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© privat

Auf der Sonnenseite (10): Unsere Australien-Kolumne:Funkstille

Für ein Jahr ist Julius Wolf, 21, in Australien. Die Wüste hatt er langsam satt, deshalb stürtzt er sich mit einer neuen Bekannten ins Nachtleben. Nur Kumpel Timo bleibt zurück

Die Stimmung ist immer noch mies

„We crossed the Nullarbor.“ Timo und ich sind in Perth. Besser gesagt in Freemantle, einem kleinen Vorort von Perth direkt am Meer. Wir sitzen mit Marisa, die wir in Mildura kennen gelernt haben, am Hafen in einer Brauereikneipe. Bei einem hauseigenen Pale Ale und einer leckeren Steinofenpizza unterhalten wir uns über unsere Reiseerlebnisse. Es ist schön sich mal wieder zu unterhalten. Die letzten drei Tage herrschte eisiges Schweigen zwischen Timo und mir. Immer noch sauer wegen unseres Streits in Adelaide, spricht Timo nicht mit mir. Und ich nicht mit ihm, weil mich sein Verhalten ankotzt. Also sitzen wir den gesamten Weg von Adelaide bis Perth schweigend nebeneinander im Auto. Man kann spüren, wie wir uns mit unserer schlechten Laune gegenseitig immer weiter runterziehen. Und das in der Nullarbor Plain, einer Steinwüste. 1200 Kilometer lang, 300 – 400 Kilometer breit. Man hatte uns gewarnt, Nullarbor kommt von lat. nulla arbor, kein Baum. Nur Ödnis, keine Menschen, kein Strauch, nichts, und wenn man sie durchquert hat, kann man sich einen Aufkleber ans Auto pappen: „We crossed the Nullarbor“. Soll wohl heißen, dass wir die Hölle geritten sind. Beste Voraussetzung also für zwei Kumpels, die sich anschweigen.

Plötzlich ist Papa am Telefon - und versaut fast die Tour mit Marisa
Geschwiegen haben wir auf der Fahrt, aber ansonsten, also ich meine, wenn Nullarbor die Hölle ist, ist sie nicht schlecht. Meine Stimmung hebt sich, während wir an der südaustralischen Steilküste entlangfahren. Als wir vor dem Wave-Rock stehen, einem großen Felsen, der vom Regenwasser ausgespült ist, so dass er aussieht wie eine brechende Welle, ist meine Laune wieder in Ordnung. Bei so einem Anblick kann ich nicht schlecht drauf sein. Das hier macht die Strapazen des  Reisens wieder gut. Timos Laune bleibt unverändert. Egal, davon lass ich mich nicht mehr nerven.
Mit Marisa jetzt in Freemantle zu sitzen macht Spaß, das Wetter ist genial, Pizza und Bier schmecken, Marisa sieht gut aus und kennt eine Reihe von Pubs und Clubs in Perth und will mit mir dorthin ausgehen. „Teure Drinks und laute Musik. Zwischenmenschliche Kontakte pflegen halt“, erkläre ich meinem Vater, der zufällig in diesem Moment anrief. „Aaah, ja“, sagte mein Vater, mit langem A, „zwischenmenschliche Kontakte, nennt man das so in Australien“, und dann lacht er so laut, dass Marisa es mithört, danke Papa, etwas diskreter wäre es nicht gegangen? Marisa grinst und sagt, „Northbridge ist heftig, nur, dass du das weißt.“ Northbridge ist das Kneipenviertel von Perth.
„Um so besser, ich will mich richtig ausfeiern“, sage ich.
Zum Glück will Timo lieber alleine im Auto bleiben. Er wäre auch gern mal einen Abend alleine, meint er. Dann könne er Musik hören und Postkarten schreiben und so, meint er. Ich glaube ja, dass Timos Lust auf das Alleinsein mehr mit dem Typen zu tun hat, der uns nach dem Essen auf der Strasse angesprochen hatte. Eine ziemlich abgestürzte Gestalt, mit zerrissenen Jeans und einem fleckigen Hemd. Er behauptete, sein Name sei Jahoo und Jesus habe ihm im Traum gesagt, dass er Gras konsumieren soll. Das sei der einzig wahre Weg zu Gott. Und weiter noch wurde ihm in diesem Traum aufgetragen auch andere zum „devine weed“ zu bekehren. Ob wir nicht was kaufen wollen, will er wissen. Na, wenn Jesus das sagt. Und so ist Timo für den Abend versorgt.
Im Vergleich zum Rest von Perth mit all den Hochhäusern und den Baustellen, die mal zu Hochhäusern werden sollen, ist Northbridge das bunteste Viertel in Perth. Voll gestopft mit Backpackern in unglaublich teuren Jugendhotels. Und diese Absteigen sind umgeben von Bars, in denen man noch mehr Geld loswerden kann.
Wer in Perth billig schlafen will und ein Auto hat, der fährt lieber raus nach Freemantle. Dort gibt es einen Pier, der zu einem kleinen Leuchtturm führt. Auf diesem Pier versammeln sich jeden Abend einheimische  Angler und Backpacker. Da man ziemlich weit im Hafenbecken steht, stört es niemanden und es kommt auch keine Polizei, um einen zu verscheuchen.

Wir landen in einer Discobar
Dort setze ich Timo und das Auto ab und mach mich auf den Weg. Je näher ich dem Zug nach Perth komme, desto mehr junge Leute schließen sich uns an. Marisa wartet schon am Bahnhof. „Was kuckst du so schockiert? Es ist Freitagabend, was hast du erwartet?“
Ich bin keine großen Menschenmengen mehr gewohnt. Das Outback ist ziemlich leer. Es sind wesentlich mehr Frauen als Männer unterwegs. Als erstes bringt Marisa mich in eine Art Sportsbar mit Discotouch. Überall an den Wänden hängen riesige Fernseher, die lautlos Kricket, Football, Schwimmen und sonst jede erdenkliche Sportart übertragen. In der Ecke steht ein DJ Pult und davor tanzen die Leute Disco Fox. Absurde Mischung. Ich verweigere lautstark meine Beteiligung an dem bizarren Tanz. Bevor ich Disco Fox tanze, muss erst mal Alkohol her. Auf dem Weg zur Bar werde ich dreimal gefragt ob ich Ecstasy kaufen will. Alle drei Verkäufer sehen so aus, als ob sie selbst von ihrer Ware gekostet hätten. Während ich unsere Vodka Energie bezahle, zwinkert der Barmann mir zu und fragt, ob er mir sonst noch irgendwie behilflich sein kann und zeigt mir ein Tütchen mit Pillen in der hohlen Hand. Ich lehne dankend ab und gehe zurück zum Sofa. Ich finde Marisa in die Sofaecke gequetscht neben einem fetten Australier, der mit glasigem Blick an zwei sehr leicht bekleideten Asiatinnen rumfummelt. Wir fragen gleichzeitig: „Wollen wir woanders hin?“ Wir wollen.

Eine Kostümparty - na super!
Drei Strassen weiter ist ein Laden aus dem laute Rockmusik dröhnt. Schon eher mein Geschmack. Kaum drinnen kommt mir ein sehr junger Hugh Hefner mit zwei Blondinen im Arm entgegen. An der Bar stehen Catwoman, Marylin Monroe, ein Feuerwehrmann und Captain Jack Sparrow. Wir sind auf einer Kostümparty gelandet. Zumindest sind über die Hälfte der Leute verkleidet. Auch die Band, die gerade anfängt zu spielen. Und obwohl der Sänger gern aussehen würde wie Kurt Cobain und der Rest der Band so tun, als seien sie eine Rockband aus  den Siebzigerjahren, klingen sie eher wie Tokio Hotel. Zum Glück ist das Gejaule nach drei Vodka Energie vorbei und ein DJ legt Rockklassiker auf. Das Publikum wird langsam munter und bei „You give love a bad name“ von Bon Jovi stürmen Hugh Hefners Begleiterinnen und noch ein paar andere laut kreischend das Parkett. Der Musikgeschmack hier lässt eindeutig zu wünschen übrig. Aber was soll, wenigstens E-Gitarren. So um zwei Uhr fängt Tokio Hotel wieder an und der Club leert sich verständlicherweise. Marisa und ich nehmen noch einen letzten Vodka Energie und machen uns auf den Weg nach Freemantle. Während wir auf den Zug warten, fangen zwei junge Mädchen, zwei Aborigines, eine heftige Prügelei um einen Typen an. Der sitzt auf der Bank daneben und sieht nicht so aus, als ob er noch wüsste was um ihn herum passiert. „Northbridge ist wirklich heftig“, sage ich. Wir steigen in den Zug in die Ruhe von Freemantle, bin ich etwa schon verdorben für den Kulturschock?

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