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Absturz von Flug 4U9525: Wie weiter nach der Katastrophe?

Noch sind viele Fragen zum Absturz des Germanwings-Flugs offen. Im Mittelpunkt steht neben den Ermittlungen und der Bergung auch die Frage, wie eine ähnliche Tragödie vermieden werden könnte. Würden neue Regeln eine Wiederholung verhindern?

Sechs Tage nach dem Absturz des Germanwings-Flugzeugs in den französischen Alpen mit 150 Toten kommen die Ermittlungen und die Bergung der Opfer voran. Die genaue Unglücksursache und die möglichen Motive des mutmaßlichen Absturzverursachers Andreas Lubitz geben nach wie vor Rätsel auf.

Wie gehen die Bergungsarbeiten voran?

Die Bergung der sterblichen Überreste der Absturzopfer hat absoluten Vorrang. „Es gibt die Hoffnung, das bis Ende kommender Woche zu machen, das ist für uns die Dringlichkeit“, sagte Staatsanwalt Brice Robin am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Mediziner arbeiten an der Identifizierung derer, die schon ins Tal gebracht wurden. Nach Angaben von Robin sicherten die Ermittler inzwischen die DNA von 78 Menschen. Diese solle zur Identifizierung der Toten mit DNA-Proben von Familienangehörigen abgeglichen werden. Laut „Bild am Sonntag“ wurden auch Leichenteile des Kopiloten gefunden, diese seien bereits durch einen DNA-Abgleich identifiziert worden. Bestätigt ist dies aber bisher nicht. Wenn die Leichen und Leichenteile wie erhofft binnen sieben Tagen geborgen seien, wollten die Ermittler in einer zweiten Phase Wrackteile sichern, die für die Recherchen nötig seien.

Welche Erkenntnisse gibt es über die Absturzursache?

Bisher wurde nur der Sprachrekorder geborgen. Die Annahme, dass Kopilot Andreas Lubitz die Maschine mutwillig zu Absturz brachte, stützte sich insbesondere auf die Auswertung des Tonbandes. Danach hatte der Flugkapitän die Pilotenkanzel verlassen, um die Toilette aufzusuchen. Danach ging die Maschine in einen kontrollierten Sinkflug direkt auf das Bergmassiv über. Dass der Kopilot ein Öffnen der gepanzerten Cockpittür gezielt verhinderte, schließen die Ermittler aus der Tatsache, dass auf dem Tonband kein Ton der Türklingel zu hören ist. Diese ist nur dann deaktiviert, wenn der entsprechende Schalter auf „komplette Türblockade“ steht. Hätte sich der Schalter dagegen im Normalmodus befunden und Lubitz die Tür wegen Unwohlseins nicht freigeben können, hätte die Klingel nach Eingabe des Notfallcodes von außen 30 Sekunden lang geschrillt, danach hätte sich die Tür in einem Zeitfenster von fünf Sekunden öffnen lassen.

Nachdem Polizei und Staatsanwaltschaft inzwischen Hinweise auf physische und psychische Erkrankungen von Andreas Lubitz sowie zerrissene Krankschreibungen fanden, wird man jetzt weiter im Umfeld und in der Vergangenheit des Kopiloten nach möglichen Motiven suchen. Die Fahnder fanden bisher weder einen Abschiedsbrief noch ein Bekennerschreiben. Für Berichte, wonach der Kopilot unter starken psychischen Problemen und Sehstörungen gelitten haben soll, war bis Sonntag keine Bestätigung der Behörden zu erhalten.

Wie gehen die Ermittlungen jetzt weiter?

Die Ermittlungen durch die Luftfahrtbehörden unter Leitung des französischen Bureau d’Enquêtes et d’Analyses (BEA) dienen nach den Bestimmungen der internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) ausschließlich dazu, die Ursache des Flugzeugabsturzes festzustellen – mit dem Ziel, eine Wiederholung zu verhindern. Dabei wird im Fall des Germanwingsfluges auch die Hypothese eines technischen Fehlers nicht ausgeschlossen, betonte der Ermittlungsleiter Jean Pierre Michel.

Neben der Auswertung des Cockpittonbandes und des bisher noch nicht gefundenen Flugdatenschreibers wird man auch prüfen, ob sich aus den Trümmern des Airbusses Rückschlüsse auf das Geschehen ableiten lassen. Angesichts des hohen Zerstörungsgrades der Maschine gilt es jedoch als unwahrscheinlich, dass sich hier noch die letzten Stellungen von Instrumenten oder Schaltern rekonstruieren lassen. Die sterblichen Überreste der Piloten werden unter anderem auf Rückstände von Drogen oder Medikamenten untersucht. Binnen eines Jahres muss die Behörde zumindest einen Zwischenbericht vorlegen.

Parallel dazu haben die Staatsanwaltschaften in Marseille und Düsseldorf Ermittlungen hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortung für den Absturz eingeleitet. Diese werden sich vor allem mit den möglichen Motiven des Kopiloten befassen.

Wie genau laufen die ärztlichen Untersuchungen bei Piloten?

Wer Berufspilot werden und es bleiben will, muss sich eingangs und dann regelmäßig einmal im Jahr, ab 40 Jahren sogar halbjährlich medizinisch untersuchen lassen. Diese Erst- und Verlängerungsuntersuchungen, nach einer Auszeit auch die Erneuerungsuntersuchungen dürfen nur bei Ärzten stattfinden, die vom Luftfahrtbundesamt (LBA) zugelassen sind.

Anwärter und Piloten haben dabei zwei Möglichkeiten: Entweder sie gehen in eines der acht Flugmedizinischen Zentren oder zu einem Fliegerarzt. Eines der Zentren befindet sich in Berlin im Vivantes Klinikum im Friedrichshain, weitere sind in Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart, Fürstenfeldbruck, Hamburg und Ettlingen. Der Medizinische Dienst der Lufthansa mit seinen beiden Standorten am Frankfurter Flughafen und in Hamburg gehört dazu. Fliegerärzte gibt es nach der Liste beim LBA knapp 500, viele von ihnen dürfen aber nur Privatpiloten untersuchen. Es sind allesamt Fachärzte mit einer Zusatzausbildung, die alle drei Jahre aufgefrischt werden muss. Die Ärzte sind verpflichtet, das Ergebnis der Untersuchungen an die LBA weiterzuleiten.

Nach den europäischen Vorschriften muss das Tauglichkeitszeugnis zusammen mit einem Bericht übermittelt werden; allerdings ist in Deutschland noch nicht geregelt, was in diesem Bericht konkret stehen soll, weshalb das LBA bislang nur verlangt, die Tauglichkeitsbestätigung oder die Feststellung der Untauglichkeit zu übermitteln. Der Rest fällt dann unter die ärztliche Schweigepflicht, doch müssen die Fliegerärzte die Einzelheiten der Ergebnisse bei sich dokumentieren. An den Arbeitgeber gelangen über das LBA damit keine Krankendaten, sondern nur die Information, ob die Lizenz verlängert oder verweigert wurde – ohne Nennung von Gründen.

Wozu sind Piloten verpflichtet – und wann erlischt eine Fluglizenz?

Piloten sind verpflichtet, auch außerhalb der jährlichen Pflichtuntersuchung einen Flugarzt aufzusuchen, wenn sie einen chirurgischen Eingriff hatten, wenn sie begonnen haben, regelmäßig Medikamente einzunehmen, oder auch, wenn sie erstmals eine Brille benutzen müssen. Dann muss geklärt werden, ob die Lizenz dennoch weiter bestehen kann. Den Fliegerärzten muss eine eventuelle Krankengeschichte aufgedeckt werden, auch die Ergebnisse von Untersuchungen und Tests bei anderen Ärzten. Das hat Kopilot Lubitz, der in Düsseldorf offenbar schon länger in Behandlung war und auch entsprechende Krankschreibungen hatte, möglicherweise unterlassen – er reichte ja auch die Atteste nicht an Germanwings weiter.

Bei psychischen Störungen, die durch Alkohol oder Medikamente bewirkt sind, erlischt die Lizenz zumindest vorübergehend. Im Fall einer schizophrenen Erkrankung darf sie gar nicht erteilt werden. Bewerber mit Affektstörungen, Neurosen, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen müssen sich einer „zufriedenstellenden psychiatrischen Beurteilung“ unterziehen, wie es in der EU-Verordnung heißt. Das Tauglichkeitszeugnis darf dann auch nicht mehr durch Fliegerärzte ausgestellt werden, sondern nur noch durch das Luftfahrtbundesamt als Genehmigungsbehörde. Besonders wichtig sind auch die Augenuntersuchungen, hier gibt es detaillierte Vorgaben. Sollte es also stimmen, dass bei Lubitz eine Kombination von Augenproblemen („Bild am Sonntag“ nannte eine Netzhautablösung) und psychischen Störungen vorlag, so musste er damit rechnen, bei der nächsten flugmedizinischen Untersuchung im Juni die Lizenz zumindest für einige Zeit zu verlieren.

Hätten behandelnde Ärzte den Hinweis auf psychische Störungen an den Arbeitgeber weiterleiten müssen?

Nein, es sei denn, es hätte eine Indikation vorgelegen, die unter die „Möglichkeiten der gerechtfertigten Offenbarung“ fällt, wie sie die Regeln der Ärztekammern vorsehen. „Wenn der Arzt sieht, dass eine Gefahr für Dritte besteht, darf er die Schweigepflicht brechen“, erklärt dazu der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der selbst Mediziner ist. Eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht ist aus Lauterbachs Sicht daher nicht notwendig, die bestehende Rechtslage reiche aus. Ärzte müssten sich aber viel klarer vor Augen führen, dass die Schweigepflicht in einer Situation keinen Platz hätte, in der eine „gegenwärtige Gefahr“ besteht (so die Formulierung in den Vorschriften). Ein Beispiel ist die Offenbarung einer Geisteskrankheit, die eine Unterbringung erfordert. Ob das bei Lubitz der Fall gewesen wäre, müssen die Ermittlungen zeigen. So ist unklar, ob die Ärzte, bei denen er wegen seiner Augenprobleme und seiner psychischen Schwierigkeiten war, überhaupt wussten, dass er Berufspilot war.

Welche Konsequenzen folgen für die Luftfahrtbranche aus dem Unglück?

Die deutschen Luftverkehrsgesellschaften, aber auch diverse ausländische Airlines haben in den letzten Tagen bereits die Zwei-Personen-Regel eingeführt. Verlässt einer der beiden Piloten das Cockpit, muss sein Platz jetzt durch einen Flugbegleiter eingenommen werden. Das gilt in den USA bereits seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001, ist aber bisher kein internationaler Standard. Ein Flugbegleiter kann zwar nicht in die Steuerung der Maschine eingreifen, doch durch seine Anwesenheit zumindest eine psychologische Hemmschwelle für einen potenziellen Selbstmörder darstellen. Ob sich eine Tat so tatsächlich verhindern lässt, ist fraglich. Zumindest könnte der Flugbegleiter versuchen, die Türblockade aufzuheben. Allerdings konnte 1999 – als es noch keine Panzertüren gab – ein ins Cockpit zurückeilender Flugkapitän einer Boeing 767 der Egypt Air den offenkundig von seinem Kopiloten eingeleiteten Absturz auch nicht mehr verhindern.

Was wird darüber hinaus an Maßnahmen erwogen?

Die neu eingeführte Zwei-Personen-Regel ist der hastige Versuch, das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen – ihnen das Gefühl zu geben, nicht einem einzelnen Menschen ausgeliefert zu sein. Das Vieraugenprinzip ist eine einfach und schnell zu realisierende Maßnahme. Andere Ideen sind weitaus aufwendiger. Technisch ist es möglich, ein Flugzeug vom Boden aus fernzusteuern. Die Möglichkeit, dass ein Pilot am Boden dem Piloten in der Luft im Notfall die Kontrolle aus der Hand nimmt, ist jedoch bisher nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Denn es müssten überall Piloten in Bereitschaft sitzen und es bestünde die Gefahr, dass sich auch Terroristen in die Fernsteuerung hacken könnten. Da im Fall der Germanwings-Maschine nur acht Minuten zwischen Einleitung des Sinkfluges und Aufprall vergingen, wäre die Reaktionszeit auch viel zu kurz gewesen.

Um Flugzeugkatastrophen besser aufklären zu können, wird auch immer wieder die Möglichkeit diskutiert, die Daten der Flugschreiber permanent zur Bodenstation zu übertragen. Das wird insbesondere von den Pilotenverbänden wegen des Eingriffs in die Privatsphäre der Crews abgelehnt. Das bisherige Cockpittonband hat nur eine kurze Laufzeit und wird dann immer wieder überspielt.

Die Piloten selbst warnen vor hektischem Aktionismus. Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit begrüßte zwar das schnelle Handeln der deutschen Airlines beim Thema Vieraugenprinzip. Die Sicherheit im Flugverkehr sei ein hohes Gut betonte betonte Ilja Schulz, Präsident der Vereinigung Cockpit, gegenüber dem "Handelsblatt". Doch zugleich warnte der Piloten-Verband davor, die Cockpit-Crews grundsätzlich in die Ecke zu stellen. „Mein Vertrauen in die Piloten sowie die sorgfältige Auswahl, Ausbildung und Qualifikation bleibt auch nach dem tragischen Flug 4U9525 ungebrochen und ist die Basis für die sichere Flugdurchführung.“ mit cvs/dpa/HB

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