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Beziehungen am Arbeitsplatz: Gelegenheit macht Liebe

Der Arbeitsplatz ist ein Heiratsmarkt: Häufig finden sich dort Partner fürs Leben. Das birgt Chancen und Risiken - für Mitarbeiter und Unternehmen.

Als sie sich das erste Mal zum Abschied umarmten, wäre sie am liebsten mit Haut und Haaren in ihn geschlüpft. Seine Wärme strömte durch jede Pore, streichelte ihre Seele und schien ihr mitten ins Herz. Es war ein grauer Tag im Dezember, ein gemeinsamer Kollege hatte zum privaten Plausch in seine Altbauwohnung geladen. Und sie, zwei Mittdreißiger, waren da, wie sie jeden Tag da waren. In der Firma, einem mittelständischen Berliner Unternehmen, Tisch an Tisch in einem Büro. Jahrein jahraus hatten sie zusammengesessen, konferiert, diskutiert, Nachtschichten eingelegt, bei einer Tasse Kaffee an Projekten gearbeitet. Er war immer da, und sie hatte ihn nicht wahrgenommen. Sie strahlte, als sie an jenem Wintertag auf die dunkle Straße hinaustrat. Der Kollege hatte gerade das Licht in ihrem Herzen angeknipst.

Es ist der Anfang einer Geschichte, wie sie sich zwischen Deutschlands Schreibtischen, Betriebskantinen und Konferenzräumen tausendfach anbahnt - Liebe am Arbeitsplatz. Wie sehr es knistert in kleinen Unternehmen, bei Großkonzernen und Mittelständlern, zeigt die Statistik. Laut einer Studie des Hamburger Meinungsforschungsinstituts Gewis hatte jeder fünfte Berufstätige in Deutschland (18 Prozent) schon einmal eine Beziehung am Arbeitsplatz. Jeder Vierte davon hat sogar einen der Kollegen geheiratet. Andere Untersuchungen wie die des Businessportals Careerbuilder belegen, dass sich rund 30 Prozent, also fast ein Drittel aller Paare, am Arbeitsplatz kennen und lieben lernen. Und laut einer Studie des westdeutschen Meinungsforschungsinstituts Ifak hat sich jeder zehnte Deutsche schon einmal im Büro verliebt.

Prominente Beispiele für die Liaison im Büro finden sich in allen Bereichen der Wirtschaftswelt und der Politik: Altkanzler Gerhard Schröder lernte seine Ehefrau, die Journalistin Doris Schröder-Köpf, bei einem Interview kennen; bei den US-Schauspielern Angelina Jolie und Brad Pitt funkte es am Set des Kino-Films "Mr. & Mrs Smith"; der frühere SPD-Parteivorsitzenden Franz Müntefering traf seine Lebensgefährtin Michelle Schumann bei der politischen Arbeit; und der "Kaiser" Franz Beckenbauer ehelichte gleich zwei seiner Sekretärinnen.

Der Wirtschaftsraum bietet seinen Akteuren neben materiellem Profit also offenbar auch Platz für zwischenmenschliche Wärme - und gute Entwicklungsmöglichkeiten für privates Glück. Die Berliner Psychologin Astrid Schreyögg sieht in der Erotisierung des Arbeitswelt gar eine Gegenbewegung zur Rationalität der Märkte: "Hierin manifestiert sich eine generelle Paradoxie moderner Gesellschaften", schreibt sie in einem Aufsatz. "Liebe am Arbeitsplatz lässt sich dementsprechend auch als grundlegende Form des Widerstandes von Menschen gegen versachlichte Lebenswelten interpretieren."

Die Berufswelt hat sich erst in den vergangenen Jahrzehnten als Markt für Herzensangelegenheiten etabliert. Ein Grund dafür liegt in der Heterogenisierung des Arbeitslebens und der Emanzipation: Während noch vor Jahrzehnten vor allem die Männer berufstätig waren, ist die Erwerbsquote der Frauen in den vergangenen Jahren stark gestiegen. So waren 1950 nur 31,3 Prozent aller Erwerbstätigen in der Bundesrepublik weiblich; im Jahr 2008 lag die Frauenerwerbsquote schon bei 45,3 Prozent.

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"Wir haben mit Liebe am Arbeitsplatz überhaupt kein Problem"

Dieser gesellschaftliche Wandel spiegelt sich auch in der Marktwirtschaft wider. "Die Unternehmen gehen immer lockerer mit dem Thema um", sagt die Berliner Autorin und Führungskräftecoach Meike Müller, die sich in ihrem Buch "Rendezvous am Arbeitsplatz" mit der Liebe im Büro befasst hat. "Früher war so etwas nicht gern gesehen." So sei es beispielsweise in den fünfziger Jahren den Angestellten der Bekleidungskette C&A verboten gewesen, mit Mitarbeitern des Hauses anzubandeln.

Beim Berliner Estrel Hotel, einem der größten mittelständischen Unternehmen der Stadt, gehören Verbindungen zwischen Mitarbeitern längst zum professionellen Alltag. "Wir haben damit überhaupt kein Problem", sagt Annette Bramkamp, Chefin der Personalabteilung. "Wenn wir das täten, würden wir uns den Tatsachen verschließen." Unter den rund 520 Mitarbeitern des Hauses gibt es laut Bramkamp mehrere Paare - was wohl auch der Beschäftigungsstruktur des Hotels geschuldet ist. Die meisten Estrel-Angestellten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt, das Durchschnittsalter der Beschäftigten liegt bei 31. "In diesem Alter passiert natürlich viel, was die Partnersuche betrifft", sagt Bramkamp.

Ihre positive Bewertung der Liebe am Arbeitsplatz deckt sich mit den Erfahrungswerten von Buchautorin Müller: Auch sie fand bei den Recherchen zu ihrem Buch heraus, dass die meisten Unternehmen liebenden Mitarbeitern tendenziell positiv gegenüberstehen. Lediglich Firmen mit einem kleinen Mitarbeiterstamm bewerteten entsprechende Verhältnisse teilweise kritisch. Dabei geht es allerdings nicht ums Prinzip, sondern vielmehr um Organisatorisches: Wenn ein Liebespaar beispielsweise immer zur gleichen Zeit Urlaub machen will, kann das die Dienstplanung der Firma durchkreuzen. Auch fürchten kleine Unternehmen eine Machtbündelung des Paares, etwa, wenn einer der Liebenden über das Budget des anderen bestimmt.

Jeanine Großmann hat ihre große Liebe Thomas Leistikow vor zweieinhalb Jahren beim Telefonieren getroffen: Als sie sich im Frühjahr 2007 verliebten, arbeiteten beide als Telefonisten beim Callcenter ADM in Mitte. "Er saß drei Tische weiter und hat laufend rübergeguckt", erzählt die 23-Jährige. "Irgendwann habe ich ihn einfach angesprochen." Der Rest ist Geschichte. Die Kollegen machten erst einmal, dann immer öfter gemeinsam Pause, verabredeten sich schließlich auf einen Cocktail nach Feierabend - und sind seitdem unzertrennlich.

Die Erotik erhält Einzug in den Berufsalltag. Das US-Fachmagazin "Psychology Today" bezeichnet diese Entwicklung als "Liebesexplosion am Arbeitsplatz". Dass sich die Leidenschaft im Büro mithin nicht nur auf das eigene Schaffen beschränkt, erklären die Psychologen mit den Arbeitsbedingungen der Moderne: Professionelle Situationen wie Brainstorming, Teamwork oder Überstunden provozierten den Aufruhr sinnlicher Gefühle geradezu. "Wir arbeiten heute alle schneller, smarter, bringen mehr von uns ein", heißt es im Fachmagazin. Dadurch werde die Arbeitsatmosphäre regelrecht "aufgeheizt". Der amerikanische Management-Experte David Eyler teilt diese Erklärung des Arbeitseros: "Arbeit ist grundsätzlich eines der sexiesten Dinge, die Menschen zusammen tun können", schreibt er in seinem Buch "More than Friends".

"Ein Betrieb ist immer auch ein Heiratsmarkt", sagt die Berliner Soziologie-Professorin Helgard Kramer vom Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin, "zumindest ein indirekter." Für Wissenschaftler wie Kramer liegt der Grund des Arbeitseros in einem dauerhaft gemeinsamen Bedeutungshorizont: Der geteilte Berufsalltag mit allen seinen Fallstricken und Entwicklungsmöglichkeiten, Erfolgen und Niederlagen macht die Akteure eines Unternehmens füreinander attraktiv. Der Job verbindet; vor allem gemeinsam durchlebter Stress im Büro schweißt die Mitarbeiter eines Unternehmens zusammen. Für Psychologen ist der Faktor Nähe ausschlaggebend für den Erfolg von Beziehungen. Gemeinsame berufliche Perspektiven schaffen enorme Nähe, vor allem durch den angepassten Arbeitsrhythmus innerhalb eines Unternehmens.

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"Arbeit ist eines der sexiesten Dinge, die Menschen zusammen tun können"

Die Kreativbranche scheint dabei besonders für die Suche nach dem passenden Partner geeignet. In diesem Wirtschaftsbereich ist der zwischenmenschliche Umgang besonders intensiv, weil dort vergleichsweise kleine, intime Teams zusammen an einem Projekt arbeiten. Zudem verschwimmen die Grenzen zwischen Freizeit und Job in der Branche zusehends: Bei Webagenturen oder Unternehmensberatungen beschränken sich die sozialen Kontakte wegen überdurchschnittlich langer Arbeitszeiten in der Regel auf die Arbeit; wer viele Überstunden macht, ist kaum geneigt, den Feierabend oder die spärliche Freizeit in die Partnersuche zu investieren. Überhaupt ist Zeitmangel der entscheidende Faktor, der dem Arbeitseros in die Hand spielt. Nicht nur Führungskräfte arbeiten gut und gerne 50 bis 60 Stunden in der Woche - da bleibt für Privates nur noch wenig Spielraum.

Uli Mayer-Johanssen, Mitbegründerin und Vorstandsvorsitzende der Berliner Corporate-Identity- und Branding-Agentur Meta Design, hat dafür eine Erklärung. "In der Agenturwelt verbringt man nicht selten zwölf bis 14 Stunden im Büro", sagt sie. Es sei klar, dass man sich unter diesen Umständen "ganz gut kennen lerne." Die Zahl der Paare in ihrem Unternehmen spricht jedenfalls dafür: Rund fünf Prozent der 220 Mitarbeiter, schätzt Mayer-Johanssen, sind miteinander liiert. Für die 51-Jährige ist die Paarbildung Zeichen einer großen Identifikation mit dem Unternehmen: "Nach bestimmten Werten und einer gemeinsamen Philosophie zu arbeiten, schafft ein Wir-Gefühl."

Die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt hat sich die zunehmende Verschmelzung von Profession und Privatleben in eigener Sache zu Nutzen gemacht: Das Unternehmen warb im Jahr 2000 mit dem erotischen Aspekt einer Beschäftigung im eigenen Haus um Mitarbeiter. Die Anzeige, die im Magazin "Kauflust Hamburg" erschien, zeigt vier nackte Frauen auf einem Tierpelz und trägt den Slogan: "Jede zweite Ehe entsteht am Arbeitsplatz. Alexandra, Diana, Anke und Christina arbeiten bei Jung von Matt." Die Kampagne erregte vor allem öffentliches Aufsehen - und sorgte für Gesprächsstoff unter den Kollegen.

Die Werbeaktion korrespondiert mit der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass potenzielle Arbeitnehmer keinesfalls nur auf den finanziellen Profit schauen, wenn sie auf Jobsuche sind. Laut einer Studie der Kölner Personalberatung German Career Service ist besonders für weibliche Beschäftigte nicht die Bezahlung ausschlaggebendes Kriterium für berufliche Erfüllung, sondern ein möglichst lockeres Betriebsklima, Flirten inklusive.

Zufriedene Arbeitnehmer wiederum sind für Firmen lukrativ: Sie identifizieren sich mit dem Unternehmen, arbeiten motivierter und sind eher dazu bereit, die eine oder andere Überstunde zu leisten, haben Arbeitsforscher herausgefunden. Die Praxis untermauert das Forschungsergebnis. Vor allem der Beginn einer neuen Liebe wirke auf die Arbeit "ausgesprochen motivierend", sagt Personalchefin Bramkamp vom Estrel. "Die Mitarbeiter fühlen sich wohl und freuen sich, wenn der Partner in der Nähe ist." Wer Schmetterlinge im Bauch und die rosarote Brille auf der Nase hat, bringt nicht nur mehr zustande und bewältigt ein überdurchschnittliches Arbeitspensum, sondern denkt überdies auch kreativer als unter "normalen" Umständen. Dies ist besonders bei einem heterogenen Kollegium der Fall, wie Psychologen der Universität von North Dakota herausfanden: In gemischten Teams gehen Kollegen eher aufeinander ein und produzieren so den einen oder anderen Geistesblitz - auch, um sich gegenseitig zu beeindrucken. Diese Erkenntnis hat die amerikanische Sexualforscherin und Autorin des Buchs "Sex and Business" Shere Hite zu der Forderung veranlasst: Macht mehr Liebe im Büro!

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Private Beziehungen am Arbeitsplatz entziehen sich der juristischen Beurteilung

Ein kühner Wunsch, zumal in den Vereinigten Staaten die wirtschaftserotischen Uhren anders ticken als in Deutschland; im Land der unbegrenzten Möglichkeiten unterliegt die Liebe am Arbeitsplatz zum Teil erheblichen Einschränkungen. So enthalten zahlreiche Arbeitsverträge so genannte Codes of Conduct - Ethikkataloge, die private Kontakte zwischen Mitarbeitern einschränken oder sogar verbieten. Auch ausländische Konzerne, die am Aktienmarkt in New York notiert sind, müssen ein solches Regelwerk aufstellen. "Im deutschen Kulturkreis wäre es undenkbar, private Beziehungen von Mitarbeitern durch den Arbeitgeber verbieten zu lassen", sagt der Berliner Arbeitsrechtler Jörg Hennig. Im deutschen Recht sei keine einzige Regelung enthalten, die das Liebesleben von Beschäftigten reglementiert. "Private Beziehungen am Arbeitsplatz entziehen sich der juristischen Beurteilung", sagt Hennig. Will heißen: Liaisons im Büro fallen unter das im Grundgesetz verbürgte Persönlichkeitsrecht und gehen den Arbeitgeber daher in der Regel nichts an. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem Arbeitgeber um einen in Deutschland agierenden ausländischen Konzern handelt, wie der Fall Wal-Mart aus dem Jahr 2005 zeigt. Der amerikanische Handelskonzern hatte seinen deutschen Mitarbeitern per Richtlinie verboten, miteinander anzubandeln.

Im Neuköllner Hotel Estrel gilt der Grundsatz der "freien Liebe" im Übrigen für alle gleichermaßen - für den Angestellten ebenso wie für Vorgesetzte. Beziehungen unter gleichgestellten Kollegen seien in der Regel "unproblematisch", sagt Bramkamp. "Wenn es sich aber um ein Untergebenenverhältnis handelt, kann es schwierig werden", gibt die Estrel-Personalchefin zu. Ein Verhältnis zwischen Chef und Angestellter könne sich vor allem für außen-stehende Dritte zum Problem entwickeln, etwa, wenn der oder die Höhergestellte die Arbeit des Geliebten bewerten müsse. "Ein solches Urteil hat in der Wahrnehmung der anderen oft einen Beigeschmack", sagt Bramkamp. "Die Kollegen fragen sich, ob der Einschätzung eine tatsächlich erbrachte Leistung oder doch eher persönliche Vorlieben zugrunde liegen."

Bramkamps Einschätzung deckt sich mit einer Umfrage des Personalberatungsunternehmens Robert Half Finance & Accounting: 91 Prozent der befragten Personal- und Finanzmanager gaben an, keine Bedenken gegen gleichrangige Beziehungen zu haben. Problematischer wurden dagegen Beziehungen mit Vorgesetzen beurteilt.

Wer sich als Angestellter mit seiner Chefin oder als Mitarbeiterin mit seinem Boss einlässt, ist allerdings in guter Gesellschaft: Laut Untersuchungen kommt die-se Form des Büro-Verhältnisses in Deutschland besonders häufig vor. Auch der "Klassiker" der Arbeitsplatz-Erotik - Chef liebt Sekretärin - gehört dazu. So gaben bei einer Befragung des Instituts für Markt-und Sozialforschung zwölf Prozent der Befragten an, eine feste Verbindung mit einer Führungskraft eingegangen zu sein. Liebestechnisch zurückhaltender verhielten sich die Befragten im Kreise der Kollegen: Dort landete Amors Pfeil nur bei acht Prozent der Befragten einen Treffer. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt das Business­portal Careerbuilder.de: Bei einer Studie im Jahr 2007 unter 566 Beschäftigen gaben 24 Prozent der Befragten an, in ihrem Berufsleben schon einmal eine Beziehung mit einem höherrangigen Angestellten gehabt zu haben, wobei die Frauen mit 30 Prozent innerhalb dieser Gruppe deutlich vor den Männern (17 Prozent) lagen.

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Ein Verhältnis liegt immer dann nahe, wenn die Mitarbeiter auch viel Privates teilen

Was steckt hinter dieser Statistik? Nähe verbindet, sagen Psychologen und Soziologen. Nicht nur gemeinsam verbrachte Zeit und ein gemeinsamer Arbeitsalltag spielen auf dem Liebesmarkt Büro eine Rolle - es geht auch darum, welche Art von Arbeit potenzielle Liebeskandidaten miteinander verbindet. Das beliebte Verhältnis - Chef liebt Sekretärin oder persönliche Assistentin - erklären Experten unter anderem damit, dass beide häufig "Geheimnisträger" und Machtzentralen des Unternehmens sind: Niemand im Haus weiß so gut über Termine, Verabredungen, Dienstreisen und nicht selten auch über das Privatleben des Chefs Bescheid wie die Damen im Vorzimmer.

"Eine persönliche Assistentin hat oft auch Einblicke in das Privatleben ihres Chefs, muss zum Teil auch für ihn lügen", sagt Buchautorin Meike Müller. "Die professionelle Nähe ist so intensiv, dass sie oft intimer wird", erklärt sie. "Die Möglichkeit eines Verhältnisses liegt immer dann nahe, wenn die Mitarbeiter neben dem Geschäftlichen auch viel Privates teilen."

In den meisten Fällen, bei denen sich aus einer beruflichen auch eine erotische Beziehung entwickelt, fungiert der Arbeitsplatz zunächst "nur" als Kandidatenpool für eine potenzielle Partnerschaft. Die beliebtesten Anbahnungssituationen und -orte sind laut einer Untersuchung abendliche Überstunden, Betriebsfeste wie Sommerpartys oder Weihnachtsfeiern, die Unternehmenskantine oder Geschäftsreisen. Das erste private Date findet aber häufig außerhalb der regulären Arbeitszeiten oder außerhalb des Büros statt.

Das war auch bei Andrea Burghardt (31) und Lukas Schmieder (33) (Namen von der Redaktion geändert) so: Die MetaDesign-Mitarbeiter kamen bei einer Sommerparty des Unternehmens auf der Dachterrasse der Firma ins Gespräch und verabredeten sich auf einen Drink. Die Liebe folgte auf dem Fuße: Die beiden sind seit einem guten Jahr ein Paar und wohnen inzwischen auch zusammen. Dort spielt sich auch der größte Teil ihres Liebeslebens ab: Bei MetaDesign arbeiten Burghardt und Schmieder in unterschiedlichen Abteilungen und fünf Stockwerke voneinander getrennt. "Wir treffen uns so gut wie gar nicht", sagt Burghardt. "Und das wird von uns beiden auch als wohltuend empfunden." Durch die räumliche Trennung im Job habe das Private keinen Einfluss auf den Beruf. "Es ist wichtig, Berufliches und Privates zu trennen", sagt ihr Partner Lukas Schmieder. "Für mich ist das der Grundparameter, um mit der Situation professionell umgehen zu können. "Man kann den Aufgaben seiner Arbeit nachgehen und gerät nicht in Rechtfertigungsdruck."

Haben zwei in einem Unternehmen erst einmal zusammengefunden, kann deren Intimität beim professionellen Umfeld der Liebenden Unruhe und Missgunst hervorrufen, sagt Estrel-Personalchefin Brambeck. Gerade bei Verhältnissen zwischen Mitarbeitern unterschiedlicher Gehaltsklassen leiten die außen vor stehenden Kollegen aus der Zweierbeziehung mögliche negative Konsequenzen für sich selbst ab. Neben einer unterstellten Bevorzugung des Geliebten durch den höhergestellten Partner etwa bei der Vergabe von Posten sehen die nicht beteiligten Mitarbeiter in einem solchen Verhältnis "nach oben" die Vertraulichkeit ihrer Unternehmensebene und somit die eigene Jobsicherheit bedroht. So kann durch eine Liaison mit einem höhergestellten Beschäftigten ein Informationsvorsprung entstehen: Die Liebenden tauschen unter Umständen Fakten aus, zu denen Dritte keinen Zugang haben.

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Viele Paare kapseln sich vom Rest der Belegschaft ab

Laut Psychologin Schreyögg werden Liebesverhältnisse mit Autoritätsgefälle daher von den Außenstehenden häufig als "illegitime Bündnisse" gewertet: "Sie stellen prinzipiell einen stärkeren Unruheherd dar als andere Liebesbeziehungen. Und sie werden in aller Regel sowohl von den Liebenden selbst als auch von den übrigen tabuisiert." MetaDesign-Chefin Mayer-Johanssen kann diese Beobachtung in ihrem eigenen Unternehmen belegen - denn dort sind private Verhältnisse der Führungsriege "nach unten" in all den Jahren auch schon vorgekommen. Bei den Kollegen könne diese Konstellation Argwohn verursachen, sagt Mayer-Johanssen. "Man zieht sich zurück und fragt sich, was die beiden wohl miteinander besprechen. Das schürt die Angst, nicht mehr vertraulich miteinander reden zu können."

Ganz gleich, wer sich am Arbeitsplatz mit wem einlässt: So ganz wollen die rationale, an Gewinn und Leistung orientierte Jobwelt und das Universum der Emotionen nicht zusammenpassen. Nicht wenige Paare, die sich am Arbeitsplatz lieben lernen, haben ein Problem, mit ihren Gefühlen professionell umzugehen. "Viele kochen ihr eigenes Süppchen und kapseln sich oft vom Rest der Belegschaft ab", sagt Autorin Müller. "Das kann der Dynamik in einem Team schaden," sagt sie. Nicht nur aus diesem Grund rät die Personaltrainerin Paaren am Arbeitsplatz zu privater Zurückhaltung. "Die beiden sollten sich nicht absondern und das Flirten im Büro sein lassen", sagt Müller. Zudem dürfe, wer sich auf eine Liaison am Arbeitsplatz einlasse, den Faktor der betriebsinternen Öffentlichkeit und des "Flurfunks" nicht unterschätzen. "Liebe im Büro bedeutet immer, ein öffentliches Paar zu sein", sagt Müller. "Alle meinen, mitreden zu können." Offenbar sind sich viele Paare dieses Risikos bewusst: Laut Untersuchung des amerikanischen Hite Research Institute hält rund ein Drittel der Verliebten ein Verhältnis am Arbeitsplatz geheim.

Es sei angebracht, zumindest am Anfang einer Beziehung mit seinen Gefühlen erst einmal hinterm Berg zu halten und "einen Gang zurückzuschalten", sagt Personalcoach Müller. Schließlich könne niemand so genau vorhersagen, wie sich die Verhältnisse entwickeln, sagt Müller: "Es kann ja auch nur ein Strohfeuer sein."

Andrea Burghardt und Lukas Schmieder haben die goldene Regel beherzigt und ihre Beziehung nicht öffentlich gemacht. Lediglich ihre Chefin weihten sie in ihre Liebe ein, vorsichtshalber, um sich abzusichern. Inzwischen wissen auch die Kollegen im Unternehmen über die Liaison Bescheid. "Die Reaktion darauf war durchweg positiv", sagt Burghardt. "Schließlich hat schon fast jeder einmal eine solche Geschichte erlebt."

Auch Jeanine Großmann und Thomas Leistikow haben ihre Gefühle füreinander im Unternehmen zunächst geheim gehalten. Eingeweihte Kollegen hatten zu diesem Vorgehen geraten - obwohl es in der Firma, die rund 2000 Mitarbeiter hat, zahlreiche Paare gab und bekannt war, dass das Unternehmen offen mit dem Thema umging. "Wir wollten einfach nicht, dass getuschelt wird", erinnert sich Großmann. Nach einiger Zeit habe sie ihre Liebe zu Thomas dann aber doch öffentlich gemacht: "Es war offensichtlich, weil ich die ganze Zeit so gestrahlt habe", sagt sie. "Außerdem lüge ich nicht gerne."

Mehr als ein Jahr haben Großmann und ihr Freund seit dem Kennenlernen zusammen im Callcenter gearbeitet und waren glücklich. Nur einmal hatten die beiden eine Sinnkrise: Thomas war sich seiner Gefühle nicht mehr sicher und ging auf Abstand. "Es war komisch, ihn im Büro zu sehen, obwohl zwischen uns Funkstille herrschte, sagt Großmann. "Ich war sehr traurig und verletzt und wollte Thomas weder sehen noch sprechen. Es war wie ein Stich ins Herz."

Das Verhalten des Paares folge einem typischen Muster von Beziehungen am Arbeitsplatz, sagt Autorin Meike Müller. In der Regel funktioniere eine Liebe im Büro so lange, wie zwischen den Partnern alles in Ordnung sei. Aber wehe, wenn es krisele oder die Beziehung in die Brüche gehe: Für manch ein Paar fingen die Schwierigkeiten da erst an. Diverse Ratgeber empfehlen deswegen, am Anfang einer Büro-Liaison Verhaltensregeln für das potenzielle Ende aufzustellen - ein Rat, den Autorin Müller für wenig hilfreich hält. "Es ist Quatsch, sich etwas für den Fall der Fälle vorzunehmen", sagt sie. "Wenn eine Beziehung zu Ende geht, sind alle guten Vorsätze schnell vergessen."

Im Krieg und in der Liebe sind alle Mittel erlaubt, stellte schon William Shakespeare vor Jahrhunderten fest; das berühmte Sprichwort scheint sich nicht nur im Jetzt und Hier, sondern auch am Arbeitsplatz zu bewahrheiten. Wer mit seinem Liebsten das Büro teilt, läuft immer Gefahr, private Spannungen in die Firma zu tragen. Soviel Nähe ein gemeinsamer Arbeitsplatz auch zwischen Liebenden schafft, so sehr kann sie im Privaten Überdruss hervorrufen; dann nämlich, wenn es zu Hause nur noch um den Job und das Unternehmen geht. "Wir reden zu Hause viel über unseren Job", sagt Andrea Burghardt. Und das kann die Beziehung eindimensional werden lassen. "Auf der anderen Seite weiß der andere, was einem beruflich auf der Seele brennt", sagt sie. "Es gibt ein größeres Verständnis füreinander", sagt ihr Partner. Natürlich könne die dauerhafte Beschäftigung mit dem Job auch zu viel werden, sagt Schmieder: "Dann muss man rechtzeitig die Notbremse ziehen und das Thema wechseln."

Zu viel Nähe kann schädlich sein - im Privaten wie am Arbeitsplatz. Diese Erfahrung machen vor allem auch Paare, die sich trennen: Der Abschied vom bis dato Geliebten geht selten ohne Herzschmerz vorüber und führt im Job oft dazu, dass sich die ehemaligen Partner konsequenterweise aus dem Wege gehen.

"Wenn zwei miteinander arbeiten müssen, die sich nicht mehr leiden mögen, ist das kontraproduktiv", weiß Estrel-Personalchefin Bramkamp aufgrund jahrelanger Berufserfahrung. Was zum Auftakt einer Liebesbeziehung noch wie ein professionelles Potenzmittel wirken mag, wird nach dem Ende eines Verhältnisses schnell zum Arbeitshemmnis - zum Beispiel, wenn die einstigen Partner angesichts der Trennung so verletzt sind, dass sie nicht mehr miteinander reden. Besonders brenzlig kann es werden, wenn es sich bei den Getrennten um eine Führungskraft und einen Untergebenen handelt: Im schlimmsten Fall kann der verschmähte Chef einiges unternehmen, damit der oder die ehemalige Geliebte in der Firma keinen Fuß mehr auf den Boden kriegt.

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Ist die Beziehung vorbei, kann Kündigung ein Schritt sein, aber nicht der erste

Ein Kündigungsgrund ist das Ende einer Liebe nicht; allerdings gibt es mannigfaltige legale Wege, sich eines nicht mehr wohl gelittenen Arbeitnehmers zu entledigen oder diesen zumindest für einen längeren Zeitraum kaltzustellen. Vorstellbar ist beispielsweise die Versetzung des Mitarbeiters in eine andere Abteilung der Firma - mit der Begründung der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit. "Dagegen kann man wenig machen", sagt Arbeitsrechtler Hennig. "Der Arbeitnehmer muss beweisen, dass er zu Unrecht versetzt wurde." Das sei schwierig, sagt auch Buchautorin Müller: "Die Vorgesetzten sitzen da eindeutig am längeren Hebel."

Wenn Bürolieben zu Ende gehen, sei Besonnenheit gefragt, sagt Müller. Wer sich wegen einer Trennung am Arbeitsplatz nicht mehr wohl oder gar vom Ex-Partner gemobbt fühle, könne zunächst einmal Urlaub nehmen, um Abstand zu gewinnen. Manchmal sei die Situation allerdings so verfahren, dass eine kurze Auszeit nicht genüge und man zu drastischeren Maßnahmen greifen müsse. Diese reichten vom Sabbat-Jahr über psychologische Unterstützung bis hin zum Jobwechsel. Von einer sofortigen Kündigung allerdings sollte man absehen, rät Müller: "Das kann ein Schritt sein, aber nicht der erste."

Allen Schwierigkeiten und Risiken zum Trotz: Die Erfolgsaussichten einer Liebe am Arbeitsplatz stehen gut. Ehen, die am Arbeitsplatz entstanden sind, halten zumindest laut Statistik länger als Verbindungen, die außerhalb der Berufswelt eingegangen wurden. Der Heidelberger Universitätsprofessor und Soziologe Thomas Klein erklärt diesen Umstand unter anderem damit, dass die Protagonisten auf dem Liebesmarkt Arbeitsplatz vorsichtiger aufeinander zugehen als an anderen Orten der Beziehungsanbahnung. Es mag daran liegen, dass die Liebesprotagonisten der Begegnung am Arbeitsplatz eine größere Verbindlichkeit beimessen als etwa dem Flirt in der Kneipe, von dem man sich schnell wieder verabschieden kann; im Job ist das Risiko ungleich größer, sich ein zweites Mal über den Weg zu laufen.

Auf der anderen Seite bietet das Büro geradezu optimale Bedingungen, potenzielle Liebeskandidaten in Ruhe, aus der Nähe und doch mit gehörigem Abstand in verschiedenen Situationen kennenzulernen - und daraus dann beizeiten seine Schlüsse zu ziehen. Man kann quasi noch vor der ersten gemeinsamen Nacht eruieren, ob man es mit einem Menschen mit Werten und Manieren oder doch eher mit einem sozialen Problemfall zu tun bekommt.

Auch Jeanine Großmann und Thomas Leistikow haben diese Chance genutzt: Während sie sich nach zwei Jahren Single-Dasein ohne Umschweife ins Beziehungsleben stürzen wollte, ließ er sie vor der ersten Verabredung einige Wochen zappeln. "Er hat mich gestestet und wollte wissen, ob ich es wirklich ernst meine", sagt Großmann. Eine wahre Prüfung sei das gewesen, sagt die 23-Jährige, "denn ich bin wirklich ungeduldig".

Am Ende haben sich das Kennenlernen aus der Ferne und das Warten gelohnt: Großmann und Leistikow gehen auch heute noch gemeinsame Wege und planen ihre Zukunft. Das Callcenter, in dem sie sich lieben lernten, haben die beiden inzwischen verlassen - aus beruflichen Gründen. Sie lässt sich derzeit zur Kauffrau für Bürokommunikation ausbilden, er ist auf der Suche nach einem neuen Job. Sein privates Glück will das Paar demnächst mit einer gemeinsamen Wohnung krönen - und damit vielleicht die Grundlage für eine langfristige Partnerschaft legen. "Wir reden jetzt schon manchmal übers Heiraten und Kinderkriegen", sagt Großmann. "Mit Thomas kann ich mir das vorstellen, und ich wünsche mir eine Familie mit ihm."

Mit freundlicher Genehmigung von "Berlin Maximal"

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