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© AFP

Britney Spears: Absturz in Zeitlupe

Vom geliebten Prinzesschen zur verhassten Anti-Mutter, von der jungfräulichen Kindfrau zur Mega-Schlampe. Die Häme gegen Britney Spears kennt keine Grenzen. Aber was war ihre eigentliche Sünde?

Es ist ein beispielloser Absturz, langsam, aber mit einer gewissen Zwangsläufigkeit, so wie ein Auffahrunfall in Zeitlupe. Nicht zum ersten Mal stürzt eine Prinzessin aus dem Pop-Himmel. Noch nie allerdings war der Abstieg so drastisch und von einer derart giftigen Häme begleitet: vom geliebten Prinzesschen zur verhassten Anti-Mutter, von der jungfräulichen Kindfrau zur Mega-Schlampe.

Die Fallhöhe ist beträchtlich. Mit nur 17 Jahren stand Britney Spears 1999 in den USA gleichzeitig an der Spitze der Album- und Single-Charts: „…Baby One More Time“ ist dort bis heute das erfolgreichste Debüt-Album einer Künstlerin. Spears’ Einfluss auf die Pop-Sphäre war immens: das Musikvideo, das sie in der Uniform einer katholischen Mädchenschule zeigte, ging um die Welt. Damit war ein ausgesprochen erfolgreiches Image für sie erfunden, das vor allem eine Behauptung aufstellte: Britney ist sexy, ohne sexy sein zu wollen. Ihren ersten Sex, versicherte die Sängerin oft und gerne, wolle sie keinesfalls vor der Ehe haben.

Das Bild bekam bald Risse. Schon im nächsten Jahr fiel Britney Spears gelegentlich aus der Rolle und gestand, längst mit Justin Timberlake liiert zu sein. Sie kompensierte das mit einem überraschenden Image-Wechsel: Spätestens mit ihrem Auftritt bei den MTV Music Awards 2003, als sie auf offener Bühne Madonna küsste, war aus der Koketterie einer Kindfrau die offene Erotik einer absichtsvoll aufreizenden Blondine geworden. Statt Schuluniform mit ein wenig frecher Bauchfreiheit trug sie jetzt sehr knappe Kostüme, enges Latex und eine lebende Boa auf den Schultern.

Dann heiratete Spears den Tänzer Kevin Federline, bekam die beiden Kinder Sean Preston und Jayden James und verschwand fast gänzlich von der Bildfläche. Nach der Trennung von Federline zwei Jahre später brachen plötzlich alle Dämme: Mit Paris Hilton feierte sie ausschweifende Partys. Sie ließ sich von Paparazzi ohne Unterwäsche fotografieren und prügelte dann mit einem Schirm auf sie ein. Sie rasierte sich in einen Haarsalon die Haare ab. Im Februar 2007 begab sie sich in eine Entzugsklinik, wo sie es allerdings nicht lange aushielt. Der Höhepunkt: Ein Gericht erkennt ihr das Sorgerecht für ihre Kinder ab.

Die Berichterstattung über KlatschPersönlichkeiten hat sich seit der Erfindung der Real-Life-Soaps verändert: Nicht mehr nur um Affären, Hochzeiten oder andere Einzelereignisse geht es, sondern um jede einzelne Minute. Ausführliche Seifenopern werden um Celebrities herum geschrieben, Leerstellen werden aufgefüllt mit Vermutungen und Behauptungen von sogenannten „Quellen“ und „Experten“. Fast alles, was man über Britneys Privatleben und ihre Mutterschaft zu wissen glaubt, stammt von entlassenen Mitarbeiten – einem Bodyguard etwa, der jetzt durch Talkshows tingelt und von Spears’ „Problemen mit Drogen und Nacktheit“ erzählt, um, wie er sagt, „die Kinder zu schützen“. Vor allem weibliche Stars müssen dabei hohen Erwartungen entsprechen. Wie eine Frau auszusehen und sich zu verhalten hat, das wird heute vor allem über die Urteile und Kommentare der Celebrity-Magazine definiert. Ausgerechnet in einer Zeit, in der weibliche Stars sich als fürsorgliche Mütter in Szene setzen, hält Spears sich nicht an die Regeln. Sie führt sich stattdessen auf, wie es Männer an ihrer Stelle ganz selbstverständlich tun: mit einer aggressiv ausgelebten Glamour-Karriere, offen zur Schau gestellter finanzieller Unabhängigkeit und sexueller Freiheit. Dass sie bei ihrem Ringen um Selbstständigkeit sich auch von jenen Beratern unabhängig machte, die sie offenbar doch braucht, das war wohl Britneys eigentlicher Fehler. Als sie sich bei den MTV Video Music Awards in Las Vegas mit einem gänzlich unprofessionellen Auftritt dem Spott auslieferte, hatte sie kurzfristig und eigenmächtig die Tanzschritte geändert, ein anderes Kostüm gewählt und den Haarstylisten nach Hause geschickt. Inzwischen ist Spears, von der man einst dachte, sie sei die neue Madonna, eine bizarre Kuriosität – das exakte Gegenteil ihres einstigen Weggefährten Justin Timberlake.

Beide moderierten in jungen Jahren den Disney-Club und wurden anschließend Weltstars. Beide sind nicht nur erfolgreiche Künstler, sondern mindestens genauso sehr öffentliche Persönlichkeiten. Es ist nicht leicht, eine Balance zu finden zwischen diesen beiden Polen. Timberlake ist das gelungen: Er wird heute als Musiker ernst genommen, obwohl er anfangs keineswegs talentierter war als Britney Spears. Auf das Ende seiner Beziehung mit ihr reagierte er mit der Single „Cry me a River“ – ein Song, der nicht einfach nur den Klatsch-Wert der Trennung ausnutzte, sondern auch ein hochwertiges Stück Popmusik war. Timberlake gab damit seinen Weg vor: musikalische Weiterentwicklung und ein gewisser Abstand von der „celebrity culture“. Dieses Gleichgewicht zwischen Klatsch- und Künstlerpersönlichkeit hat Britney Spears nie erreicht, weil sie sich im entscheidenden Moment ihrer Karriere auf ihre Rolle als öffentliche Person konzentrierte – und in eine Ehe stürzte, von der sie sich offenbar versprach, dass sie dem erwünschten Bild einer erwachsenen Frau förderlich sein könnte. Doch Pop-Prinzessinnen haben hart zu arbeiten für ihren Erfolg – auf der Bühne ebenso wie jenseits davon. Was die US-Öffentlichkeit am meisten abstößt, ist weniger Britneys Versagen an sich, sondern dass sie dabei so aussieht, als gäbe sie sich keine Mühe. Das ist ihre eigentliche Sünde. Gerade deshalb aber ist es zu früh, Britney Spears abzuschreiben. Wenn es ihr gelingt, sich selbst am Blondschopf aus dem Schlamassel zu ziehen, wird sie vielleicht noch Triumphe feiern, wie man sie schon lange nicht mehr gesehen hat. „Gimme More“ jedenfalls, jenes Stück, mit dem sie sich in Las Vegas so vehement blamierte, steht in den USA diese Woche auf Platz drei der Billboard Charts. Es ist die zweithöchste Platzierung, die Spears in den USA bislang erreichen konnte.

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