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Berlin: Erste Stalker-Beratungsstelle eröffnet

Sie beobachten heimlich ihre Opfer, schicken Blumen, dringen in Wohnungen ein und werden manchmal sogar handgreiflich. Jetzt helfen Berater: Nicht den Geschädigten, sondern den Stalkern.

Mit einem Blumenstrauß für die nett lächelnde Nachbarin kann es anfangen. Die nächste Stufe des hartnäckigen Nachstellens sind pausenlose Anrufe, schließlich traut sich das bedrängte Opfer nicht mehr aus der Wohnung. "Beim Stalken ist es wie bei einer Sucht - die Täter erhöhen die Dosis immer mehr, um eigene Größe zu fühlen", sagt der Psychologe Wolf Ortiz-Müller. Er ist Leiter der bundesweit ersten Beratungsstelle für Stalker, die am Mittwoch in Berlin eröffnet wurde. Mit "Stop-Stalking" betritt das Team um den Psychologen Neuland - denn ein Projekt für Täter, die nicht aufhören können, andere zu belästigen, gab es bislang nicht.

"Wir verstehen es auch als Opferschutz, wenn wir an die Täter rankommen", betont der 46-Jährige, der mit vier weiteren Experten helfen will. Neben dem seit einem Jahr geltenden Strafrechtsparagrafen 238 würden Konzepte gebraucht, wie Stalker von "ihrer dunklen Seite" loskommen können. Solche Perspektiven sollen in dem schlichten Beratungsraum mit braunen Ledersesseln und weißen Wänden in einem gediegenen Mietshaus am S-Bahnhof Steglitz entwickelt werden.

Der Begriff "Stalking" kommt aus dem Englischen und bedeutet Anschleichen. Der neue Paragraf sieht bis zu drei Jahre Haft vor, bei schweren Folgen bis hin zum Tod drohen zehn Jahre. Bis Ende 2007 waren bundesweit schon mehrere tausend Verfahren eingeleitet worden.

Viele Stalker werden gewalttätig

Das Projekt gehört zum Berliner Krisen- und Beratungsdienst. Der Verein, der psychosoziale Hilfen anbietet, bekommt Finanzmittel aus Bußgeldern und ist auf Spenden angewiesen. "Senatsgelder bekommen wir bislang nicht", sagt Ortiz-Müller. Er verweist aber auf die gute Kooperation mit der Polizei bei der Vorbereitung. Beamte in den Wachen sollen jetzt mit Flyern auf "Stop-Stalking" hinweisen.

Auch Polizeipräsident Dieter Glietsch ist voll des Lobes. Nun werde denen geholfen, die das Stalken nicht allein beenden könnten. Denn viele schreckten nicht davor zurück, ihre Opfer auch körperlich anzugreifen. "Mit dieser Tätergruppe sind wir im polizeilichen Alltag zunehmend konfrontiert."

Er gehe von einem großen Hilfsbedarf bei Stalkern aus, sagt Ortiz-Müller. Allein in Berlin seien im Vorjahr mehr als 1000 Stalking-Anzeigen erstattet worden, mehr als 100 Anklagen seien anhängig. Jetzt beginnt in Berlin ein Prozess gegen einen Mann, der seine frühere Lebensgefährtin nicht nur mit SMS bombardiert, sondern ihr auch Salzsäure ins Auto gegossen haben soll. Stalker nähmen die Wirklichkeit verzerrt dar, sagt der Experte. Da werde dann aus dem unverbindlichen Lächeln der Nachbarin ein Liebesbeweis.

Eigenes Verhalten kritisieren

"Wir verurteilen die Tat, aber nicht den Menschen", sagt der Psychologe. Stalker, die sich direkt an die Beratungsstelle wenden, könnten beim ersten Kontakt anonym bleiben. Dann wird es aber konkret: mit einem schriftlichen Konzept und bis zu 15 Gesprächen. Der "innere Fokus" der Stalker solle auf neue Ziele gerichtet werden. "Wir sind aber keine Rund-um-die-Uhr-Krisenbetreuung." Aufgedeckt werden solle, aus welchen Kränkungen, Konflikten oder innerer Ohnmacht das Stalken entstand. Manche hätten nach dem Verlust ihrer Arbeit auch als Langeweile damit begonnen - "um die innere Leere zu bekämpfen, die dann noch größer wird."

"Wer nicht bereit ist, das eigene Verhalten infrage zu stellen, kann nicht aufgenommen werden", sagt der Psychologe. Wer sich als Opfer sehe und die Schuld bei anderen suche, habe keine Chance. "Stalken ist zuerst soziales Fehlverhalten." Verfolgung und Belästigung träfen nicht nur Prominente, sondern vor allem Menschen, die ihren Peiniger schon vorher kannten. (Internet: www.stop-stalking-berlin.de)

Jutta Schütz[dpa]

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