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Panorama: Am Ende mit ihrer Kraft

Die Öffentlichkeit braucht Schuldige – und einige sind mit Zuweisungen sehr schnell zur Stelle

Als der Mann vom Fernsehen den Landrat Georg Grabner noch einmal zurechtrückt, damit er exakt den Mittelpunkt des Bildausschnitts abgibt, wirkt Grabner wie eine Schaufensterpuppe. Er lässt alles mit sich geschehen. Noch ein Stückchen. Jetzt passt es. Grabner steht in der Nacht zum Mittwoch noch einmal auf den Schneehügeln, von denen aus die Sender die Räumungsarbeiten in Bad Reichenhall beobachten. Es ist sehr hell da hinten auf dem Platz. Grabner sieht in die andere Richtung, ins Dunkle. Er schaut wie in einen Tunnel. Grabner hat jetzt zwei Tage nicht geschlafen, aber alle Leute wollen Antworten, und Grabner soll sie ihnen geben. Grabner hat aber gar keine Antworten.

Vielleicht müsste er das sagen, aber dann würde man ihn fragen, warum er keine Antworten hat. Grabners Haar ist ganz nass und seine Stimme hört sich an, als spräche ein leise gestellter Anrufbeantworter. Er nennt zweimal alle Daten und Fakten, die er kennt, einmal für die Tagesthemen, einmal für den Bayerischen Rundfunk. Das dauert. Die deutschen Techniker wollen heim, die Privaten nebenan machen gerade mal Pause mit der ganz groß inszenierten Aufregung: „Ciao, Baba und bis zum nächsten Mal“, verabschieden sich die Österreicher. Grabner hört das alles nicht. Als er fertig ist, rutscht er den Hügel hinunter und fällt in den Schnee. Aber auf Georg Grabner achtet hier kein Mensch mehr. Er hat gerade wieder seine Schuldigkeit getan. Keine „Schalte“, keine Fragen mehr. Grabner geht an den Polizisten vorbei durch die Absperrung und verschwindet hinter den Trümmerbergen ins Grauen.

Es gibt viele Menschen in Bad Reichenhall, die begreiflicherweise nicht gut damit zurechtkommen, dass ihnen jemand Wildfremdes ein Mikrofon unter die Nase hält und eine Antwort haben will. Manche sind nachts aus dem Bett geklingelt worden. Man wollte wissen: „Wie fühlen Sie sich?“ Was soll man da sagen als Reichenhaller Bürger? Soll man überhaupt was sagen? Andererseits gibt es genug, die es genießen, einmal kurz halbberühmt zu werden. Sie haben auch keine Antworten, wissen aber, wer an allem schuld ist, das ist immer gut und wird gerne genommen. Seriöse Nachrichtensendungen sind sich nicht zu schade, Stammtischgebräu ins Programm schwappen zu lassen.

In der Person des Oberbürgermeisters Wolfgang Heitmeier scheint jemand ausgemacht worden zu sein, dem man womöglich einiges in die Schuhe schieben könnte. Aber so einfach ist das natürlich nicht. Heitmeier kommt von den Freien Wählern und ist in Bad Reichenhall offenbar beliebt. Heitmeier will Oberbürgermeister bleiben, wenn im März wieder gewählt wird, jedenfalls bis jetzt. Er ist verantwortlich für das, was passiert ist. Politisch gesehen. Vielleicht hätte er das gleich zu Anfang sagen müssen, anstatt sich darauf zurückzuziehen, dass die vorgenommenen Messungen keinen Anlass zur größeren Besorgnis gegeben hätten. Und dass eigentlich alles in Ordnung gewesen sei. Heitmeiers Pranger sind die täglich mehrmals stattfindenden Pressekonferenzen, wo man schnell gemerkt hat, dass der Oberbürgermeister nach dem ersten großen Schock begann, sich rhetorisch einzumauern, schweigsam wurde. Bald schien sich eine Gleichung zu ergeben: Halle = Heitmeier. In Wirklichkeit jedoch hat Heitmeier im Stadtrat daran gearbeitet, dass die Halle abgerissen würde. Friedrich Hötzendorfer, ein besonnen wirkender Anwalt aus Bad Reichenhall und wie Heitmeier Mitglied des Stadtrates, kann in diesem Punkt einiges zur Aufklärung beitragen. Im Juni des vergangenen Jahres hatte sich eine Fraktionsübergreifende Mehrheit im Stadtrat für die Sanierung der Eislauf- und Schwimmhalle ausgesprochen. Hötzendorfer und Heitmeier waren dagegen. Berechnet waren 20 bis 25 Millionen Euro in zwanzig Jahren. Ein Investitionsprogramm wurde verabschiedet, ohne dass eine Gegenfinanzierung gesichert gewesen wäre. Saniert wurde nicht. Hötzendorfer und Heitmeier hätten gerne über ein Gutachten verfügt, das den Abriss der Halle nahe gelegt hätte. Aber auch Gutachten sind teuer. Es gab keines. Dass Heitmeier sich im Moment trotzig vor seine Stadt stellt, findet Hötzendorfer absolut nachvollziehbar: Es handle sich um einen „Verteidigungsreflex“: Nichts gegen meine Verwaltung. Was Heitmeier immer wiederholt, nämlich, dass eine Renovierung des Daches niemals im Stadtrat in Rede gestanden sei, kann Hötzendorfer nur bestätigen. Wer das Gegenteil behaupte, argumentiere „schlicht falsch“. Die Protokolle seien einzusehen. Nichts anderes behauptet Heitmeier seit drei Tagen. Es hört ihm nur fast keiner mehr zu. Hötzendorfer ist pessimistisch: „Der Unfall wird der Super-GAU für die Stadt, weil sich die Menschen entzweien werden. Da die Guten, dort die Schlechten.“ Hötzendorfers Ansicht muss nicht die ganze Wahrheit sein, aber sie ist ein Teil davon. Ungeklärt ist jedoch weiterhin, warum die Stadt die Eisläufer in der Halle beließ, nachdem das anschließende Training der Jugendeishockeymannschaft aus „Sicherheitserwägungen“ abgesagt worden war.

Gerade darüber wird viel geredet in der Stadt, doch tun sich manche noch immer schwer, überhaupt Worte zu finden für das Geschehene, wie zum Beispiel der Pfarrer von St. Zeno, Heinrich Bauer. Er war an der Unfallstelle und hat versucht, Trost zu spenden, wo der gefragt war. Er hat dann erlebt, wie in der ersten Nacht nach dem Unfall ein sechsjähriges Mädchen fast unverletzt aus den Trümmern gezogen worden ist, und dann hat Heinrich Bauer etwas getan, wovon man kein Bild machen sollte und keinen O-Ton herstellen kann: Er hat trotz allem dankbar gebetet und sich mit den anderen um ihn herum „still gefreut“.

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