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Am 26. September 1980 geschah das Oktoberfestattentat. 13 Menschen kamen durch die Explosion der Bombe ums Leben.

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Attentat auf dem Oktoberfest 1980: Anwalt will Wiederaufnahmeverfahren erwirken

34 Jahre nach dem Anschlag auf dem Oktoberfest soll es wieder neue Erkenntnissen zum Fall geben. Der Anwalt Werner Dietrich will im Namen von sechs Opfern ein Wiederaufnahmeverfahren durchsetzen. Dabei geht es um rechte Hintermänner. Stasi-Unterlagen könnten dabei helfen.

Die überlebenden Opfer erinnern sich weniger an den Knall. Vielmehr ist ihnen die gewaltige Druckwelle im Gedächtnis geblieben, die sich an jenem 26. September 1980 um 22.19 Uhr am Haupteingang des Münchner Oktoberfestes ausbreitete. „Mein Trommelfell platzte“, sagt Renate Martinez, die sich wie Zehntausende andere nach einem Wiesn-Abend auf dem Nachhauseweg befand. Die gewaltige Bombe des Attentäters Gundolf Köhler, ein 21-jähriger Rechtsradikaler aus Donaueschingen, tötete 13 Menschen und Köhler selbst. Mehr als 200 Menschen wurden verletzt und vielfach verstümmelt. Renate Martinez etwa wurden Fuß und Rücken zerfetzt. Es war der schwerste Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik.

Werner Dietrich befasst sich seit nunmehr 32 Jahren mit dem Fall. 1982 kamen die ersten Opfer zu dem Münchner Rechtsanwalt. Sie wollten sich nicht damit abfinden, dass das Ermittlungsverfahren nach zwei Jahren von dem damaligen Generalbundesanwalt Kurt Rebmann eingestellt worden war. Gundolf Köhler sei ein Einzeltäter gewesen, lautet seitdem die Lesart des Bundeskriminalamtes. Er habe aus persönlicher Frustration heraus die Bombe gezündet. Seither gibt es immer weiter wachsende Zweifel.

Wie wahrscheinlich ist diese Theorie? Hätte sich ein Einzelner überhaupt die Bombe besorgen und den Anschlag auf diese Weise durchführen können? Hatte Köhler Mittäter aus rechtsextremistischen Kreisen, ja musste er sie nicht gehabt haben? In diesen Tagen wird Werner Dietrich bei der Bundesanwaltschaft und beim Bundesjustizministerium einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellen. Es ist sein dritter nach 1983 und 2008.

Der neue Anwalt will neue Zeugen präsentieren

„Ich vertrete sechs Opfer“, sagt Dietrich, darunter ist Renate Martinez. Immer wieder würden ihn auch weitere Opfer kontaktieren und ihn ermuntern, mit seinen Bemühungen nicht nachzulassen. Zu seinem neuen Antrag will Dietrich noch nicht viel sagen. Denn der korrekte Umgang sei es, dass er ihn erst den Behörden vorlege und dann darüber rede. Der Rechtsanwalt lässt aber durchblicken: Aus dem Aktenstudium hat er neue Erkenntnisse gewonnen. Diese deuten darauf hin, dass es wohl Hintermänner gegeben hat. Und Werner Dietrich hat neue Zeugen, deren Beobachtungen am Attentatsort dies ebenfalls nahelegen.

Dazu zählt ein Mann namens Ramin A., ein Computerexperte. Er sei damals auf Geschäftsreise in München gewesen und habe an diesem Abend die Wiesn besucht. A. soll nur fünf Meter vom Ort des Attentats entfernt gestanden haben. Er habe, so schrieb er kürzlich an Dietrich, Gundolf Köhler mit mehreren Männern beobachtet, die sich auffällig verhalten hätten. A. sei sechs Wochen nach dem Anschlag kurz befragt worden, seine Beobachtung der Männer habe aber niemanden interessiert. Ramin A. soll Ähnliches gesehen haben wie der 1982 verstorbene Zeuge Frank Lauterjung. Dieser hatte ausgesagt, dass er Köhler beobachtet und eine halbe Stunde vor dem Anschlag gesehen habe, wie dieser mit zwei anderen Männern diskutierte. Lauterjung hatte sich für Köhler interessiert, weil er als Homosexueller auf der Suche nach jungen Männern gewesen sei.

Trauer unter all dem Trubel. Seit 2008 erinnert ein Mahnmal am Haupteingang der Wiesn an das Oktoberfestattentat.
Trauer unter all dem Trubel. Seit 2008 erinnert ein Mahnmal am Haupteingang der Wiesn an das Oktoberfestattentat.

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Über die Jahrzehnte hinweg ist das Oktoberfest-Attentat zu einer Wissenschaft für sich geworden. Es gibt eine Unzahl von Recherchen, Dokumentationen und Theorien. Viele Politiker fordern neue Untersuchungen, selbst der bayerische Landtag hatte 2011 einstimmig für ein Wiederaufnahmeverfahren gestimmt. Fakt ist: Der Attentäter Gundolf Köhler hatte Kontakte zur rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann gehabt, er war als Neonazi bekannt. Es gebe keine Indizien, so sagt Anwalt Dietrich, dass Köhler Selbstmord begehen wollte. So vereinsamt, wie er im Nachhinein dargestellt wurde, sei er keineswegs gewesen.

Ulrich Chaussy, der als Journalist beim Bayerischen Rundfunk arbeitet und als Experte für das Attentat gilt, weist schon seit langem darauf hin, dass der rechtsextremistische Waffenlieferant Heinz Lembke womöglich den Sprengstoff für die Bombe geliefert hatte. Lembke war in Untersuchungshaft und wollte umfassend aussagen. Einen Tag vor der geplanten Vernehmung erhängte er sich in seiner Zelle.

Der Berliner Journalist Tobias von Heymann hat 31.600 Stasi-Unterlagen gesichtet

In die umfangreiche Sammlung des einstigen DDR-Staatssicherheitsdienstes über den Anschlag hat sich der Berliner Journalist Tobias von Heymann gestürzt und Ergebnisse in seinem Buch „Die Oktoberfest-Bombe“ veröffentlicht. Sein Fazit gegenüber dem Tagesspiegel: „Die Stasi hatte deutlich mehr Hintergrundwissen als die westdeutschen Ermittler, sie hatte viele Mitarbeiter in der NS-Szene.“ Für den DDR-Geheimdienst sei „immer klar gewesen, dass der Anschlag aus einer Gruppe heraus geschah“. Bis zum Sommer 2014 hat von Heymann bei der Stasi-Unterlagenbehörde insgesamt 31 600 Dokumente gesichtet und ist nun fertig damit. Dies sei „eine der aufwendigsten Recherchen überhaupt“ bei der Behörde gewesen. Auch aus den westdeutschen Akten ist, so sagt Tobias von Heymann, „noch sehr viel herauszuholen“. So könne man belegen, dass Köhler „in hochkarätige Neonazi-Netzwerke eingebunden war“. Bevor man die Wiederaufnahme des Verfahrens beantrage, sollten erst einmal alle geöffneten Akten „zusammengepuzzelt“ werden, so käme man „sehr dicht an die Wahrheit heran“. Dies sollte Aufgabe etwa eines Untersuchungsausschusses des bayerischen Landtags sein.

Etwa 500 Asservate – Gegenstände und Leichenteile, die am Tatort sichergestellt worden waren – sind schon 1997 vernichtet worden. Anwalt Dietrich nennt das einen „Skandal“. Mit der heutigen DNA-Technik hätte vermutlich vieles neu untersucht werden können. Zugleich seien damals viele Spuren nicht hartnäckig genug verfolgt worden.

Die Opfer leiden bis heute an den körperlichen und seelischen Folgen des Anschlags. „Wir wollen endlich Klarheit haben“, sagt Renate Martinez.

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