zum Hauptinhalt

Absturz von Germanwings-Flug 4U9525: Warum durfte der Co-Pilot Andreas Lubitz fliegen?

Andreas Lubitz war schon vor seiner Karriere als Pilot in psychiatrischer Behandlung und galt als selbstmordgefährdet. Wieso durfte er dennoch fliegen?

Der Staatsanwaltschaft liegen neben den Unterlagen verschiedener Arztpraxen seit Montag nun auch die Akten der Uni-Klinik Düsseldorf über den Co-Piloten vor, der nach bisherigen Erkenntnissen den Airbus mit 150 Menschen an Bord absichtlich zum Absturz brachte. Ersten Erkenntnissen zufolge, die dem Tagesspiegel vorliegen, litt Andreas Lubitz an einer psychosomatischen Erkrankung. Laut der Staatsanwaltschaft war er auch schon vor der Erlangung seines Pilotenscheines in psychotherapeutischer Behandlung und wurde damals als selbstmordgefährdet eingestuft. Immer dringlicher stellt sich deshalb die Frage, warum es nicht zu einer Entziehung des Pilotenscheins gekommen ist, ja warum Lubitz überhaupt ein Tauglichkeitszeugnis bekommen hat.

Was sagen die Vorschriften für die Zulassung von Piloten?

Nach der europaweit geltenden Verordnung der Flugsicherheitsbehörde Easa sind Bewerber um einen Pilotenschein mit vorsätzlicher Selbstbeschädigung in der Krankengeschichte, also einem Selbstmordversuch, „als untauglich zu beurteilen“. Ob Lubitz tatsächlich versucht hat, sich in jüngerem Alter umzubringen, ist unklar. Weiter heißt es in der Passage der Verordnung, in der es um psychiatrische Ausschlussgründe in solchen Fällen geht: „Bewerber müssen einer zufrieden stellenden psychiatrischen Beurteilung unterzogen werden, bevor erwogen werden kann, sie als tauglich zu beurteilen.“ Das bedeutet, dass bei Lubitz eine solche psychiatrische Beurteilung positiv ausgefallen sein könnte – wenn denn seine Krankengeschichte den ärztlichen Prüfern und dem Luftfahrtbundesamt als Zulassungsbehörde bekannt gewesen war.

Allerdings heißt es im Kapitel zu den psychiatrischen Anforderungen für ein Tauglichkeitszeugnis, dass Bewerber um einen Pilotenschein ihrer Krankengeschichte oder klinischen Diagnose zufolge „weder angeborene noch erworbene akute oder chronische psychiatrische Erkrankungen, Behinderungen, Abweichungen oder Störungen aufweisen“ dürften, welche „die sichere Ausübung“ der mit der Lizenz verbundenen Aufgabe beeinträchtigen könnten. Es stellt sich damit die Frage, ob Lubitz einerseits die Fliegerärzte, welche die Zulassungstests durchführen, getäuscht hat, während er andererseits bei behandelnden Fachärzten offenbar Hilfe suchte.

In welchen Fällen dürfen Ärzte ihre Schweigepflicht brechen?

Die Schweigepflicht leitet sich ab vom Artikel 1 des Grundgesetzes, der die allgemeinen Persönlichkeitsrechte jedes Menschen schützt. „Nach dem Berufsrecht der Ärztekammern haben Ärzte über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist, auch über den Tod des Patienten hinaus zu schweigen“, sagt Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Andernfalls drohen sogar Freiheitsstrafen.

Ärzte sind nur dann berechtigt und verpflichtet, die Schweigepflicht zu brechen, wenn der Patient dies ausdrücklich erlaubt oder es konkrete Hinweise gibt, dass sich der Patient selbst oder Mitmenschen gefährden könnte. Bei Patienten mit psychischen Erkrankungen ist das in der Regel die Selbstmorddrohung, die dann meist zur Einweisung in eine geschlossene Klinik führe, sagt Moritz Petzold, Psychologe in der Angstambulanz an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité. Allerdings müssen dafür hinreichend konkrete Pläne oder andere Anzeichen für einen bevorstehenden Selbstmord bestehen.

Welche Folgen hätte eine Lockerung der Schweigepflicht?

Die Schweigepflicht einzuschränken, würde das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient einschränken und könnte weitreichende Folgen haben. So sind Ärzte sogar verpflichtet, Angehörige eines Patienten mit einer Infektionskrankheit wie Aids zu warnen. Doch ist niemandem geholfen, wenn Aids-Patienten sich nicht mehr in Behandlung begeben. Deshalb müssen Ärzte zunächst versuchen, den Patienten davon zu überzeugen, Angehörige selbst zu informieren.

Auch von Seiten der Piloten wird eine Lockerung der Schweigepflicht vehement abgelehnt. Wenn sie berufliche Nachteile befürchten müssten, würden die Kollegen überhaupt nicht mehr zum Arzt gehen, befürchtet der Sprecher der Vereinigung Cockpit, Jörg Handwerg. Bei der jährlich vorgeschriebenen Kontrolle durch den Fliegerarzt, der einem Piloten die Flugtauglichkeit entziehen kann und das ohne Nennung einer Diagnose dem Luftfahrtbundesamt mitteilen muss, spielt die Psyche nur eine untergeordnete Rolle. „Mit Demut müssen wir anerkennen, dass auch die besten und umfangreichsten Untersuchungsmethoden nie eine hundertprozentige Sicherheit bringen werden“, schreibt der Vorstand des Deutschen Fliegerärzteverbandes auf seiner Website.

Dürfen krank geschriebene Arbeitnehmer zur Arbeit gehen?

Lubitz hat seinen Arbeitgeber nicht über seine Krankschreibung am Unglückstag informiert und ist zur Arbeit erschienen. Das machen auch andere Arbeitnehmer. Normalerweise ist das kein Problem. „Ein Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, eine Krankschreibung zu befolgen“, sagt die Berliner Arbeitsrechtlerin Anja Mengel. Wer etwa wegen einer Erkältung oder Rückenbeschwerden krank geschrieben ist, kann trotzdem zur Arbeit gehen oder aber vorzeitig wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren.

Als Beschäftigter ist man dennoch gesetzlich unfallversichert, der Arbeitgeber muss den krank geschriebenen Mitarbeiter nicht nach Hause schicken. Anders sieht es aus, wenn die Arbeit riskant ist und der Arbeitnehmer nicht nur sich selbst, sondern auch Dritte gefährdet. Je risikoträchtiger der Job und je mehr Dritte geschädigt werden können, desto strenger sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Arbeitsfähigkeit prüfen. „Am sichersten agiert der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer bei Existenz eines Attests nicht arbeiten lässt“, sagt Mengel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false