zum Hauptinhalt
Büro

© ddp

Büro: Kampf um die Arbeitsplätze

Im Büro verbringt der Mensch mehr Zeit als im Wohnzimmer. Kein Wunder, dass es sich die meisten an ihrem Schreibtisch gemütlich machen. Doch jetzt droht die neue Kargheit. Sie gilt als effektiver.

Richtig gemütlich haben sie es sich gemacht, die Angestellten des Bürgeramts Prenzlauer Berg. Auf den Schreibtische stehen unter anderem: lila Usambara-Veilchen, Grünpflanzen in bunten Töpfen, Familienfotos, Schweine, Giraffen und Elefanten aus Plüsch. Auf einem Monitor sitzen kleine Tonigel, an der Wand kleben Autogrammkarten in Hülle und Fülle, von Alexandra Neldel über David Hasselhoff zu Angela Merkel, Dutzende von Autogrammkarten.

„Aneignung“ nennt Riklef Rambow, Architekturpsychologe an der Universität Cottbus und Geschäftsführer des Instituts für Architektur- und Umweltpsychologie Psy-Plan, diese Einrichtung am Arbeitsplatz. „Büros sind auch Lebensraum“, sagt Rambow. „Vor allem in Zeiten, in denen viele Menschen mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiten.“ Und doch legten Arbeitgeber oft viel zu wenig Sorgfalt in die Gestaltung der Büros. Das kann sich rächen: Studien haben gezeigt, dass Gebäude aggressiv oder unproduktiv machen können.

Das Umfeld beeinflusst das Empfinden

Schon der Blick aus dem Krankenzimmer kann nach Ansicht von Wissenschaftlern die Genesung des Patienten beeinflussen. Im Rahmen der sogenannten Bosti-Studie wurde in 70 amerikanischen Firmen untersucht, wie effektiv Veränderungen in der Raumgestaltung sind, die Architekturpsychologen gemeinsam mit Mitarbeitern entwickelt hatten: Nach fünf Jahren hatten die Angestellten ihre Leistung um bis zu 17 Prozent gesteigert.

Allerdings, betont Rambow, gibt es keine Patentlösungen. „Große, offene Büros mit wechselnden Arbeitsplätzen können in manchen Branchen verfehlt, in anderen genau das Richtige sein.“ Junge, ehrgeizige Unternehmensberater etwa, die ohnehin ständig unterwegs seien, wollten sich ja gar keine gemütliche Stube einrichten. „Da passt das dann.“

Rückzugsmöglichkeiten schaffen

Dem Wunsch nach Rückzugsmöglichkeiten begegnet der Architekturpsychologe allerdings häufig bei seiner Arbeit. „Aber oft wird versucht, den Gestaltungswillen der Mitarbeiter sehr weit zurückzudrängen, weil persönlich eingerichtete Büros dem gängigen Bild von Dienstleistung und Service widersprechen.“ Auch am Arbeitsplatz wollten die Leute aber als eigenständige Person wahrgenommen werden. Rambow empfiehlt, diesen Wunsch zumindest teilweise schon in der Architektur zu berücksichtigen. Heute wird bei Bürogebäuden sehr gern mit Glas gebaut. Den Mitarbeitern könne man da entgegenkommen, indem zum Beispiel nur die Tür aus Glas sei, nicht aber sämtliche Wände.

Aber die Zukunft sieht möglicherweise noch viel weniger kuschelig aus. Und die Zukunft hat schon begonnen. Da gibt’s gar keine Tür mehr, die man kurz zumachen könnte. Zum Schwätzchen mal eben in eine versteckte Ecke verziehen? Auch Fehlanzeige. Ortstermin im Springer-Hochhaus, 15. Stock. Hier werden die „Welt“ und die „Berliner Morgenpost“ produziert. Ein großer, offener Raum, Einrichtung minimalistisch: die Schreibtische zu Blöcken angeordnet, Bürostühle mit roten Bezügen. Keine Pflanzen, keine Stellwände, keine Nischen. Auf jedem Platz ein dunkler Flachbildschirm, Tastatur, Maus und Telefon. Mehr darf über Nacht nicht liegen bleiben. Wer hier, im Newsroom, arbeitet, schließt seine Sachen jeden Abend in einen Rollcontainer ein.

Gestalten des Büroplatzes durch Mitarbeiter

„Wir wollten eine Werkstattatmosphäre schaffen“, erklärt Romanus Otte, als stellvertretender Chefredakteur der „Welt am Sonntag“ mitverantwortlich für die Gestaltung des neuen Newsrooms. „Non-territoriales Büro“ nennen Experten das Konzept: Niemand hat mehr einen festen Platz, alle suchen sich jeden Tag neu ihren Tisch, vom Chef bis zum Sachbearbeiter. Zum Deponieren von Stiften, Büchern, Fotos, Schokoriegeln gibt es besagte Schränkchen. Auf denen im Springer-Hochhaus sind Polster angebracht, damit man darauf auch sitzen kann. „Sehr praktisch“, findet Otte. Der Newsroom ist vor allem eines: funktional.

Von 6 Uhr früh bis nachts um halb eins wird hier jeden Tag gearbeitet, in mehreren Schichten hintereinander. Weil niemand einen festen Platz hat, kann ein Tisch von mehreren Leuten genutzt werden. Nur müssen die am Ende ihrer Schicht alles wegräumen.

Sieht so das Büro von morgen aus: mobil, flexibel, hell, licht – kühl und unpersönlich?

„Wir wollten kein heimeliges Büro gestalten, in dem sich jeder persönlich einrichtet“, sagt Otte. Schnelle, direkte Kommunikation, darum gehe es in erster Linie. Deshalb stehen im Newsroom auch keine Raumteiler oder hohen Schränke. Jeder kann jeden sehen, und zwar immer. „Da soll sich keiner hinter einer Palme verstecken.“ Also: striktes Grünpflanzenverbot. Und was ist mit Fotos, Postkarten, Glücksbringern – Dingen, mit denen sich viele Menschen gerne umgeben, damit sie sich wohlfühlen an dem Ort, an dem sie oft mehr Zeit als zu Hause verbringen? Doch, ja, so etwas dürften die Leute schon mitbringen, brummt Otte. „Wenn es denn sein muss“, schwingt dabei mit. „Die Konzentration soll sich auf die Arbeit richten“, sagt der Vizechefredakteur. „Und auch aus ästhetischen Gründen wollen wir nicht, dass es hier aussieht wie auf dem Bezirksamt Pankow: voller Postkarten mit Witzen über Ehefrauen und den Chef.“

Szenenwechsel. Im Sony-Center am Potsdamer Platz, beispielhaft für moderne Glasarchitektur, scheint erst einmal alles transparent. Zumindest, wenn man von außen draufschaut: Die blonde Frau im dritten Stock trägt einen roten Pullover, ihr Kollege telefoniert gerade, im Zimmer daneben lehnt ein recht großes Filmposter an der Wand. Das Gebäude von Helmut Jahn ist kühl, futuristisch, transparent, gebaut aus Stahl und viel, viel Glas. Stört es denn nun, wenn man beim Arbeiten so auf dem Präsentierteller sitzt? „Man denkt da ganz schnell nicht mehr dran“, sagt Anke Illigen, die dort in der Presseabteilung arbeitet. Und ihren Platz – natürlich habe sie sich den persönlich eingerichtet, mit Fotos und selbst gemalten Bildern von den Kindern. Ob man sich den denn mal ansehen könne? Nein, leider, in die Büros dürften keine Besucher, aus Sicherheitsgründen.

Wohnen und arbeiten in Berlin-Kreuzberg

Weiter nach Kreuzberg. „Ach was!“, winkt Stephan Austilat ab, Geschäftsführer der Druckerei Druckpunkt in der Wrangelstraße: Dass seine Mitarbeiter mehr spielen als arbeiten, die Sorge habe er nicht.  Dabei finden sich bei Druckpunkt einige Anreize, ein kleines Päuschen einzulegen: Ein Minigolfteppich, ein Flipper, ein Billardtisch, eine Dartscheibe und zwei Kicker stehen in den Räumen der Druckerei.

Vor einem Jahr ist der Betrieb hierhergezogen. Neue Räume, neue Einrichtung. „Wir hatten bei Werbeagenturen öfter mal einen Kicker gesehen.“ Büros mit Event-Charakter, das kennt man noch aus den Zeiten der New Economy: Die jungen, aufstrebenden Nachwuchskräfte sollten möglichst 80 Stunden in der Woche arbeiten, dafür wurden sie mit jeder Menge Extras bei Laune gehalten: Morgens gemeinsames Frühstück, Sushi zum Mittagessen, Massagen nach langen Nachtschichten am Computer – oder eben ein schnelles Flipper-Match in der Pause.

Spielen fürs Betriebsklima

Austilat ist fest davon überzeugt, dass die Spielgeräte gut sind für das Betriebsklima. „Eine Partie Tischfußball dauert zehn Minuten. Da können alle ordentlich Dampf ablassen – und danach gehen sie wesentlich entspannter an die Arbeit.“ Und nicht nur bei den Angestellten, auch bei den Kunden kämen die Spiele prima an. Einer zum Beispiel, der sei immer so ein steifer Typ gewesen. Nach ein paar Runden Tischfußball sei der wie ausgewechselt.

Und die Mitarbeiter? Gisela Rühlemann ist seit 20 Jahren in der Firma, fühlt sich wohl in den hellen, großzügigen Räumen. Ja, natürlich spiele sie auch mal eine Runde. Nur bei der Verteilung, da hat sie ein wenig Pech gehabt: Genau neben ihrem Platz liegt nämlich der Minigolfteppich. Das Spiel liege ihr aber nun leider gar nicht. Dart oder Billard, das wäre ihr viel lieber gewesen.

Von Katja Michel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false