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Wallraff

© dpa

Arbeitsbedingungen: "Dürfen wir mal in die Küche schauen?"

Günter Wallraff hat hinter die Kulissen eines Gourmet-Restaurants geblickt. Wie die Auszubildenden dort ausgebeutet werden, berichtet er im Interview.

ZEIT ONLINE:

In Ihrer Reportage "Unfeine Küche" beschreiben Sie, wie Lehrlinge im Gourmetrestaurant Wartenberger Mühle bei Kaiserslautern ausgebeutet werden. Wie sind Sie auf den Fall gestoßen?

Günter Wallraff: Der damals 16-jährige Auszubildende Carsten hatte mir geschrieben, dass er pro Woche bis zu 80 Stunden arbeiten müsse. Das ist doppelt so viel wie im Arbeitsvertrag vorgeschrieben. Außerdem berichtete er von Schikanen körperlicher und psychischer Art. Er wollte seine Ausbildung dort gerne weiter machen, aber er litt in dem Betrieb so, dass er daran zu zerbrechen drohte.

ZEIT ONLINE: Sie beschreiben im ZEITmagazin, dass der leitende Koch die Lehrlinge während der Arbeit am Nacken packt und ihnen mit dem Saucenlöffel auf die Finger haut.

Wallraff: Dieser Koch hat dort tatsächlich ein Regiment des Schreckens errichtet. Es gibt einige Lehrlinge, die oft heulend da saßen. Carsten erzählte mir von einem Kollegen, der nach ein paar Wochen dem psychischen Druck nicht mehr standhielt und nicht mehr zur Arbeit erschien. Das habe der Küchenchef mit den Worten kommentiert: "Um die Memme ist es nicht schade, der hat sowieso zu zarte Händchen."

ZEIT ONLINE: Was haben Sie unternommen?

Wallraff: Ich habe als erstes den Geschäftsführer der Wartenberger Mühle, Martin Scharff, kontaktiert und ihn mit dem Ganzen konfrontiert. Ich habe vorgeschlagen, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und als Schlichter zu fungieren. Doch Scharff lehnte ab und zeigte sich absolut uneinsichtig. Daraufhin habe ich die Industrie- und Handelskammer Pfalz mit den Vorwürfen konfrontiert. Dort reagierte man sehr erschrocken.

ZEIT ONLINE: Was ist dann passiert?

Wallraff: Es kam zu einem Treffen zwischen den Eltern des Jungen und dem Inhaber, bei dem Vertreter der IHK anwesend waren. Die Eltern waren an einer Einigung sehr interessiert. Sie wollten ja, dass der Junge seine Ausbildung dort beenden kann. Leider hat auch die IHK es nicht geschafft, eine Veränderung bei den Arbeitsbedingungen herbeizuführen. Allerdings hat die IHK Pfalz die Verhältnisse in der Wartenberger Mühle als so unhaltbar eingestuft, dass sie keine Lehrlinge mehr dorthin schickt.

Nun lese ich aber auf der Website des Restaurants: "Wir sind stets auf der Suche nach engagierten und motivierten Mitarbeitern, die uns unterstützen und unser Team verstärken." Ehrlicherweise müsste da stehen: "Wir suchen Mitarbeiter, die ihre eigenen Persönlichkeitsrechte aufzugeben und bereit sind, als Leibeigene bei uns zu arbeiten." Herr Scharff sucht jetzt allerdings nur noch Mitarbeiter ab 18 Jahren. Damit haben wir zumindest erreicht, dass er keine Jugendlichen mehr ausbeuten kann. Aber das reicht natürlich nicht. Auch ein 18-Jähriger ist schutzbedürftig.

ZEIT ONLINE: Der Fall der Wartenberger Mühle ging schließlich sogar bis zur Staatsanwaltschaft. Die beantragte beim Amtsgericht einen Durchsuchungsbeschluss, der allerdings abgelehnt wurde. Schließlich stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren am 16. März 2009 ein, obwohl sie erklärte, der Beschuldigte habe gegen das Gesetz verstoßen und die Betroffenen gesundheitlich gefährdet. Was können Ihrer Ansicht nach die Behörden noch tun?

Wallraff: Aus meiner Sicht sind die Zuständigen bei der Gewerbeaufsicht gefordert, gerade jetzt nach der Veröffentlichung des Artikels zu handeln. Sie sollten jeden Lehrling und auch die ehemaligen Auszubildenden anhören. Nicht nur einfach durch den Betrieb spazieren und alles dem Zufall überlassen. Den Geschädigten muss Genugtuung verschafft werden.

ZEIT ONLINE: Sind Sie der Meinung, das Restaurant sollte geschlossen werden?

Wallraff: Mit einer Schließung wäre niemandem geholfen. Die Arbeitsbedingungen müssen sich grundlegend ändern. Es müsste jemand den Betreiber beaufsichtigen und ihm zeigen, dass man mit seinem Personal auch anders umgehen kann.

ZEIT ONLINE: Ist dieser Betrieb Ihrer Ansicht nach ein Einzelfall in Deutschland?

Wallraff: Das Schlimme ist, dass es leider überhaupt keine Ausnahme ist. Solche Arbeitsbedingungen nehmen immer mehr zu, gerade jetzt, wo jeder um seinen Arbeitsplatz zittert. Für die Gastronomie gilt das besonders, da hier ein wirklich harter Konkurrenzkampf herrscht. Selbst Luxusrestaurants sind inzwischen von der Schließung bedroht.

ZEIT ONLINE: Lässt sich die Arbeitssituation der Angestellten denn dann überhaupt verbessern?

Wallraff: In jedem Fall hätte dort längst ein Betriebsrat gegründet werden müssen. Dann wäre eine etwas stärkere Mitarbeitergestaltung und –einflussnahme möglich. Aber das kann man wohl keinem der Angestellten ernsthaft raten, er würde wohl direkt rausgemobbt werden, wie das in einigen Fällen dort auch geschehen ist. Die Öffentlichkeit muss auch mithelfen. Die Gäste sollten ruhig einmal fragen: "Dürfen wir mal in die Küche schauen?" Sie sollten sogar darauf bestehen! Ansonsten kann da keiner mehr ruhigen Gewissens speisen.

Das Gespräch führte Daniel Schlicht

Günter Wallraffs Reportage "Unfeine Küche" lesen Sie ab Donnerstag im ZEITmagazin, das der aktuellen ZEIT beiliegt

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