pariser „Courrier Français“.

Lami wurde 1905 Augenzeuge eines der ersten Nackttanz-Auftritte von Mata Hari. Sein euphorischer Bericht vermittelt wenigstens eine leise Ahnung davon, was sich da abgespielt haben muss. Denn eigentlich ist man in Paris auch damals schon einiges an Bühnenerotik gewohnt. Mata Hari, zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt, steht am Beginn einer Tanzkarriere, die sie zu einer Berühmtheit im damaligen Europa macht. Trotzdem wäre ihr Name wohl nur noch einem kleinen Kreis ganz besonderer Liebhaber ihrer Kunst bekannt, wenn auf die von ihr zelebrierte Mischung aus Exotik und Erotik nicht noch ein großes Drama gefolgt wäre.

Am 13. Februar 1917, vor 100 Jahren, wird Mata Hari im Hotel Élysée Palace an der Champs Élysées verhaftet. Der Vorwurf lautet Spionage für Deutschland, gegen das Frankreich seit drei Jahren im Ersten Weltkrieg kämpft. Ein halbes Jahr später steht sie in einem Festungsgraben in Vincennes vor einem zwölfköpfigen Erschießungspeloton. Ihr bewunderter Körper landet zu Studienzwecken in der medizinischen Fakultät der Sorbonne.

Die schöne Spionin bewegt damals wie heute. So brachte der Stoff 1931 Greta Garbo, dem Shooting Star des frühen Tonfilms, den Beinamen „die Göttliche“ ein. Dieser Tage erst beweist Paulo Coelho mit seinem neuen Roman, dass das Thema immer noch quotentauglich ist. Und rechtzeitig zum 100. Jahrestag von Mata Haris Hinrichtung kündigt Frankreich neue Enthüllungen an: Bislang verborgene Akten sollen veröffentlicht werden.

Sie wurde 1876 als Margaretha Geertruida Zelle geboren

Wer aber war Mata Hari? „Ich wurde im Süden Indiens geboren“, verrät sie selbst 1905 dem staunenden Publikum, „in einer heiligen Stadt mit dem Namen Jaffuapatam“. Dort will sie auch ihren dem Gott Schiwa geweihten Tempeltanz gelernt haben. Tatsächlich erblickte sie 1876 im niederländischen Leeuwarden das Licht der Welt, und zwar nicht als Mata Hari, was im Malaiischen eine poetische Umschreibung für die Sonne ist, sondern als Margaretha Geertruida Zelle.

Die holländische Provinz verließ sie schon mit 19, als sie per Annonce einen 20 Jahre älteren holländischen Kolonialoffizier kennenlernt, heiratet und nach Java begleitet. Die Ehe scheitert, sie flieht aus der sie anödenden niederländischen Kolonie zurück nach Europa. Doch was soll sie hier tun, als alleinstehende Frau? In einer Zeit, in der aufgebrachte Pariser sogar der Doppel-Nobelpreisträgerin Marie Curie die Scheiben einwerfen, weil sie eine Affäre mit einem verheirateten Mann hat.

Margaretha Zelles Geschäftsidee scheint sie gegen gesellschaftliche Anfeindungen unverwundbar zu machen. Selbst gestandene Museums-Kuratoren murmeln angesichts ihrer Nacktheit etwas von Brahmanismus und heben ihre Schleiernummer in den Rang großer Kunst. Das lassen sich die Spitzen der Gesellschaft nicht zweimal erklären. Reihenweise buhlen sie um die Nähe der geheimnisvollen Frau mit dem für eine Holländerin erstaunlich exotischen Teint. Ihr schmeichelt das. Vor allem, wenn die Nähe mit einem gut gefüllten Bankkonto einhergeht.

Festgesetzt. Mata Hari am Tag ihrer Verhaftung am 13. Februar 1917.
Festgesetzt. Mata Hari am Tag ihrer Verhaftung am 13. Februar 1917.

© Wikimedia

Sie tanzt bald in Monte Carlo, in Wien und in Berlin. Aber wie das so ist mit einer guten Idee, schon bald räkeln sich zahlreiche marokkanische Bauchtänzerinnen, indische Schlangenbeschwörerinnen und ägyptische Kleopatras in europäischen Varietés. Mata Hari, die inzwischen auf die 40 zugeht und erste graue Strähnen in ihrem Haar bemerkt, ahnt, dass der Tag kommen wird, an dem ihr Publikum nicht mehr dem Moment entgegenfiebert, da der letzte Schleier fällt.

Sie hat Glück, als sie 1914 noch einmal ein Engagement am Berliner Metropol-Theater erlangt. Und Pech, weil dieses Stück nie aufgeführt wird. Denn im August beginnt der Erste Weltkrieg. Mittellos flieht die eben noch Umschwärmte als unerwünschte Ausländerin in die neutrale Heimat Holland.

Da bietet sich eine neue Chance: Der deutsche Konsul in den Niederlanden zahlt ihr 20.000 Francs, wenn sie sich in Paris ein wenig umhört. Mata Hari wird zu Agent H21 und mit unsichtbarer Tinte ausgestattet. Der einzige Weg aus den Niederlanden nach Frankreich führt per Schiff über England, denn die Front, die sich quer durch Europa zieht, kann auf dem Landweg keiner mehr überwinden. Beim Zwischenstopp in England erzählt sie den Beamten auf die Frage nach ihrer Herkunft eine ihrer exotischen Geschichten, die doch sonst so gut angekommen sind. Jetzt erregt sie Misstrauen. Der britische Geheimdienst hat sie fortan im Blick.

Sie erregt das Misstrauen der Briten

Mata Haris gravierender Fehler ist es, zu glauben, sie könne mit den Agenten der diversen Geheimdienste ebenso taktieren wie zuvor mit ihren Gönnern. Sie erkennt nicht, dass viele Offiziere nach zwei Kriegsjahren ziemlich humorlos sind und wenig gemein haben mit den galanten Männern, die in der Vorkriegszeit ihre goldenen Epauletten spazieren trugen.

Als das deutsche Geld alle ist, bemüht sie sich auch bei den Franzosen um einen Vorschuss, erregt erneut das Misstrauen der Briten. Und die Deutschen sind sich nicht mehr sicher, ob sie ihr Geld gut angelegt haben, weil die ersehnten Informationen ausbleiben. Sie sind es, die einen Funkspruch absetzen, der Mata Hari als H 21 kompromittiert und den die Franzosen mühelos entschlüsseln. Ob es Absicht war oder Fahrlässigkeit, ist bis heute unklar. Ebenso die Frage, was genau Mata Hari eigentlich verraten hat.

1917 schert das keinen. Die Schlacht an der Somme hat gerade eine Million Opfer gefordert. Und die französischen Truppen meutern, nachdem am Höhenzug Chemin des Dames eine weitere Offensive mit hunderttausenden Toten zusammengebrochen ist. Irgendjemand muss schuld sein. Warum nicht diese Tänzerin. Der Prozess wird sehr kurz.

Beinahe rührend wirken daneben die Versuche, Mata Hari posthum zu rehabilitieren. Zuletzt scheitert 2001 der Anwalt Thibault de Montbrial mit einem Revisionsantrag vor einem französischen Gericht. Mata Hari bleibt im Gedächtnis als schönste Spionin der Geschichte. Daran werden wohl auch neue Aktenfunde wenig ändern.

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