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Weder Heimatkitsch noch Musikantenstadl: Die Berliner Protestgruppe „Jogida“ bei einem Auftritt.

© Uli Schaub

Das Comeback des Jodelns: Holleri du dödel di

Das Jodeln feiert in der Schweiz ein Comeback – als Bachelor-Studium und als politisches Statement.

Inmitten der Schweiz, zwischen schneebedeckten Bergen und kristallklaren Seen liegt die Stadt Luzern. Dort kann man nicht nur mit der „Rigi“ fahren, der ersten Bergbahn Europas, sondern man kann auch Jodeln studieren. Bereits seit einigen Jahren bietet die Hochschule Luzern einen Bachelor-Abschluss in instrumentaler Volksmusik an. Aufgrund von Nachfragen sei es naheliegend gewesen, dieses Angebot auch auf den Vokalbereich auszudehnen, berichtet Nadja Räss. Sie ist Dozentin für Jodeln und außerdem Fachverantwortliche des Schwerpunkts Volksmusik. Die studierte Gesangspädagogin singt nicht nur traditionelle Schweizer Naturjodel, sondern interpretiert diese neu und komponiert sogar eigene Jodellieder.

Das neue Hauptfach startete Mitte September in den zweiten Jahrgang. Derzeit studieren vier Studentinnen Jodeln im Hauptfach und drei im Nebenfach. „Volksmusik ist und bleibt ein sehr spezifisches Genre und ist kein Massenstudium“, meint Räss. Innerhalb des Studiums werden sowohl Einzel- als auch Gruppenunterricht angeboten. In diesen Repertoirestunden arbeiten die Studierenden mit konkreten Melodien und Liedern. Darüber hinaus erhalten sie Technikstunden, in denen der Einsatz der Stimmregister im Vordergrund steht.

Besonders großen Wert werde auf die Auseinandersetzung mit verschiedenen Klangfarben und Jodelstilen gelegt, meint Räss. „Vom urchigen Schweizer Naturjodel über den klassischen Jodelgesang bis zu ganz modernen Varianten“ sei alles dabei.

Neben den fachspezifischen Stunden lernen die Studierenden außerdem Improvisation, Musikgeschichte und Blattlesen. Mittlerweile sind sie sogar Teil des hauseigenen Volksmusik-Ensembles „Alpinis“. Das brachte im Sommer seine zweite CD heraus, auf dieser sind erstmalig auch die Jodelstudierenden zu hören.

In Zukunft soll das Angebot weiter ausgebaut werden. Deshalb bietet die Hochschule Einzelunterricht für Musiker und Musikerinnen an, die ein spezielles Zertifikat in Volksmusik absolvieren wollen. Darüber hinaus suche die Luzerner Hochschule die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, meint Räss.

Auch wenn Jodeln klassischerweise mit den Schweizer Alpen assoziiert wird, erlebt der Gesang nicht nur in Mitteleuropa ein Comeback. So wird auch in Ländern wie Kamerun und Georgien gejodelt. Beim internationalen „OU Jodelfest“ kommen jedes Jahr jodelbegeisterte Menschen aus aller Welt zusammen, um gemeinsam zu musizieren. Im September nächsten Jahres soll das Event erstmalig in Berlin stattfinden.

"Reclaim the Jodel" - die Gruppe will dem Jodeln ein neues Image geben

„Jodeln gilt immer noch als konservativ und wird mit Heimatkitsch oder dem Musikantenstadl assoziiert. Damit wollten wir brechen“, meint Commandanta Elenos, die in Zeiten von Drohungen und Hasskommentaren lieber mit ihrem Künstlerinnennamen genannt werden will. Sie ist Teil der Berliner Protestgruppe „Jogida“ (Jodel-Offensive gegen Idiotisierung durch Angst), die sich mittels Musik gegen Faschismus und Rechtsextremismus zur Wehr setzt. Gemeinsam mit Admirable Gaya sang sie anfangs in einem Berliner Jodelchor und probierte dort verschiedene Jodeltechniken aus. Später gründeten die beiden das Jodelduo „Esels Alptraum“, heute sind sie Teil der größeren Protestgruppe „Jogida“. Diese bietet Jodelworkshops an und bereitet Aktionen vor, um gegen rechtes Gedankengut zu protestieren. „Rechten Demonstrationen wollen wir laut und deutlich etwas entgegensetzen. Etwas, das besser ist als ihre Gewalt“, sagt Commandanta Elenos.

Tradition sei nicht das Problem. Problematisch sei es aber, wenn traditionelle Dinge dafür genutzt würden, um eine Identität zu konstruieren, die bestimmte Menschen ausschließt. Unter dem Slogan „Reclaim the Jodel“ will die Gruppe dem Jodeln ein neues Image geben. Musik sei eigentlich integrativ und kenne keine Grenzen, meint Commandanta Elenos. Bunt verkleidet und in pinker Camouflage zieht die Protestgruppe regelmäßig los und ruft beziehungsweise singt unterschiedliche Jodelgesänge. Das Repertoire reicht von textlosen Melodien bis hin zu antifaschistischen Protestliedern wie „Ha-lo-hal-lo- anti-fa-sci-sti-hol-la-re-i-di-ri-ai-ho!“.

Die Besonderheit am Jodeln sei, dass kaum gesungen, sondern laut gerufen werde. „Jodeln ist befreiend und lebensbejahend. Man braucht keine anderen Dinge, um den Raum einzunehmen, außer die eigene Stimme“, beschreibt Commandanta Elenos. In den traditionellen Jodelregionen dominieren zwar immer noch Männer, aber auch das könnte sich in Zukunft ändern. „Jodeln ermöglicht es insbesondere Frauen, in einer Gesellschaft laut zu werden, die ihnen beigebracht hat, leise und nett zu sein.“

Das Image des konservativen Musikantenstadls sitze zwar tief, doch immer mehr Musiker und Musikerinnen würden daran arbeiten, den Gesang umzudeuten. Möglicherweise könnte Jodeln nicht nur dazu dienen, sich von konservativem und rechtem Gedankengut abzugrenzen, sondern sogar gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse infrage stellen.

Inga Hofmann

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