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Mittelstandsfamilie am Union Square, Manhattan.

© Reuters

Armut und Reichtum: Die Mittelschicht verliert

Die Mittelschicht der USA hat ihre Spitzenstellung in der Welt verloren. Die Mittelschichten anderer Länder haben gewaltig aufgeholt. Nur die Reichen in den USA profitieren vom Wachstum. Es gibt aber noch ein anderes Land, dessen Mittelstand hinterherhinkt: Deutschland.

Von Andreas Oswald

Die Reichen werden immer reicher, die Armen bleiben arm. Diese These des französischen Ökonomen Thomas Piketty, die derzeit eine neue Debatte um soziale Ungleichheit dominiert, bekommt jetzt eine neue Schärfe. Die "New York Times" hat die von dem unabhängigen Institut „Luxembourg Income Study“ (LIS) gesammelten Einkommensdaten analysiert und ist zu einem für die Amerikaner erschreckenden Befund gekommen. Danach hat die US-Mittelklasse ihre noch vor 30 Jahren selbstverständliche Vorreiterrolle gegenüber der entsprechenden Schicht aller anderen großen Industrienationen verloren. Seit dem Jahr 2010 verdiene die kanadische Mittelklasse mehr als die US-Mittelklasse. Und: Die Unterschichten in Europa verdienen mehr als die Unterschichten der USA.

Nur eine kleine Schicht profitiert vom Wachstum

Ursache ist den Zahlen zufolge die Tatsache, dass in den vergangenen 35 Jahren in den USA nur eine kleine Schicht Reicher vom wirtschaftlichen Wachstum profitiert hat. In Europa dagegen haben in fast allen Staaten die Unter- und Mittelschichten vom Wachstum profitiert, mit einer Ausnahme: Deutschland. Die Bundesrepublik ist das einzige Land Europas, bei dem die Schere mit den USA zwischen 1980 und 2010 gewachsen ist, was die Einkommen der Mittelschicht angeht. Bei allen anderen Ländern ist diese Einkommensschere kleiner geworden, wenn auch kein Land die USA überholt hat. Dies betrifft einen 30-Jahre-Zeitraum.

Auch in Deutschland haben Mittel- und Unterschicht verzichtet

Dramatisch für die USA ist der kürzere Zeitraum. Seit dem Jahr 2000 sind die Einkommen der Mittelschicht in den USA nur um 0,3 Prozent gestiegen. In Deutschland um 1,4 Prozent, also nur geringfügig mehr. Das könnte der jüngsten Forderung nach einer Abschaffung der kalten Progression im deutschen Steuersystem Auftrieb geben. Die kalte Progression, also die relativ stärkere Besteuerung bei steigenden Einkommen, betrifft vor allem den sogenannten „Mittelstandsbauch“ in Deutschland. Selbst in Spanien stiegen die Einkommen der Mittelschicht um 4,1 Prozent. In den Niederlanden dagegen um 13,9, in Irland um 16,2, in Großbritannien um 19,7.

In Deutschland, das zeigen die Zahlen, sind in den vergangenen 15 Jahren immerhin die Einkommen der Unterschichten gestiegen, während die Einkommen der US-Unterschicht gesunken sind. Die unteren 20 Prozent der Niederlande verdienen 15 Prozent mehr als die unteren 20 Prozent der USA.

Die Reichen dagegen verdienen in den USA 20 Prozent mehr als die Reichen in Kanada, 26 Prozent mehr als in Großbritannien, und 50 Prozent mehr als in den Niederlanden. Für die Reichen sind die USA ein Paradies, für die Armen - und den Mittelstand - nicht.

Thomas Piketty
Thomas Piketty

© AFP

Neue Debatte über Ungleichheit

Die Zahlen, die die "New York Times" nun präsentiert, befeuern eine Debatte, die immer lauter wird. In den vergangenen Wochen ist der französische Ökonom Thomas Piketty in den USA wie ein Rockstar gefeiert worden, als er dort sein neues Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert" vorstellte. Auch Finanzminister Jacob Lew suchte seine Nähe, wie mit ihm vor allem die Medien und die große Garde liberaler Ökonomen. Pikettys empirischer Befund, dass die Rendite der Kapitalbesitzer stärker steigt als das Wachstum der Volkswirtschaften und die Einkommen der breiten Bevölkerung, ist Wasser auf die Mühlen all derer, die seit geraumer Zeit eine höhere Besteuerung von Vermögen verlangen.

Auch der IWF bestätigt Thomas Piketty

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat jetzt Thomas Piketty bestätigt. Aus einer neuen Studie des IWF, aus der die "Financial Times" am Mittwoch zitierte, wirke sich größere Gleichheit nicht negativ auf das wirtschaftliche Wachstum aus. Mehr Gleichheit könne Wachstum sogar befördern. Die bisher herrschende These, dass Ungleichheit und Disparität ein Motor des Wachstums seien, bekommt damit einen empfindlichen Dämpfer.

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