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Im Rettungseinsatz. Helfer versuchen Verletzte aus den Trümmern der eingestürzten Hochhäuser um die Botschaft zu bergen. Foto: AFP

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Panorama: Auf sich gestellt

Wie Opfer des Botschaftsanschlags in Nairobi 1998 versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen

Als Douglas Sidialo am 11. September 2001 hörte, was in New York geschehen war, „wusste ich, was die Menschen dort durchmachen“. Am 7. August 1998 war der damals 27-jährige Douglas Sidialo, Geschäftsführer eines Handelsunternehmens, zur Arbeit gefahren. Gegenüber vom Hauptbahnhof der kenianischen Hauptstadt Nairobi sah er einen Lastwagen die Absperrung zur amerikanischen Botschaft durchbrechen. Er glaubte drei Schüsse zu hören, heute weiß er, dass es Handgranaten waren. „Ich dachte, das sind Räuber“, sagt Sidialo. Dann gab es eine „große Explosion“.

Sidialo wachte zwei Tage später im Kenyatta-Krankenhaus wieder auf. Er konnte seine Augen nicht öffnen. Er hörte Menschen weinen, wimmern und geschäftige Schritte. Was ihm die Mitpatienten erzählten, konnte er kaum glauben: Al-Qaida-Terroristen hatten die amerikanische Botschaft zerstört. Nur die Mauern standen noch. Zugleich stürzten mehrere umliegende Hochhäuser ein. Am gleichen Tag war auch in der US-Botschaft in der tansanischen Hauptstadt Daressalam eine Bombe explodiert.

Als Douglas Sidialo im Krankenhaus wieder zu Bewusstsein kam, suchte Doreen Ruto noch immer nach ihrem Mann. Die damals 29-jährige Mutter eines neun- und eines einjährigen Jungen hatte am 7. August einen freien Tag. Sonst wäre sie vermutlich mit ihrem Mann beim Einsturz des Co-op-Bank-Gebäudes gestorben. Beide waren Lehrer und arbeiteten für die Lehrergewerkschaft, Doreen Ruto im 16., ihr Mann im vierten Stock. „Es war ein riesiges Chaos“, erinnert sich Doreen Ruto. Sie irrte drei Tage durch Kliniken und Leichenhallen, bis sie die Überreste ihres Mannes fand. Doreen Rutos Mann war einer von 213 Menschen, die beim Botschaftsanschlag in Nairobi ihr Leben verloren haben. Nach Angaben des amerikanischen Außenministeriums wurden mindestens 4000 Menschen verletzt, Douglas Sidialo spricht von 5000.

Nach ein paar Tagen musste Doreen Ruto wieder zur Arbeit gehen. „Aber das Gebäude war nicht mehr da.“ Am schlimmsten war für sie, dass ihre Kinder litten. „Wie erklärt man einem Kind, dass sein Vater Opfer islamistischer Terroristen geworden ist?“ Zumal sie selbst die Frage: „Warum Kenia?“ bis heute nicht befriedigend beantworten kann. „Ich hatte noch nie von Al Qaida oder Osama bin Laden gehört.“ Letztlich seien es aber die Kinder gewesen, die sie gezwungen hätten weiterzumachen. 2005 entschied sich Doreen Ruto noch einmal zu studieren: Konfliktvermeidung und Friedensbildung. Sie gründete die Daima Initiatives for Peace (Dipad). Und in der Zeit nach den Auseinandersetzungen um die Wahl Ende 2007 half Doreen Ruto Gewaltopfern „ihr Trauma zu überwinden“. Ihr älterer Sohn, inzwischen 22 Jahre alt, studiert in den USA die gleichen Fächer wie sie. „Auch er hat unbeantwortete Fragen“, vermutet sie. Er arbeite mit Folteropfern.

Ihr eigenes Trauma hält Doreen Ruto im Jahr 13 danach nicht mehr vom Leben ab. Aber sie sagt: „Ich werde nie über den Tod meines Mannes hinwegkommen. Jedes Jahr um den 7. August fühle ich mich furchtbar. Aber ich weiß ja, warum.“

Douglas Sidialo hat nach der ersten Wut, als er begriffen hatte, dass er nie wieder sehen würde, ebenfalls für sich erkannt, „dass ich noch so viel tun kann“. 2002 zum ersten Jahrestag des 11. Septembers fuhr Sidialo mit dem Fahrrad von New York nach Washington. Gemeinsam mit Doreen Ruto hatte er eine Opferorganisation gegründet, deren Sprecher er zu dieser Zeit war. Die amerikanische Regierung hatte den kenianischen Terroropfern über einen Zeitraum von drei Jahren 42 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt. Davon wurden vor allem Häuser wieder aufgebaut. Doch Douglas Sidialo ermöglichte dieses Geld eine Rehabilitation in den USA, wo er lernte, als blinder Mensch seinen Alltag zu organisieren  und einen Computer zu benutzen (http://www.sidialo. com/news.html). Die kenianische Regierung kam zumindest unmittelbar nach der Katastrophe für die Krankenhauskosten auf. Doch nach drei Jahren „war jeder wieder auf sich allein gestellt“, berichtet Sidialo. Zu seinem Glück ist seine Frau Hochschullehrerin in Nairobi. „Sie war die Stütze meiner Reise“, sagt Sidialo, und seine elfjährige Tochter Lavinia lächelt. Sie wurde erst danach geboren.

Doreen Ruto sieht in dem Terroranschlag ein Ereignis, das „tausende Leben unterbrochen oder zerstört hat“. Douglas Sidialo berichtet von Dutzenden Verletzten, die bis heute medizinische Hilfe brauchen, aber oft nicht wissen, wovon sie diese bezahlen sollen. Wie er selbst haben die meisten wegen ihrer Behinderungen ihre Arbeit verloren. Sidialo hat bis heute keine bezahlte Arbeit mehr gefunden. Er hat unterstützt von Sponsoren mit dem Fahrrad ganz Afrika durchquert. Der Traum des heute 40-Jährigen ist es, alle Kontinente mit dem Fahrrad zu durchqueren. Doch noch hat sich dafür kein Sponsor gefunden. Doreen Ruto ist vor allem damit beschäftigt, „eine Wiederholung der Katastrophe wie nach der letzten Wahl zu vermeiden“. Nach der umstrittenen Präsidentenwahl Ende 2007 starben mehr als 3000 Menschen bei gewalttätigen Auseinandersetzungen über das Wahlergebnis. In einer Kirche wurden Dutzende Menschen verbrannt. Mehr als eine halbe Million Menschen wurde vertrieben. Bis heute leben tausende Menschen in Flüchtlingslagern. Dass Nachbarn zu Feinden werden konnten, findet Ruto furchtbar. Doch mit Blick auf die Bombe 1998 sagt sie: „Es ergibt einfach keinen Sinn. Das macht es noch schmerzhafter.“

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