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Von Journalisten umringt: José Rosello, Vater des zweijährigen Julen, bangt um seinen Sohn.

© Álex Zea/dpa

Brunnen-Unglück: Spanien hofft auf ein Wunder

Am Sonntag ist der zweijährige Julen in der Provinz Malaga in ein Bohrloch gefallen. Die Rettungsarbeiten kommen aber nur langsam voran.

Santiago Cortón Díaz richtet den Blick nach oben und schüttelt ungläubig den Kopf. Er steht rund 300 Meter unterhalb der Unglücksstelle, wo am Sonntag der zweijährige Julen in einen illegal gebohrten engen Brunnenschacht von über 100 Metern Tiefe gerutscht ist. In der Ferne sieht man zwei orangefarbene Bagger leuchten. Für den Augenblick stehen sie still. Von der Hauptstraße am Ortsrand von Totalán in der spanischen Provinz Málaga biegt ein Lastwagen ein. Er hat eine Planierraupe auf der Ladefläche.

„Schau dir das an. Das kann nicht wahr sein, dass jetzt immer noch Geräte kommen. Der Junge steckt seit Sonntag in dem Berg. Wir haben heute Donnerstag“, schimpft Cortón Díaz. Noch am Vormittag hat er mit dem Vater des Kindes telefoniert und sich erkundigt, wie es den Eltern geht. Die beiden Männer sind seit Jahren befreundet.

Die Nacht zuvor war ernüchternd für all jene, die auf ein Wunder hoffen. Der Plan, einen Tunnel horizontal von links in den Berg zu graben, ging nicht auf. Die Rettungsmannschaften hätten sich selbst in Gefahr gebracht. Das Schiefergestein gab immer wieder nach und machte es unmöglich, das Kind auf dieser Route zu erreichen. „Hier sind Geologen im Einsatz. Die sagen, sie haben das Gestein untersucht. Weshalb haben die nicht gesagt, dass es keinen Sinn ergibt, horizontal in den Berg zu graben? Das müssen die doch wissen“, sagt Cortón Díaz.

Die Wut steigt dem Freund der Familie zunehmend zu Kopf. Was muss erst in den Eltern vorgehen bei dem Gedanken an all die Stunden, die möglicherweise verschwendet wurden, um Julen das Leben zu retten? Ihr Junge war am Sonntag beim Spielen in den Schacht gefallen, der nur notdürftig mit Steinen abgedeckt war. Das Loch hat einen Durchmesser von 25 Zentimetern. Das ist in etwa die Größe eines Tellers für ein Hauptgericht.

Je länger die Rettungsaktion dauert, desto mehr Fragen drängen sich auf und legen sich wie ein schwerer Mantel über die Ortschaft. Ehe die Stimmung kippt, schicken die Verantwortlichen der Bergung am Donnerstagmittag einen Ingenieur, der den Menschen Rede und Antwort steht. Ángel García Vidal von der Universität Málaga nimmt ein Blatt Papier und beginnt darauf zu zeichnen. Der neue Plan lautet, eine Plattform 30 Meter unterhalb der Unglücksstelle in den Hang zu bauen. Von dort aus werden parallel zum Schacht, in dem sich Julen befindet, zwei vertikale Löcher rechts und links davon gegraben. Ein dritter Tunnel soll nun horizontal aus entgegengesetzter Richtung, also von rechts, an die Unglücksstelle geschaufelt werden. Das Gestein dort sei stabiler, heißt es. „Die Arbeiten sind aus technischer Perspektive höchst anspruchsvoll“, sagt García Vidal. Er will damit auch erklären, weshalb in den vergangenen Tagen immer neue Entscheidungen getroffen werden mussten, die wertvolle Zeit kosteten.

Mit jeder Stunde wird die Chance kleiner, den Jungen lebend zu finden

Das Kind wird in einer Tiefe von ziemlich exakt 71 Metern vermutet. Die parallelen Bohrungen sollen erst einige Meter tiefer enden, um auf jeden Fall von unten nach oben an den Jungen gelangen zu können. Aber die Uhr tickt. Ärzte glauben, dass Julen bis Donnerstag noch immer am Leben gewesen sein könnte. Aber jede Stunde wird die Chance kleiner, dass man ihn lebendig findet.

Das Schiefergestein ist luftdurchlässiger als beispielsweise Granit. Geologen halten es für möglich, dass bei einer bestimmten Konstellation der Steine die Luft zirkuliert. Unter glücklichen Umständen könnte der Junge dann mit ausreichend Sauerstoff versorgt werden. Auch die Temperatur im Berg wird von den Experten für so hoch eingeschätzt, dass Julen zumindest nicht erfrieren kann. Der Hunger sei sowieso das geringste Problem. Ohne Nahrung könnte das Kind noch einige Tage überleben. Der Wassermangel dagegen bereitet nach 100 Stunden die größten Sorgen.

Der Ingenieur will keine große Versprechungen abgeben. Aber er überschlägt grob den Zeitplan: „Freitagmorgen ist die Plattform fertig, und dann noch mal mindestens zwölf Stunden“, sagt er. Totaláns Bürgermeister Miguel Ángel Escaño ist zutiefst empört über die Verzögerungen. In einem Interview schimpfte er über die provisorisch angelaufene Rettungsaktion. Er habe davor gewarnt, einen horizontalen Graben zu bauen, aber niemand habe ihm zugehört. Escaño kontaktierte auch Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska und bat um dringende Hilfe, erhielt aber keine Antwort. „Ich hoffe, du rufst mich bald an“, sagte der Bürgermeister.

"Wir sind Julen" - die Anwohner des Dorfes nehmen Anteil am Schicksal des Jungen

Die übrigen Bewohner des kleinen Dorfes nordöstlich der Provinzhauptstadt Málaga kommen inzwischen jeden Tag die 500 Meter zum Unglücksberg gelaufen, um das Gefühl zu haben, dem kleinen Jungen irgendwie beizustehen. Am Mittwochabend hatten sich Dutzende Kinder und deren Eltern aus Totalán unweit der Bergungsstätte versammelt. Sie hielten Schilder in die Luft. „Wir sind Julen“, war dort unter anderem zu lesen. Die Kinder skandierten seinen Namen. Manchen Erwachsenen trieb die herzzerreißende Solidarität die Tränen in die Augen. Die Gruppe appellierte an die Helfer, sie möchten nicht aufgeben.

Der Vater des Kleinen, José Rosello, hatte sich einige Stunden zuvor noch tapfer den vielen Mikrofonen der Kamerateams gestellt und gesagt, er glaube daran, dass sein Sohn einen Schutzengel habe. Sein Freund Santiago Cortón Díaz, der ihn am Donnerstagmorgen angerufen hatte, schüttelt leicht mit dem Kopf und kneift die Lippen zusammen. „Ihre Hoffnung schwindet“, sagt er.

Marcel Grzanna

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