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Panorama: 80 Jahre und kein bisschen weiser

Pu der Bär feiert Geburtstag. Er gilt zwar als „Kreatur von geringem Verstand“ – aber geliebt wird der kleine Held trotzdem

Am Ende wird ein toter Mann in einem Pool treiben, ein sehr berühmter toter Mann. Doch das ist beinahe schon wieder eine andere Geschichte. Bis dahin haben Tiere das Sagen, vor allem ein Bär, ein Teddy-Bär namens Pu. Der allerdings sagt wenig. Meist sinniert er, wenn er nicht gerade auf dem Hinterkopf eine Treppe herunterpoltert – rumpeldipumpel – weil sein Freund Christopher Robin ihn hinter sich herschleift. Die Welt ist schon 1926 (Pus Geburtsjahr) ein ziemlich komplizierter Ort. Auch für Stofftiere: „Fragen, Fragen, immer nur Fragen“, singt Pu der Bär zuweilen. „Es kann der Käfer den Specht nicht ertragen./ Gib mir ein Rätsel auf; ich werde sagen:/ ,Da musst du jemand anders fragen.’“

In die Weltliteratur ist Pu der Bär, auch Winnie-the-Pooh genannt, als Wesen mit sehr geringem Verstand eingegangen. Dort rangiert neben dem Soldaten Schweijk als Gallionsfigur einer Gutmütigkeit, die ihre eigene, unwiderstehliche Intelligenz hat. Denn Pu macht in den Erzählungen seines Schöpfers, des britischen Schriftstellers Alan Alexander Milne, immer alles richtig, auch wenn er völlig falsch liegt. So hat Puh seit Erscheinen des ersten Bands heute vor 80 Jahren Generationen von Kindern als liebenswürdig-verlässlicher Kumpel in seinen Bann gezogen. Umtänzelt von Ferkel, seinem ängstlich-beherzten besten Kameraden, stapft er tapfer durch den Hundertsechzigmorgenwald, pflegt sein Unwissen und versucht ansonsten, sich nicht übermäßig aufzuregen. Denn das tun ja schon alle anderen.

Die anhaltende Bedeutung des Bären verdankt sich – neben der Disney-Vermarktung – auch Milnes verschrobenem erzählerischen Humor, der in der legendären Übersetzung durch Harry Rowohlt erst recht zu funkeln beginnt. Doch hat das Buch seine Tücken. Wesentliches wird ausgespart, der Plot geht in abstrusen Dialogen verloren, die Situationen entwickeln eine Eigendynamik, da ständig Missverständnisse um sich greifen. So vieles missglückt auch dem Bär: Bei dem Versuch, ein im Baum verstecktes Bienennest zu plündern, hängt er sich an einen Luftballon und muss von Christopher Robin mit einem Gewehr vom Himmel geschossen werden. Er stürzt in Stechginsterbüsche, ertrinkt beinahe, bleibt in einer Kaninchenhöhle stecken und fällt mit einem Honigtopf über dem Kopf in eine tiefe Grube. Trotzdem ist er ein Held. „Pu fand“, schreibt Milne einmal, „dass er etwas Hilfreiches sagen sollte, aber er wusste nicht so recht was. Also beschloss er, etwas Hilfreiches zu tun.“

A. A. Milne kaufte – ein Jahr, bevor er die Stofftiersammlung seines Sohnes in ein literarisches Reich verwandelte – ein Landhaus in Hartfield, East-Sussex. Dessen Umgebung gab die Kulisse für Pus Abenteuer ab. Es wurde auch zum Refugium für einen Schriftsteller, dessen überragender Erfolg als Kinderbuchautor alle anderen künstlerischen Ambitionen überstrahlte und bald zur Belastung wurde. Aber nicht nur er, der mit Detektivgeschichten und Theaterstücken reüssiert hatte, auch sein Sohn Christopher Robin litt unter dem verklärten Bild, das Pus Taten in der Welt verbreiteten. Denn der junge Milne verbrachte eine von Kindermädchen umsorgte, geschwisterlose Jugend, ohne jede Nähe zu den Eltern. Der Vater begnügte sich, seinen vereinsamten Sohn als Inspirationsquelle zu nutzen.

Ende der sechziger Jahre geriet das Haus der Milnes erneut in die Schlagzeilen. Rolling-Stone-Gitarrist Brian Jones hatte es erworben. Am 3. Juli 1969 wurde er tot im Pool aufgefunden. Er fand sie wohl nicht, Pus Welt, in der Freundschaft etwas sehr Verlässliches ist. Sie macht ein Geräusch: rumpeldipumpel.

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