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Panorama: 35 Euro – von zwei Spendern

Die Johanniter sind enttäuscht über ausgebliebene Hilfe für Hochwasser-Geschädigte. Auch andere Organisationen klagen

Als im August 2002 die Elbe über die Ufer trat und in Deutschland Teile von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen verwüstete, war die Solidarität unter den Deutschen überwältigend. Viele engagierten sich vor Ort, schleppten Sandsäcke, räumten auf. Andere halfen mit Sachspenden oder Geld. Bei der ARD-„Bild“Fernsehgala kamen fast zwanzig Millionen Euro zusammen. Knapp 300 Millionen Euro sammelten allein die größeren Hilfsorganisationen. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) finanzierte aus den gespendeten 144 Millionen Euro den Katastropheneinsatz und investierte in Sofort- und Einrichtungshilfen und den Wiederaufbau, auch in Tschechien und Rumänien. Jeweils etwa 60 Millionen Euro nahmen Caritas und die Diakonie ein. Sie steckten das Geld in Einrichtungshilfen, den privaten und kleingewerblichen Aufbau. Vier Millionen Euro gingen ins Ausland.

Seit zwei Wochen stehen an der Elbe wieder viele Landstriche unter Wasser. Weil die Deiche hielten, wurden in manchen Orten wie in Lauenburg höhere Pegelstände gemessen als bei der Katastrophe vor vier Jahren. Doch ist die Lage nicht mit 2002 zu vergleichen. Und dies gilt sowohl für die Schäden als auch für die Spendenbereitschaft der Deutschen.

„Mit dem Geld, das bislang auf unserem Spendenkonto eingegangen ist, könnte man noch nicht einmal eine Tankfüllung bezahlen“, sagt Oliver Bruse, Sprecher der Johanniter Niedersachsen, die ein regionales Spendenkonto eingerichtet haben. Bei ihrem sächsischen Schwesterverband, der in der Sächsischen Zeitung und der Leipziger Volkszeitung zu Spenden aufgerufen hatte, gingen seit der Eröffnung des Spendenkontos am 5. April gerade einmal zwei private Spenden ein. Gesamtsumme: 35 Euro. „Dabei sind wir massiv auf Spenden angewiesen“, sagt der Sprecher der Johanniter Sachsen, Andreas Wöhrl. Zwar hat die sächsische Landesregierung am Dienstag ein Hilfspaket für die vom Hochwasser Betroffenen beschlossen, das unter anderem ein Darlehensprogramm und einen Härtefall- Fonds vorsieht. Doch „wir fürchten, dass eine Lücke bleibt“, sagt Wilma Bär, Landesvorständin des Verbands. Durch die Katastrophe von 2002 hätten viele Menschen in der Region ihre Versicherung verloren. Man sei nun allgemein etwas ratlos. Der Schaden sei erst abzusehen, wenn das Wasser abgeflossen und das Mauerwerk getrocknet sei.

Auch Rüdiger Unger, Geschäftsführer der DRK Sachsen, betont, dass die Schadenslage noch nicht feststellbar sei. Klar sei allerdings, dass die Situation insgesamt weit weniger dramatisch sei als 2002. Doch sei das Problem für den einzelnen Betroffenen nicht unbedingt geringer als damals. „In Bad Schandau sind etliche Wohnungen komplett mit Wasser durchspült worden. Wie die Versicherungen damit umgehen werden, ist noch völlig unklar. Wir sind in jedem Fall auf Spenden angewiesen.“

Vergangenen Donnerstag startete die DRK Sachsen unter dem Motto „Hochwasser 2006 – Nachbarn helfen“ einen regionalen Spendenaufruf. 30 000 Euro brachte der bislang ein. „Das ist noch ziemlich bescheiden“, sagt Unger. Auf Bundesebene gibt es vom DRK keinen Spendenaufruf. „Die Situation macht das nicht notwendig. Und es gibt keine Spendenbereitschaft“, stellt Lübbo Roewer, DRK-Sprecher, nüchtern fest. Bei der Spendenhotline des DRK habe bislang niemand angerufen, der den Geschädigten des Hochwassers helfen wollte. „Die Deutschen sind ja im allgemeinen ein sehr spendenfreudiges Volk. Ich denke, dass sie die Lage richtig einschätzen können“, sagt Roewer. Das DRK stehe in ständiger Rücksprache mit den Landesregierungen, und sollten diese um Hilfe bitten, würde es selbstverständlich noch einen Spendenaufruf starten, so Roewer.

Auch von der Caritas International, die bei der Jahrhundertflut 2002 stark engagiert war, gibt es keinen zentralen Spendenaufruf. „Es gab keine Nachfragen dazu“, erklärt Achim Reinke, Pressereferent der Caritas International: „Ich habe den Eindruck, dass die Leute vor Ort einen Umgang mit dem Hochwasser gefunden haben.“ Die katastrophale Lage habe 2002 den Einsatz der Caritas im Inland notwendig gemacht, dies sei aber ein Sonderfall gewesen. „Was wir anbieten können, ist der Einsatz von Trockengeräten, wenn das Wasser abgelaufen ist. Wenn die Nachfrage besteht“, sagt Reinke.

Bei der Caritas für das Bistum Dresden- Meißen schätzt man die Lage etwas anders ein. Referentin Claudia Kern erklärt, dass viele Menschen auf Spenden angewiesen seien, da ähnlich wie im niedersächsischen Raum Hitzacker-Dannenberg viele Bürger ohne Versicherungsschutz seien. Nach der Katastrophe hatten viele Versicherer den Versicherungsschutz gekündigt. „Ob das Wasser drei Meter im Haus steht, wie 2002, oder wie jetzt einen Meter, das ist egal“, erklärt Kern. „Die Arbeiten sind die gleichen.“ In Dresden hat die Caritas daher am 3. April einen lokalen Spendenaufruf gestartet. Aus privaten Spenden sind bislang 621 Euro eingegangen, an Spenden insgesamt 15 621 Euro.

Unter den großen Hilfswerken startete einzig die Diakonie Katastrophenhilfe einen zentralen Spendenaufruf. Lediglich 3500 Euro sind seit dem Aufruf am 3. April auf dem Konto eingegangen, sagt Diakonie-Sprecherin Gesine Wolfinger. Hinzu kommen 100 000 Euro, die die Diakonie selbst als Soforthilfe zur Verfügung gestellt hat. Da das Hilfswerk international tätig ist, wird diese Summe zwischen Deutschland und dem ebenfalls stark betroffenen Tschechien aufgeteilt werden. Über die Gründe für die geringe Solidarität kann Wolfinger nur Vermutungen anstellen: „Es gab von Anfang an die Tendenz zu sagen, dass es diesmal nicht so schlimm ist. 2002 gab es gleich diese dramatischen Bilder, wo Häuser und Brücken weggespült wurden. Diese Bilder fehlen jetzt.“

Dass das Hochwasser in der Berichterstattung wenig präsent war und darin ein Grund für die geringe Spendenbereitschaft liegen könnte, vermutet auch Josef Nerb, Professor für Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Nerb hat sich mit den emotionalen Folgen der Berichterstattung über Naturkatastrophen beschäftigt. Eine Rolle könne es aber auch spielen, dass bei vielen Menschen der Eindruck entsteht, dass die Katastrophe aufgrund der Erfahrung von 2002 hätte verhindert werden können. „Die Menschen fragen sich, warum nicht mehr getan wurde, und reagieren mit Ärger. Ärger führt aber – anders als Mitleid und Traurigkeit – nicht dazu, dass Menschen Geld spenden“, sagt Nerb.

In Sachsen waren in den letzten Tagen ehrenamtliche Helfer des DRK auf der Straße und in Einkaufszentren mit der Sammelbüchse unterwegs, erzählt Rüdiger Unger. „Was sie da teilweise von den Leuten zu hören bekamen, das war nicht schön. Ich würde mir eine etwas loyalere Stimmung wünschen.“

Diakonie Katastrophenhilfe, Konto 502 707, BLZ 600 100 70, Kennwort: Fluthilfe. Johanniter Niedersachsen, Konto 431 00 01, BLZ 370 205 00, Hochwasserhilfe 2006

Meike Fries

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