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Panorama: Concorde: Mörderischer Speed

Nach einem großen Unglück wie dem der Concorde ist es immer nur eine Frage, die alle umtreibt: Wie konnte das passieren? Wie konnte ein geplatzter Reifen jene Kettenreaktion auslösen, die letztendlich zur Explosion des ganzen Flugzeugs führte?

Nach einem großen Unglück wie dem der Concorde ist es immer nur eine Frage, die alle umtreibt: Wie konnte das passieren? Wie konnte ein geplatzter Reifen jene Kettenreaktion auslösen, die letztendlich zur Explosion des ganzen Flugzeugs führte? Ein endgültiger Untersuchungsbericht liegt noch nicht vor. Stücke eines geplatzten Reifens und Tankteile auf der Rollbahn legen aber nahe, dass Teile des Rades die Treibstofftanks durchbohrten. Diese fingen Flammen, die dann als Feuerschweif hinter dem Flugzeug aufleuchteten. Schließlich explodierten die mit fast 100 Tonnen Kerosin gefüllten Treibstofftanks.

Notlandung in Neufundland

Bereits vor zwanzig Jahren wurden Fälle gemeldet, bei denen geplatzte Concorde-Reifen fast zu einer Katastrophe führten. Dabei geschieht so etwas bei anderen Passagierflugzeugen immer wieder, ohne dass deswegen Abflug oder Landung gefährdet wären. "Es kommt schon einmal vor, dass ein Reifen platzt", sagt Cornelia Eichhorn vom Bundesamt für Luftfahrt in Braunschweig. Weil das normalerweise die Flugtauglichkeit eines Passagierflugzeugs nicht in Frage stellt, muss ein solches Vorkommnis nicht einmal gemeldet werden. Statistiken über die Häufigkeit von Radausfällen im Luftverkehr gibt es deshalb nicht. "Wir erfassen geplatzte Reifen nicht, weil das ein Flugzeug normalerweise nicht in Gefahr bringt", sagt Christian-Heinz Schuberdt von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung. Ihr müssen "Schwere Störungen" gemeldet werden, die die Flugsicherheit in Deutschland gefährden.

Auch bei der Concorde musste ein geplatzter Reifen noch kein Grund zur Besorgnis sein. Das Überschallflugzeug hätte auch so problemlos landen können. Wenn nicht Teile des Rads die Tragfläche mit den Treibstofftanks durchbohrt hätten. Warum so etwas andere Flugzeuge bisher nicht gefährdete, jetzt aber wohl die Concorde zum Absturz brachte, liegt an der Geschwindigkeit. Denn die ist bei der Concorde schon beim Start wesentlich höher als bei anderen Flugzeugen. "Andere Passagierflugzeuge heben bei 120 bis 160 Knoten ab, je nach Größe und Ladegewicht", sagt Schuberdt. Das entspricht in etwa 220 bis 290 Kilometern pro Stunde. Die Concorde hingegen braucht wegen ihrer besonderen Form und dem hohen Abfluggewicht fast 400 km/h Speed auf der Piste, bevor sich der stolze Vogel in die Luft erhebt. Mit entsprechend größerer Wucht flogen deswegen auch die Teile des beschädigten Rads davon. Wurden zu tödlichen Geschossen, die die Tanks durchbohrten.

Hier zeigt sich, was auch Concorde-Kapitäne sagen: Das Flugzeug fliegt immer am technischen Limit. Nach fast 25 Betriebsjahren sind diese Limits wahrscheinlich nicht mehr durch strenge Wartungen zu kontrollieren. Kein Wunder, dass deshalb jede Fehlermeldung an einer der zwölf noch eingesetzten Concorde mit Argusaugen verfolgt wird. So gab es knapp eine Woche nach der Katastrophe erneut Zwischenfälle mit dem Überschallflugzeug: Am Samstag wurden bei der Landung einer Concorde aus New York auf dem Londoner Flughafen Heathrow Maßnahmen für eine Notlandung in Gang gesetzt. In dem mit 18 Passagieren besetzten Flugzeug gab es einen "lauten Knall, ähnlich einer Fehlzündung", erklärte eine Sprecherin der British Airways (BA). Eine weitere Maschine der BA musste in der Nacht zum Montag in Neufundland notlanden, weil es in der Kabine nach Treibstoff roch. Die Airline sprach von einer "reinen Vorsichtsmaßnahme". Die Concorde, die 57 Menschen nach New York bringen sollte, wurde ins kanadische Gander umgeleitet.Weil die Concorde dort umfassenden Sicherheitskontrollen unterzogen wurde, charterte BA für den Weiterflug in die USA eine Boeing 737. British Airways ist die einzige Fluglinie, die das Überschallflugzeug derzeit einsetzt. Sie nahm den Concorde-Verkehr bereits am Tag nach dem Unglück wieder auf.

In Paris berieten Experten über bessere Sicherheitsmaßnahmen, die es erlauben, die in Frankreich bis auf weiteres ausgesetzten Concorde-Flüge wiederaufzunehmen. Nach einem Bericht der Londoner Zeitung "Daily Telegraph" vom Montag wollen die Hinterbliebenen der Concorde-Opfer die höchste Schadenersatzklage in der Geschichte der Luftfahrt anstrengen. Dem Bericht zufolge planen Anwälte der Hinterbliebenen, drei Millionen Pfund (9,5 Millionen Mark) pro Opfer zu fordern. Wie der "Telegraph" weiter schreibt habe der Berliner Rechtsanwalt Jörg Horny angekündigt, um einen maximalen Schadenersatz für die Hinterbliebenen zu kämpfen. Horny war am Montag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Berliner Anwalt fordert Schadensersatz

Zudem wollen Hinterbliebene der Opfer gegen die erneute Veröffentlichung von Namen, Wohnort und Fotos der Opfer durch die "Bild"-Zeitung und andere Presseorgane beim Deutschen Presserat Beschwerde einreichen. Das teilte der Rechtsanwalt und ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum am Sonntagabend mit. Er sei von einigen Hinterbliebenen beauftragt worden, Beschwerde einzureichen. Die Veröffentlichung von Passagierlisten mit Namen und Fotos sei ein grober Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte dieser nicht im öffentlichen Leben stehenden Personen, erklärte Baum. Das Schutzbedürfnis der Angehörigen in dieser für sie schweren Zeit werde in grober Weise missachtet, zumal die Angehörigen am vergangenen Donnerstag die Presse in einer gemeinsamen Erklärung dringend um Unterlassung gebeten hätten.

Die Staatsanwaltschaft in Pontoise bei Paris korrigierte unterdessen Angaben, wonach das Unglück 114 Todesopfer gefordert habe. Die Überreste von 113 Menschen seien in das Gerichtsmedizinische Institut der Stadt Paris gebracht worden, erklärte Staatsanwalt Xavier Salvat.

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