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An diesem Mittwoch vor 40 Jahren starb Elvis Presley an Herzversagen. Bis heute bleibt er der King of Rock ’n’ Roll.

© imago/United Archives

Buchauszug: Elvis war nie tot

Ein Roman lässt den King of Rock ’n’ Roll zum 40. Todestag abseits allen Trubels noch mal neu anfangen. Ein Textauzug.

Viel ungewöhnlicher als das dreieckige Zifferblatt dieser weißgoldenen Hamilton Ventura war die Tatsache, dass jene Uhr am 17. August 1977 um 16.02 Uhr überhaupt noch getragen wurde. Dass ihr Träger dazu selbst zu dieser Tageszeit einen dunkelblauen Seidenpyjama mit hellblauen Streifen anhatte, war hingegen halbwegs normal. Sofern sich an diesem Tag irgendetwas als normal einstufen ließ. Schließlich handelte es sich um niemand Geringeren als Elvis Presley, der hier in einem brandneuen, dunkelbraunen Ohrensessel saß und fernsah. Und das bemerkenswerterweise rund vierundzwanzig Stunden nach seinem Tod. Allerdings wirkte der King für einen Toten immer noch ziemlich lebendig. Aufgedunsen zwar, aber dafür war das Grinsen in seinem Gesicht mindestens so fett wie der Rest seines Körpers.

Nie im Leben hätte Elvis gedacht, dass es sich so gut anfühlen würde, tot zu sein. Und auch wenn der Fernseher schon bis zum Anschlag aufgedreht war, versuchte der King immer noch mit seinem dicken Finger, die Plus-Taste zu drücken. Denn seit gestern Abend lief beinahe ununterbrochen sein Lieblingsprogramm: er selbst. Und Elvis war sich sicher, dass sein Abtritt ironischerweise mit aller Wahrscheinlichkeit das größte Comeback aller Zeiten einläuten würde. Einen derartigen Coup hatte ihm nach all den Jahren wohl absolut niemand mehr zugetraut.

Fleetwood Mac, die Eagles und all die anderen langhaarigen Grasbirnen dürften gestern Abend jedenfalls ziemlich dumm aus der Wäsche geguckt haben, als ABC und NBC die Abendnachrichten mit diesem spektakulären Aufhänger eröffnet hatten. Und nach seiner anfänglichen Zurückhaltung hatte auch CBS eingesehen, dass in diesen Tagen kein anderes Thema sendbar war als der unglaubliche Tod des King of Rock ’n’ Roll. Selbst am nächsten Tag reichte es etwa lediglich für eine klitzekleine Randnotiz, dass der sowjetische Eisbrecher Arktika als das erste über Wasser fahrende Schiff aller Zeiten den Nordpol erreicht hatte. Es war, als wäre der Rest der Weltgeschichte vorübergehend ausgeblendet worden. Hätte es schon Fernsehen gegeben, als Jesus starb, wäre diese Neuigkeit vermutlich kaum größer in den Schlagzeilen gewesen als der aktuelle Todesfall. Der Einzige, der die Nachrichten immer noch nicht gesehen haben dürfte, war wohl Stevie Wonder.

Elvis’ Bauch blitzte auf, als er laut auflachte und dabei sein Schlafanzugoberteil ein Stück zu weit nach oben rutschte. All diese verdammten Emporkömmlinge! Ein letztes Mal würde er seinen musikalischen Untertanen zeigen, was es bedeutete, ihr König zu sein. A-wop-bop-a-loo-lop-a-lop-bam-boom! Rund um den Globus sollte es in den nächsten Wochen keinen einzigen Lautsprecher geben, aus dem nicht sein neues Album „Moody Blue“ dröhnen würde.

Elvis schaltete den Fernseher stumm, erhob seine hundertfünfzig Kilo ächzend von dem ebenso ächzenden Sessel und lief hinüber zum Ganzkörperspiegel – den man in seinem Fall allerdings eher als Halbkörperspiegel bezeichnen musste. Die Ränder des Spiegels waren ringsum mit einer Reihe Glühbirnen versehen. Abgesehen von dem flackernden Licht des Fernsehers war dies die einzige Lichtquelle im ganzen Raum. Wie immer hätte es Elvis nicht ertragen können, auch nur einen einzigen Sonnenstrahl in sein Zimmer hineinfunkeln zu lassen. Und um ganz sicherzugehen, hatte der King die Verdunklungsvorhänge zugezogen, obwohl die Fenster bereits mit Alufolie beklebt waren. In diesem Raum war es dunkler als in der Seele von Ozzy Osbourne.

Hier drinnen sollte es keinen Unterschied machen, ob es draußen Tag oder Nacht war. Gerade weil Elvis die Dunkelheit schon seit seiner Kindheit Angst gemacht hatte, war er irgendwann dazu übergegangen, nachts aufzubleiben und stattdessen tagsüber zu schlafen – in der Gewissheit, dass es dann nicht wirklich dunkel war. Und weil der King es so zu tun pflegte, hatte es nicht lang gedauert, bis seine gesamte Entourage es ihm gleichtat. Sie waren wie Vampire. Nur dass Vampire dazu keine Amphetamine brauchten. Zumindest würde es wohl noch einige Zeit dauern, bis Elvis sein Verhalten wieder der Normalität angepasst hätte. Seine Schlafgewohnheiten ändert man eben nicht von einem Tag auf den anderen.

Elvis drehte sich seitwärts und betrachtete seinen Körper im Spiegel. Bei einer Körpergröße von 2,70 Meter wäre sein Gewicht gar nicht mal so übel gewesen. Aber leider war er gerade mal 1,82 Meter groß. Um die Rundung seines Bauches besser begutachten zu können, klemmte der King sein Oberteil unter sein großzügiges Kinn. Es als Doppelkinn zu betiteln, wäre noch ein Kompliment gewesen. Tripelkinn traf es schon besser. Anhand seines Kinns hätte man kleinen Kindern das Einmaleins beibringen können. Der Übergang war so fließend, dass man gar nicht genau sagen konnte, wie viel seines Körpers eigentlich zum Kinn gehörte. Aber irgendwo tief unter dieser Fettschicht existierte er noch immer: Elvis Aaron Presley. Und nun wollte er das, was von ihm übrig war, so gut wie möglich restaurieren.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch „Das ziemlich lebendige Leben des vermeintlich toten Elvis“ über Elvis’ „Nachtod- Erlebnisse“ von Tobias Geigenmüller (Rowohlt Berlin Verlag, 16,99 €).

Tobias Geigenmüller

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