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Panorama: Das schlafende Klassenzimmer

Die Schule sollte später anfangen, damit Kinder frischer sind. Sagen Forscher

Den Montagmorgen fürchten viele Lehrer besonders. Der Anblick gähnender Münder und schlaff über dem Tisch hängender Oberkörper, der sich ihnen da vor allem bei den älteren Schülern oft bietet, ist nicht gerade erhebend. Am Wochenende haben die Kinder wieder lange ferngesehen, die Jugendlichen in den Clubs die Nacht zum Tag gemacht.

Verständnis für die Nachtschwärmer kommt nun von Seiten der Wissenschaft. Genauer: eines noch relativ jungen Forschungsgebiets, der Chronobiologie. Sie beschäftigt sich mit unserer „inneren Uhr“ und den Problemen der Tagesrhythmik. Und eines ihrer Ergebnisse lautet: Von der Geburt bis zum Alter von 20 werden wir tendenziell immer mehr zu Spätaufstehern. „Unsere Schüler werden heute praktisch mitten in ihrer subjektiven Nacht unterrichtet“, spitzt Till Roenneberg zu, Leiter der Arbeitsgruppe Chronobiologie am Institut für Medizinische Psychologie der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.

Das ist nicht sehr effektiv. Der Wissenschaftler plädiert deshalb vehement dafür, den Unterricht nach angelsächsischem Muster erst um neun statt schon um acht – oder, wie vielfach in den neuen Bundesländern, schon davor – beginnen zu lassen. Vor allem für Jugendliche.

Etwa mit 20 – bei jungen Frauen im Schnitt ein Jahr früher – geht die Kurve, den Forschern zufolge wieder allmählich nach unten: Aus Nachtschwärmern werden nach und nach Menschen, die freiwillig etwas früher aufstehen. Wie früh, das ist aber typbedingt. „Der Chronotyp ist angeboren“, sagt Roenneberg. Aus „Eulen“ wird man deshalb keine morgens früh schon fitten „Lerchen“ machen können. Allein der Versuch könnte der Gesundheit abträglich sein. „Ein Leben entgegen der inneren Uhr ruft Stress hervor“, mahnt der Forscher.

Beim Menschen sitzt diese besondere Uhr in einem kleinen Kern dicht über der Kreuzung der Sehnerven im Gehirn. Bei einem Kolloquium zum Thema „Ein Leben zwischen den Uhren – die innere Uhr in Biologie und Medizin“, das am Mittwoch in Berlin stattfand, berichtete der US-Forscher Joseph Takahashi über brandneue Erkenntnisse zum komplizierten Zusammenspiel der „Uhrengene“. Sie steuern Funktionen im ganzen Körper. Der Jetlag nach einer flugbedingten Zeitverschiebung ist deshalb keine Sache, die sich nur im Kopf abspielt, das wissen die Forscher aus Tierversuchen. „Wenn eine Ratte von New York nach Paris reist, passt sich das Gehirn an einem Tag an. Aber Leber, Lunge und Muskeln brauchen bis zu einer Woche, bis sie nachkommen“, sagte Takahashi. Und eine Zeitverschiebung, die der zwischen New York und Berlin entspricht, erleben viele Jugendliche regelmäßig – bei der Reise vom Wochenende in die neue Schulwoche.

Die wichtigste Hilfe bei der Neueintaktung ist dabei das Tageslicht. Licht als „Zeitgeber“ der inneren Uhr verliert jedoch in einer Gesellschaft an Bedeutung, die immer mehr Zeit in geschlossenen Räumen mit niedrigen – und Tag und Nacht fast gleichen – Luxzahlen verbringt. Erst das elektrische Licht schuf die Voraussetzungen dafür. Aus Erhebungen wie dem „Munich Chrono Type Questionnaire“ (www.impmuenchen. de), den inzwischen mehr als 30000 Menschen aller Alterstufen ausgefüllt haben, weiß man, dass die Mehrheit der Bevölkerung heute an freien, nicht fremdbestimmten Tagen den Nachtschlaf am liebsten zwischen 0 Uhr 30 und 8 Uhr 30 nimmt. Nicht allein viele Schüler sind folglich um acht Uhr morgens noch nicht topfit. „Unsere Arbeitszeit ist nur für einen kleinen Prozentsatz der Bevölkerung geschaffen“, sagt Roenneberg. In Teilbereichen könnte man das ändern, doch Roenneberg vermutet, dass eine „Selektion von Führungskräften nach der inneren Uhr“ das verhindere. „Frühaufsteher und Kurzschläfer bestimmen die Politik.“

Doch auch wenn das anders wäre: Schichtarbeit bleibt nötig. Sollen die Schichten so kurz sein, dass man sich auf die neue Zeit gar nicht umstellt? Oder sollten Menschen die zu ihnen passenden Früh- oder Spätschichten auf Dauer übernehmen?

Schlafforscher meinen es gut. Nur eines können sie keinem abnehmen: abends rechtzeitig ins Bett zu gehen.

Adelheid Müller-Lissner

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