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Panorama: Christliche Kinder-Guerilla

Das Sektendrama lenkt die Aufmerksamkeit auf die Verfilzung von Religion und PolitikAntje Passenheim Erst war vom Freitod Hunderter Sektenanhänger die Rede - jetzt von Massenmord. Mysteriös ist aber nicht nur der Tod von mindestens 700 Sektenjüngern in Uganda - ebenso fragwürdig sind nach Meinung von Angehörigen auch die bisherigen Ermittlungen.

Das Sektendrama lenkt die Aufmerksamkeit auf die Verfilzung von Religion und PolitikAntje Passenheim

Erst war vom Freitod Hunderter Sektenanhänger die Rede - jetzt von Massenmord. Mysteriös ist aber nicht nur der Tod von mindestens 700 Sektenjüngern in Uganda - ebenso fragwürdig sind nach Meinung von Angehörigen auch die bisherigen Ermittlungen. Eine gute Woche musste vergehen, bevor die brutalen Massaker an Anhängern der "Bewegung für die Wiedereinsetzung der Zehn Gebote Gottes", unter ihnen zahlreiche Kinder, von der ugandischen Polizei als Morde verfolgt wurden.

Nicht, dass eine Kirche mit dicken Brettern und Balken vernagelt werden musste, wenn sich Menschen darin freiwillig verbrennen, bewegte die Polizei zunächst zu Mordermittlungen. Auch nicht die Funde von teils zerschmetterten, teils aufgeschlitzten Leichen in der Latrine der Sekte.

Erst der Fund dreier Massengräber mit 153 Leichen auf weiteren Sektengrundstücken am Freitag warf für die Ermittler ein neues Licht auf die so genannte Massenverbrennung in der Sektenkirche der Ortschaft Kanunga. Schließlich verschwieg ein Mitglied der Distriktverwaltung auch noch einen Geheimdienst-Bericht, in dem deutlich vor der Kultbewegung gewarnt worden war. In dem von Bürgerkriegen umgebenen verarmten Land, in dem das tägliche Durchschnittseinkommen unter einer Mark liegt und rund 1,5 Millionen Menschen an Aids erkrankt sind, sprießen Sekten wie Pilze aus der Erde. Zu traurigem Ruhm gelangte vor allem die "Widerstandsarmee des Herrn", die die Uganderin Alice Lakwena in den 80er Jaren nach einer "Eingebung" ins Leben gerufen hatte. Aus der "Bewegung des Heiligen Geistes" wurde eine Guerillagruppe, die im Norden des Landes auf der Grundlage der zehn Gebote einen blutigen Bürgerkrieg gegen Präsident Museveni führt.

Die Truppe aus hauptsächlich gewaltsam rekrutierten Kindern ermordete unter dem Kommando von Lakwenas Cousin und Nachfolger, Joseph Kony, Tausende von Menschen. "Diese Organisation, die sich selber als christlich bezeichnet, gehört zu den teuflischsten und brutalsten Terrorgruppen weltweit", urteilte vor zwei Jaren die Afrikabeauftragte der amerikanischen Regierung, Susan Rice.

Nach Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen wurden mehr als 12 000 Kinder von den militanten Guerillas des ehemaligen katholischen Laienpredigers Kony entführt. Die Jungen werden, unter Drogen gesetzt, zu Grausamkeiten an der Bevölkerung angeleitet, die Mädchen werden zu Konkubinen der Kommandanten. Nachdem Präsident Museveni 13 Jahre lang den Dialog mit den Sekten-Guerillas abgelehnt hatte, bot er ihnen im Dezember eine sechsmonatige Amnestie an. Das Friedensangebot erschwert dem Staatschef nun die Eröffnung eines breitangelegten landesweiten Kampfes gegen das Sektentum.

Der flüchtige mutmaßliche Massenmörder Joseph Kibweteere, Führer der "Bewegung für die Wiedereinsetzung der Zehn Gebote Gottes", hat nicht so viele Opfer auf dem Gewissen wie der militante Kony. Doch inzwischen geht die Polizei davon aus, dass die grausamen Funde vom Freitag nicht die letzten sind. Der 68-jährige selbst ernannte "Prophet" war ein frustrierter ehemaliger Oppositionspolitiker der katholisch dominierten Christlichen Partei. Er befindet sich mit seiner Stellvertreterin, einer ehemaligen Prostituierten, auf der Flucht.

Antje Passenheim

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