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Panorama: Bayern setzt auf Härte: Mit Polizisten gegen Schulschwänzer

Sie hocken auf den U-Bahnhöfen, streifen durch die Computerabteilungen der Kaufhäuser und besetzen die Schaukeln auf Kinderspielplätzen. Immer in Gruppen.

Sie hocken auf den U-Bahnhöfen, streifen durch die Computerabteilungen der Kaufhäuser und besetzen die Schaukeln auf Kinderspielplätzen. Immer in Gruppen. Gerne am Vormittag. Zwischen 13 und 16 Jahre alt sind sie. Schulschwänzer. Bei Passanten sorgen sie allenfalls für Kopfschütteln, Gedanken um sie machen sich nur wenige.

In Bayern soll dies demnächst immerhin die Polizei tun: Sie soll notorische Schulschwänzer auf die Schulbank zurückholen. Im Freistaat werde derzeit geprüft, ob dieses Vorgehen sinnvoll sei, sagte Innenminister Günther Beckstein am Dienstag bei der Vorstellung des Nürnberger Schulschwänzerprogramms. Im Rahmen dieser Aktion kontrollieren Beamte während der Schulzeit verstärkt Kaufhäuser, Einkaufszentren, Internet-Cafes und Jugendtreffs und bringen säumige Schüler notfalls zur Schule zurück.

Das Vorgehen gegen das Schwänzen diene der Kriminalprävention, erläuterte Beckstein. Das notorische Schwänzen sei häufig die erste Auffälligkeit zu Beginn eines Abgleitens in die Kriminalität.

Das Argument wird von einer Studie gestützt, die das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen durchgeführt hat. Die Befragung von 1100 Strafgefangenen hat ergeben, dass sie alle, ohne Ausnahme, in ihrer Jugend häufig die Schule geschwänzt haben. Natürlich, so Christian Pfeiffer, Leiter des Instituts, dürfe daraus nicht geschlossen werden, dass alle Schulschwänzer potenzielle Kriminelle seien, doch für die meisten Kriminellen gelte: "Ihre Karriere fängt mit dem Schwänzen an."

Pfeiffer hat den Anteil der Schulschwänzer anhand einer Stichprobe von 18 000 Schülern aus ganz Deutschland ermittelt und kam zu einem überraschenden Ergebnis: Während in München am Tag der Untersuchung nur 5,9 Prozent der Schüler nicht anwesend waren, fehlten in Hamburg 14,0 Prozent. "Je weiter man nach Norden kommt", sagt Pfeiffer, "desto kaputter die sozialen Netzwerke."

Birgit Warzecha, Pädagogikprofessorin an der Universität Hamburg, warnt davor, das Ergebnis zu verallgemeinern. Wahr sei allerdings, "dass wir in Deutschland im Moment nur die Spitze des Eisberges sehen." Je stärker die Armut zunehme, desto größer sei die Zahl "schulverweigernder Jugendlicher". Hinzu kämen oftmals prekäre Familienverhältnisse: "Viele Jugendliche haben Trennungserfahrungen: Scheidungen, das Leben in Pflegefamilien." Mangelnde Kontrolle durch die Eltern, bestätigt Christian Pfeiffer, könne zu einer wesentlichen Ursache des Schwänzens werden. "Wenn die Eltern der Schule keine Bedeutung beimessen, tun es die Kinder auch nicht."

Für Berlin liegen keine genauen Daten vor. Die Schulverwaltung teilt immerhin mit, dass der Kreis "schuldistanzierter Jugendlicher" auf etwa 3000 geschätzt werde. Vergleicht man diese Zahl mit den Erfahrungswerten anderer Städte, ergibt sich eine tägliche Schwänzerrate, die auf dem Hamburger Niveau liegen könnte. "Die sozialen Spannungen und die hohe Arbeitslosigkeit in der Stadt erhöhen die Schuldistanz", sagt Oberschulrat Peter Hübner. Der Zustand der Hauptschulen tue ein Übriges: "Das sind oft nur noch Restschulen."

Christian Pfeiffer sagt: "In Norddeutschland haben Hauptschüler kaum noch eine Perspektive. Die Lehrstellen kriegen die Realschüler." Hätten die Schwänzer erst einmal angefangen, dem Unterricht fernzubleiben, beginne eine verhängnisvolle Spirale: Je länger die Abwesenheit dauere, desto schwerer werde die Rückkehr. "Die Leistungen lassen nach, die Anerkennung schwindet. Und so sind es die Cliquen der Schwänzer, die soziale Sicherheit versprechen."

Ein Blick in die Verbrechensstatistik zeigt, dass die Kriminalitätsanfälligkeit von Jugendlichen im Norden zudem deutlich höher ist. "Das fängt damit an", sagt Pfeiffer, "dass Schwänzer mehr Zeit haben, Unsinn anzustellen." Ist ein Schüler erstmal wegen Diebstählen oder anderer Straftaten verschrien, beklagen Experten, werde er von seinem schulischen Umfeld als "kriminell definierter Außenseiter" abgestempelt. "Stillschweigende Ausschulung" heißt das Phänomen: Die Lehrer sind froh, wenn die Störenfriede wegbleiben, und melden ihr Fehlen nicht weiter.

Die Werner-Stephan-Oberschule in Berlin-Tempelhof ist eine der Hauptschulen, die in der Vergangenheit mit Schulschwänzern massiv zu kämpfen hatte. Heute hebt Oberschulrat Hübner sie als "beispielhaft" hervor: Schulleiter Siegfried Arnz und seine Kollegen sind neue Wege gegangen, um die Schüler zurückzuholen. "Wir müssen unsere Schule so verändern", sagt Arnz, "dass sie ein Ort wird, an dem sich alle angenommen und gewollt fühlen." Zentrale Bedeutung habe die Schulstation, in die sich Schüler zurückziehen können, wenn sie frustriert, gereizt oder mutlos sind. "Unsere Schüler können jederzeit dorthin gehen und werden von Lehrkräften betreut."

Birgit Warzecha hält von Polizeieinsätzen gegen Schwänzer, wie sie die Bayern planen, überhaupt nichts. "Damit kriegt man die Jugendlichen vielleicht von der Straße. Mehr nicht." Auch der Berliner Oberschulrat Hübner betont, dass man das bayerische Vorbild nicht übernehmen wolle. "Ordnungspolitische Maßnahmen lösen nicht das Problem. Wir müssen präventiv wirken." Wie Prävention aussehen kann, erklärt Schulleiter Arnz: "Unsere Schüler sollen sich mit ihrer Schule identifizieren." 30 Arbeitsgemeinschaften, die Cafeteria, eine Schülerfirma gibt es, die Schüler renovieren das Schulgebäude: "Indem wir den Jugendlichen Verantwortung übertragen, verbessert sich ihr Bild von der Schule. Und sie kommen wieder." So die Hoffnung des Schulleiters.

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