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Die Briefe von Charles stammen alle aus dem Jahr 2005.

© Reuters

Briefe von Prinz Charles an Politiker: Wie weit darf ein Thronfolger gehen?

Die kontroversen Briefe von Prinz Charles an Minister zeigen seinen Einfluss und seine Interessen. Sie werfen aber auch die Frage auf, ob Charles überhaupt König werden darf.

Die meisten Briten dürften beeindruckt sein von den vielseitigen Interessen ihres Thronfolgers: Rinderzucht, die Macht der Supermärkte, unnötige Bürokratie für Bauern, Verbreitung von Rinder-TB durch Dachse, mangelhafte Ausrüstung von Soldaten, Erhaltung historischer Gebäude, Kräutermedizin, Ernährung in Schulküchen, den richtigen Job von Lehrern und sogar das Schicksal des Albatros und die illegale Überfischung des patagonischen Zahnfisches. Das alles kommt in den Briefen vor, die Prinz Charles an Minister und den einstigen Premierminister Tony Blair geschrieben hat und die nun veröffentlicht wurden.

Die Frage ist, ob Charles derlei Einfluss auf die Politik nehmen darf. Jeder Bürger kann an seine Minister schreiben so viel er will. Anders ist es bei einem Thronfolger, der zu politischer Neutralität verpflichtet ist. Deshalb ging der „Guardian“, eine Zeitung mit einer erklärten republikanischen Ausrichtung, in einem zehnjährigen Rechtsstreit bis in die oberste Instanz, um die Herausgabe der Briefe zu erzwingen – und bekam nun Recht. Sollte er aber gehofft haben, mit der Veröffentlichung die britische Monarchie gänzlich in Frage zu stellen, war es wohl ein Fehlschlag. Denn die Briefe zeigten einen Thronfolger „im Einklang mit dem Volk“, wie der „Daily Telegraph“ schrieb, sie könnten die Popularität des Prinzen eher noch erhöht haben. Neben zehn Briefen von Charles wurden auch 16 Briefe von Ministern und Staatssekretären veröffentlicht. Und für einige Minister war das peinlicher als für Charles.

Die größte Belustigung löste ein Brief des einstige Bildungsministers Charles Clarke aus, der mit den Worten unterzeichnete: „Ich habe die Ehre, Sir, Ihrer Königlichen Hoheit ehrerbietigster und gehorsamster Diener zu sein.“ Nun ist es, wie es immer ist: Jeder liest hinein, was er will. „Die Briefe zeigen, dass Charles zutiefst und leidenschaftlich an den Geschicken unseres Landes und seiner Menschen interessiert ist“, sagte ein Abgeordneter der Tories. „Die einzige ernsthafte Qualifikation für die Rolle des Royalen Staatsoberhaupts ist politische Unparteilichkeit. Charles hat gezeigt, dass er ein ungeeigneter, unverbesserlicher Nörgler ist“, sagte ein Labour-Abgeordneter. In einem der längsten der Briefe direkt an Premier Blair bringt Charles nach einigen Pläsanterien die ungenügende Ausrüstung der Armee im Irakkrieg zur Sprache: „Ein weiteres Beispiel dafür, dass unsere Streitkräfte angewiesen werden, einen extrem herausfordernden Job zu machen, ohne die nötige Ausrüstung zu bekommen.“

Dachse und Albatrosse

Außerdem tritt Charles für die kontrollierte Massen-Ausrottung von Dachsen ein und nennt es „intellektuell unbegreiflich“, dass die Dachsschützer nicht den geringsten Anstoß an der Massenschlachtung teuerer Rinder nehmen. Sofern die Minister auf ihn gehört haben – und nicht andere Prozesse ausschlaggebend waren – verdanken die Londoner Charles die Erhaltung des historischen Spitalsfields Markt in der Stadt. Kontroverser ist sein Beitrag, die Einführung einer EU Richtlinie zu Naturheilmitteln hinauszuzögern. Charles fasst in einem Brief an Blair ein Gespräch zu Naturheilkunde zusammen: „Ich denke wir stimmten beide überein, dass hier ein Vorschlaghammer benutzt wird, um eine Nuss zu knacken.“ Dann setzt er den Gesundheitsminister mit dem Chef seiner „Stiftung über integrierte Gesundheit“ in Verbindung, um eine britische Regulierung in die Wege zu leiten.

Den größten Spaß macht der Brief über den patagonische Zahnfisch an Umweltminister Elliot Morley: „Ich hoffe besonders, dass das illegale Fischen des patagonischen Zahnfisches ganz oben auf ihrer Prioritätenliste steht, denn, wenn dieser Handel nicht gestoppt wird, gibt es wenig Hoffnung für den armen, alten Albatros.“ Der frühere „Guardian“-Chef Alan Rusbridger wollte mit der Veröffentlichung der Briefe Transparenz schaffen: „Die königliche Familie muss mit dem gleichen Maß an Transparenz operieren wie alle anderen, die ihren Einfluss in der Öffentlichkeit geltend machen.“

Rechtlich sind seine Kompetenzen nicht geregelt

Aber Charles ist seit über 40 Jahren unablässig im Einsatz, als Begründer, Finanzier und Vorsitzender zahlreicher Stiftungen und wohltätigen Initiativen, vor allem im Sozial- und Umweltbereich. Ist es realistisch, dass er zu der Vielzahl von Themen einfach schweigt, die ihn beschäftigen? „Prinz Charles hat mehr als 600 Begegnungen im Jahr. Das gibt ihm eine einzigartige Perspektive“, heißt es in einer Stellungnahme von seinen Pressesprechern. „Manchmal führt das dazu, dass er seine Erfahrungen oder auch Sorgen und Vorschläge an Minister von allen Regierungen, von allen Parteien kommuniziert, persönlich oder schriftlich.“

Was Charles darf und was er nicht darf, ist in keiner Verfassung festgelegt. „Der Job des Thronfolgers wird von Charles selbst definiert, in der Praxis“, sagt die Verfasserin der jüngsten Charles Biografie, Catherine Mayer, der BBC. Charles sei sein ganzes Leben lang Thronfolger, es liege auf der Hand, dass er seine Rolle auf eigene und andere Art definieren müsse. Die veröffentlichten Briefe stammen alle aus einem kurzen Zeitraum Anfang 2005. Schreibt Charles immer noch an Minister? Das ist unbekannt, denn die Regierung hat weiteren Veröffentlichungen inzwischen verboten. Sollte Charles einmal König werden, muss er nicht mehr schreiben: Dann trifft er den Premier in wöchentlicher Geheimaudienz um seine verfassungsmäßige Rolle auszuüben: „Zu raten und zu warnen.“

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