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Panorama: Anschwellender Boykottgesang

Die weltweiten Proteste gegen Coca-Cola werden stärker, der Konzern wird langsam nervös – Berliner Unis noch unentschlossen

Von Michael Schmidt

Berlin - Im Dezember 1996 wurde der kolumbianische Gewerkschaftsführer Isidro Segundo Gil auf dem Gelände eines Coca-Cola-Abfüllwerkes in Carepa von paramilitärischen Todesschwadronen ermordet. Jetzt, fast zehn Jahre später, macht sich in den Vorstandsetagen des Softdrink-Global-Players in Atlanta plötzlich Unruhe breit. Der Grund: anschwellender Boykottgesang.

Weltweit treten immer mehr Universitäten, Ämter und Betriebe in den Brausestreik. In den USA, Kanada, Großbritannien und Irland haben mehr als 20 Universitäten dem Konzern auf ihrem Campus den Hahn bereits abgedreht oder denken darüber nach, ihre millionenschweren Verträge mit Coca-Cola auf Eis zu legen. In Italien wurden die Läufer des olympischen Fackellaufs an fast jedem Etappenziel von Demonstranten erwartet. Stadtteilräte in Turin, Rom und anderen Metropolen hatten sich mit Anträgen einzelner Abgeordneter zu befassen, wonach in öffentlichen Gebäuden keine Produkte des Hauptsponsors der Spiele mehr ausgeschenkt werden sollten. Und auch in Deutschland, Austragungsort der Fußball-WM 2006, sponsored by Coca-Cola, keimt Protest. Die Berliner Freie und die Humboldt-Universität haben noch keine Pläne, der Asta der Technischen Universität immerhin weiß von studentischen Initiativen für Informationskampagnen zu berichten. Und der Bundeskongress der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat nach Auskunft von Pressesprecher Jan Jurczyk bereits 2003 beschlossen, „bei eigenen Veranstaltungen auf Produkte der Cola-Company zu verzichten“.

Die Aktionen sind Teil einer internationalen Kampagne, die von der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal initiiert wurde. Sie beschuldigt den Getränkegiganten, zwischen 1990 und 2005 an der Ermordung von neun Sinaltrainal-Mitgliedern in Carepa, Bucaramanga und anderswo beteiligt gewesen zu sein. Das Unternehmen habe Gewerkschafter zum Austritt gezwungen, sagt Raul Zelik von der Kolumbienkampagne Berlin, habe ihre Monatsgehälter von 600 auf 130 Dollar gekürzt und den Kündigungsschutz aufgehoben. „Murder – It’s the real thing“ lautet der Slogan der Kampagne gegen „Killer-Coke“, in Anlehnung an die Werbung für die Brause.

Für den Weltkonzern mit einem Jahresumsatz von mehr als 23 Milliarden Dollar geht es dabei um viel Geld. Schwerer noch dürfte wiegen, dass der Ruf des Getränkegiganten auf dem Spiel steht. Coca-Cola gehört zu den bekanntesten Markenartikeln der Welt. Der geschwungene weiße Schriftzug auf rotem Grund ist ein uramerikanisches Symbol jugendlicher Lebensfreude, unbeschwerten Genusses, grenzenloser Freiheit – bisher. Dass angesichts der Protest- und Boykottlawine bei Coca- Cola die Alarmglocken schrillen nimmt kaum Wunder: Beispiele, wie der Zorn von Konsumenten eine Marke beschädigen kann, gibt es genug, man denke nur an Nike und den Vorwurf der Kinderarbeit.

Was also tut der Brausehersteller? Coca-Cola will die Fußball-WM als globales Medienspektakel für sich nutzen. Allein den Titel „Offizieller WM-Partner“ lässt sich das Unternehmen Millionen kosten. Da sind imageschädigende Protestkampagnen gar nicht willkommen. Nach Jahren des Schweigens und Leugnens zeichnet sich deshalb ein Strategiewechsel ab. Man geht in die Offensive. PR-Fachleute schwärmen aus. Vergangene Woche war der Kolumbienexperte der Konzernzentrale, Pablo Largacha, auf Berlinbesuch. Die Lage in dem Andenstaat sei seit Jahrzehnten unübersichtlich, sagte Largacha dem Tagesspiegel. Linke Guerillas, rechte Paramilitärs, Drogenkartelle und Armee, ein Bürgerkrieg, dessen Allianzen sich stetig verändern, Gewalt allenthalben also. Gewalt, die sich vor allem gegen Gewerkschafter richte. In Kolumbien seien in den vergangen zwei Jahrzehnten rund 4000 Gewerkschafter ermordet worden. Aber Coca-Cola dafür mitverantwortlich zu machen, das sei „absurd“, sagte Largacha.

Zwei Ermittlungsverfahren in Kolumbien hätten keine Hinweise auf eine Mitschuld der Coca-Cola-Company ergeben. Das Urteil eines Gerichts in Miami zur Mitverantwortung des Abfüllermanagements stehe noch aus. Es gebe aber, versicherte Largacha, keine Einschüchterungen von Gewerkschaftsmitgliedern. Im Gegenteil: Die kolumbianischen Partnerfirmen arbeiteten mit zwölf Gewerkschaften eng zusammen, der Organisationsgrad liege bei über 30 Prozent und damit deutlich über dem Landesdurchschnitt, im Falle von Drohungen würden Sicherheitsmaßnahmen angeboten, man zahle das zwei- bis dreifache des Mindestlohns.

„Wir sind nicht schuldig im Sinne der Anklage“, bekräftigte Largacha – fügte dann aber hinzu, und das ist, was selbst Aktivisten wie Raul Zelik überrascht: „Aber wir haben den Schrei nach Hilfe verstanden.“ Coca-Cola werde nicht nur eine unabhängige Untersuchung in Kolumbien unterstützen, unter Beteiligung der Gewerkschaft Sinaltrainal. Coca-Cola werde darüber hinaus auch die Führung übernehmen im weltweiten Kampf für sichere und gute Arbeitsplätze: „Nicht nur bei uns, sondern in allen Bürgerkriegs- und Entwicklungsländern.“

Der Weltkonzern an der Spitze der Basisbewegung? „Wir wollen doch das Gleiche wie die Kampagnenmacher“, sagte Largacha. Die hören es mit Staunen. Wittern hinter der rhetorischen Umarmung die repressive Toleranz des Kapitalismus. Und wollen sich, unter Hinweis auf die Situation in Kolumbien, nicht einverleiben lassen: Er könne keine Fortschritte vor Ort erkennen, sagte Raul Zelik. Kolumbianische Kollegen berichteten, in den Anlagen von Coca-Cola seien sie von der Unternehmensleitung aufgefordert worden, gegenüber ausländischen Delegationen vorsichtig zu sein – „weil man sonst Anlagen schließen müsse“.

www.cokefacts.org

www.killercoke.org

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