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Panorama: Das Schlimmste steht noch bevor

Heute soll die Elbe ihren Höchststand erreichen – Vorwürfe gegen Ministerpräsident Milbradt

Noch steht das Wasser nicht bei Thomas Zein im Haus. Aber viel fehlt nicht mehr. Seit dem Wochenende strömt Elbewasser über einen Deich in den Dresdner Ortsteil Gohlis. Die meisten Bewohner der Siedlung haben auf Anraten der Behörden die Flucht ergriffen. Der 35-jährige Zein aber will sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, auch wenn der Strom längst abgestellt ist und ohne Gummistiefel nichts mehr geht. „Ich bleibe hier“, sagt er entschlossen. „Ich bin vorbereitet.“ Im Haus steht ein Notstromaggregat, im Garten davor liegt ein Schlauboot. Der selbstständige Klempnermeister hat Vorräte angelegt, das Erdgeschoss leer geräumt und eine Pumpe angeschlossen. Nun will er die Garagentür abstützen, damit sie den Wassermassen standhält.

Der Mann im Blaumann und schwarzen Gummistiefeln und ein paar Nachbarn wollten nicht tatenlos zusehen wie ihre Siedlung ein weiteres Mal untergeht. Beim Jahrhunderthochwasser vor vier Jahren, als die Elbe in Dresden auf 9,40 Meter kletterte, hatten sie keine Chance. Nun sind sie zuversichtlich, doch noch das Schlimmste abwenden zu können. Oder doch wenigstens hinauszuzögern. Das ganze Wochenende haben sie Sandsäcke auf den Deich geschichtet. „Wenn wir das Wasser ein paar Tage länger aufgehalten haben, sind die Schäden vielleicht etwas geringer“, hofft er. Von den Behörden fühlen sie sich in Gohlis im Stich gelassen. Erst sehr spät wurden aus ihrer Sicht professionelle Helfer entsandt, um die Deiche etwas zu verstärken.

Nach bereits tagelangem Kampf gegen das Elb-Hochwasser steht den Menschen in Sachsen das Schlimmste noch bevor: Die Pegel stiegen am Montag weiter, mit den Höchstständen ist laut Prognosen am heutigen Dienstag zu rechnen. Feuerwehr, Polizei, Bundeswehr und Technisches Hilfswerk befanden sich weiter im Großeinsatz. Zahlreiche Straßen und Brücken waren gesperrt. Alleine in Dresden kämpften 1000 Rettungskräfte gegen das langsam steigende Wasser, bis Montagmittag wurden in der Landeshauptstadt 120 000 Sandsäcke aufgeschichtet.

Zein hat erst nach der Jahrhundertflut in Gohlis ein Haus gebaut. Die Lage findet er wunderschön. Seine Frau wuchs hier in der Nähe auf. Um die Risiken wusste er. „Wir beschweren uns nicht“, sagt er und lächelt. „Aber etwas mehr Geduld hätte die Elbe schon mit uns haben können.“ Dass Zein relativ entspannt wirkt, hat vielleicht auch damit zu tun, dass er eine Versicherung hat, die Elementarschäden mit abdeckt. Einige seiner Nachbarn haben da weniger Glück. In etlichen Fällen kündigten die Versicherungen nach der Jahrhundertflut betroffenen Hausbesitzern die Policen.

Manch einer der Betroffenen im Elbtal ist verbittert, viele resigniert. Viele ahnen, dass es dieses Mal kein Hilfsprogramm geben wird wie vor vier Jahren. „Die Politiker lassen uns im Stich“, befürchtet ein Mittfünziger in Bad Schandau. „Die lassen uns einfach absaufen.“ Er sei enttäuscht von Regierungschef Georg Milbradt. Enttäuscht ist er, weil der CDU-Politiker nach seinem Geschmack die Sorgen der Flutopfer nicht ernst genug genommen und das Hochwasser verharmlost hat.

Während der Jahrhundertflut 2002 hatte Milbradt schnell die Gummistiefel angezogen und war in die Krisenregion aufgebrochen. Er machte eine gute Figur. Nun zögerte er tagelang. „Wir haben keine Katastrophe wie im August 2002, die Schäden sind nicht vergleichbar“, sagte er am Wochenende. „Wir haben derzeit ein Winterhochwasser, das stärker als normal ist.“ Auch hatte er erklärt, ein Hilfsprogramm des Landes sei vorerst nicht geplant. Nach Ansicht der Opposition ließ er es damit an Mitgefühl fehlen. Der SPD-Politiker Karl Nolle wünschte sogar, das Hochwasser hätte Milbradts Wohnzimmer geflutet. „Dann würde er sich nicht derart unverantwortlich äußern, sondern Solidarität und Hilfe für die Betroffenen ankündigen.“ Kritik kam auch von der FDP, die von einer unangemessenen Reaktion und wenig Fingerspitzengefühl angesichts der Misere sprach. „Milbradt verhöhnt Opfer“, titelte eine Dresdner Boulevardzeitung daraufhin am Montag.

Kaum war die Zeitung am Kiosk, erhielten Journalisten am Montag Anrufe aus der Staatskanzlei, in denen von einer kurzfristig angesetzten Reise Milbradts in die betroffenen Gebiete die Rede war. Noch am frühen Morgen war unklar, welche Orte er aufsuchen will. Das entscheide man operativ, hieß es. Bislang war die Flut noch keine Chefsache. Milbradt ließ seine Minister machen. Am Vormittag sprach dann ein nervös wirkender Milbradt im Poloshirt dann in Dresden und Meißen mit Betroffenen und Einsatzkräften. Und sagte den Betroffenen doch noch Hilfe zu. „Es wird keiner alleine gelassen, der in existenzieller Not ist“, versicherte er. Am Mittag fuhr er mit seinem Tross weiter nach Gohlis bei Riesa. Der Ort steht teilweise bereits unter Wasser. Dort sollte noch im Laufe des Tages eine Straße an zwei Stellen durchstochen werden, damit das Wasser aus dem Ort mit seinen rund 600 Einwohnern abfließen kann.

Der Bundesgeschäftsführer der Umweltschutzorganisation BUND, Gerhard Timm, warf den Bundesländern vor, nach der Jahrhundertflut 2002 keine ausreichenden Schutzmaßnahmen ergriffen zu haben. Es habe wegen des Widerstands der Länder viel zu lange gedauert ein Hochwasserschutzgesetz zu verabschieden, sagte Timm auf N24.

„Das hat deswegen so lange gedauert, weil die Bundesländer massiven Widerstand geleistet haben, weil sie aus den Erfahrungen von 2002 dann eben doch nicht so richtig lernen wollten.“

Wie die Feuerwehr der österreichischen Nachrichtenagentur APA berichtete, brach in der Nacht zum Montag ein aufgeweichtee Damm im Ort Dürnkrut entlang der March. Auf einer Länge von etwa 80 Metern stömte das Wasser durch den gebrochenen Damm. Eine Reparatur war zunächst nicht möglich; Feuerwehr und rund 60 Soldaten versuchten jedoch zu verhindern, dass weiter Wasser in den Ort eindrang.

Der Dammbruch legte auch die Bahnstrecke nach Tschechien lahm. In Tschechien gilt seit Sonntagabend wegen der weiter steigenden Flusspegel in sieben der 14 Regionen der Notstand. Die Maßnahme bleibe bis zum 10. April in Kraft, sagte Ministerpräsident Jiri Paroubek nach einer Sondersitzung seiner Regierung in Prag. Er bezeichnete die Lage als „Ruhe vor dem Sturm“.

In den Bergen liege noch Schnee, dessen Schmelze die Flüsse weiter anschwellen lassen werde. Nach seinen Angaben wird das Hochwasser vermutlich noch rund zwei Wochen andauern.

Die Zahl der Hochwassertoten stieg auf sieben; ein sechsjähriger Junge und ein 57-jähriger Mann galten am Montag als vermisst. Im Norden Tschechiens bereiteten sich die Behörden angesichts des nach wie vor ansteigenden Elbepegels auf weitere Evakuierungen vor.

Im Osten war ein Teil des historischen Stadtkerns von Olmütz nach einem Deichbruch überschwemmt, doch schien sich die Lage dort am Montag zu beruhigen. Dagegen blieb die Sitution im Südosten des Landes nahe Breclav kritisch.

Lars Rischke[Dresden]

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