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Panorama: Am Schluß alles getan

LASSING ."Die Einsatzleitung wird sich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, vor die Angehörigen der verunglückten Bergleute zu treten und ihnen zu sagen: Es tut uns leid, wir haben alles getan.

LASSING ."Die Einsatzleitung wird sich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, vor die Angehörigen der verunglückten Bergleute zu treten und ihnen zu sagen: Es tut uns leid, wir haben alles getan." Die Worte einer Fernsehreporterin charakterisierten die Atmosphäre in Lassing zweieinhalb Wochen nach dem verheerenden Grubenunglück wohl am besten wieder.Die Hoffnungen, noch Überlebende zu finden, sind auf Null gesunken.Doch ein schlechtes Gewissen wegen der zunächst zögerlichen Bemühungen um die Vermißten und die vielen Pannen vor allem zu Anfang der Suchaktionen machten es den Verantwortlichen schwer, den Angehörigen die Aussichtslosigkeit weiterer Bemühungen einzugestehen.

Ohnehin sind Ehefrauen, Kinder und Eltern der Vermißten bis an die Grenzen der nervlichen Zumutbarkeit belastet worden.Unvorstellbar ist das Wechselbad der Gefühle, das die Betroffenen in den letzten Tagen zwischen Hoffnung und Verzweiflung durchmachen mußten: Die Arbeiten am Rettungsschacht, die wenige Meter vor dem Ziel vorübergehend zum Erliegen kamen.Aufkeimender Optimismus, als schließlich eine Sondierungsbohrung zur Luftblase im "Dom" niedergebracht werden konnte, in dem die Verschollenen am ehesten vermutet wurden, sogar Gerüchte über Klopfzeichen.Und schließlich die niederschmetternde Nachricht, daß Bilder aus der Tiefe nur Schlamm und Gerätetrümmer zeigen, Untersuchungen mit hochempfindlichen Mikrophonen kein Anzeichen auf Leben ergaben.

Schlimmeres ist der menschlichen Psyche kaum zuzumuten.Die Angehörigen der Verschütteten von Lassing wurden in ihrer seelischen Not wenigstens nicht alleingelassen.Nicht nur das Mitgefühl und die Solidarität der Nachbarn im 2000-Einwohner-Ort Lassing, die wiederholt mit Demonstrationen Druck auf die Fortführung der Rettungsarbeiten gemacht hatten, begleitete die Tage der Unsicherheit.Seit Tagen kümmern sich außerdem Sozialarbeiter um die Verwandten der Verschollenen."Sie sind für uns da, hören sich geduldig immer wieder das Gleiche an, spenden Trost.Die Gespräche helfen uns sehr", lobte eine der Betroffenen den professionellen Beistand.

Junge Ehefrauen klammern sich an den letzten Funken Hoffnung auf ein Überleben der Väter ihrer Kinder.Die Organisatoren der Rettungsarbeiten allerdings müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, daß sie zu übersteigerten Erwartungen beigetragen haben."Nach meiner persönlichen Meinung sind sie tot, alle tot", hatte einer der Einsatzleiter bereits in der ersten Woche der Bergungsversuche mit wenig einfühlsamer Deutlichkeit öffentlich geäußert.Wenige Tage später - die Suche nach Überlebenden war offiziell gerade abgebrochen worden - wurde der 24jährige Georg Hainzl körperlich nahezu unversehrt geborgen.

Das "Wunder von Lassing" weckte neue Hoffnung.Von einem "Sieg der Menschlichkeit über die Technokraten, die nur nach ihren Wahrscheinlichkeitsrechnungen gehen", sprach hart am Rande des Populismus der österreichische Bundeskanzler Viktor Klima, dessen Regierung zuvor wenig beizutragen wußte, um das Kompetenzgerangel und die Koordinationsprobleme vor Ort zugunsten effektiver Bergungsversuche abzustellen.Auch Kostengründe mögen bei der anfänglichen Zögerlichkeit eine Rolle gespielt haben.

Doch nach Hainzls Rettung spielte Geld keine Rolle mehr, um internationale Hilfe und Geräte herbeizuschaffen.Von 30 Millionen Mark Kosten ist die Rede.In ihren Prognosen widerlegt, brachten die Experten zehn Tage nach der Katastrophe die Bergungsmaschinerie auf Hochtouren."Wir waren am Anfang zu sehr mit dem Aufbau organisatorischer Strukturen beschäftigt.Es wurde engagiert, aber nicht wirklich zielgerichtet gearbeitet", räumte Einsatzleiter Alfred Maier erstmals Fehler in der Anfangsphase der Rettungsarbeiten ein.

In den Blick gerät jetzt die Rolle, die der internationale Medienzirkus gespielt hat.Sommerlicher Themenmangel und die Erwartung quotensteigernden Sentiments ließen am Rande des abgesperrten Areals über der havarierten Grube rasch ein Camp für mikrophonreckende Berichterstatter und ihre mit Satellitenschüsseln bestückte Übertragungswagen entstehen."Ständig wurden Hoffnungen auf ein weiteres Wunder geschürt, die dann doch regelmäßig enttäuscht wurden", kritisiert das Wiener Wochenmagazin "profil".

Der Rummel entwickelte seine eigenen Gesetzmäßigkeiten und wirkte schließlich auf die Rettungsteams zurück.Es fanden sich selbsternannte Fachleute, die für ein Honorar von 300 Mark harte Beschuldigungen über angebliche technische Fehler bei der Bergung in die Kameras herumposaunten.Gerüchte, Spekulationen und Fakten verschmolzen zu einem ununterscheidbaren Konglomerat, das bei den Bürgern von Lassing immer wieder falsche Hoffnungen weckte und die Rettungsarbeiter unter unnötigen Druck setzte.So konnte nach außen der Eindruck entstehen, die Einsatzleitung habe mehr damit zu tun, Pressekoferenzen anzusetzen oder auch zu verschieben, als sich ihrer eigentlichen Aufgabe zu widmen.

Nach dem Abklingen der öffentlich zelebrierten Aufgeregtheit werden die Leute von Lassing zurückbleiben mit dem riesigen Krater, den die Urgewalt der Wassermassen beim Grubeneinbruch gerissen hat und in dem zwei Häuser versanken.Noch ist die Ursache für die Katastrophe nicht geklärt, noch ist die Frage offen, ob der Kraterrand im Ortsteil Moos tatsächlich stabilisiert ist.

Im Grazer Landeskrankenhaus erholt sich derweilen der gerettete Bergmann Georg Hainzl.Wenn Hainzl in den nächsten Tagen nach Lassing heimkehrt und die Begegnung mit den trauernden Angehörigen seiner verschollenen Kameraden verkraften muß, ist die Karawane der Sensationshungrigen vermutlich schon weitergezogen - vielleicht zu seinem Glück.

ULRICH GLAUBER

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