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Frei. George Zimmerman nach dem Urteilsspruch mit einer Anwältin. Fotos: Reuters (2)

© REUTERS

Panorama: Das Urteil, das Amerika spaltet

Der Freispruch im Fall Trayvon Martin empört Bürgerrechtler – die Anklage konnte nicht beweisen, dass es keine Notwehr war.

Ein Prozess spaltet Amerika – das Urteil dürfte die Lage nicht entspannen. George Zimmerman, der selbst ernannte Nachbarschaftswächter, der im Februar 2012 in Florida den Teenager Trayvon Martin erschossen hat, verließ in der Nacht zum Sonntag den Gerichtssaal als freier Mann. Eine sechsköpfige Jury wollte im Tathergang weder Mord noch Totschlag sehen, sondern befand, dass sich Zimmerman gegen Trayvon Martin verteidigt hatte. Das Urteil der Geschworenen, die mehr als sechzehn Stunden lang beraten hatten, löste umgehend heftige Reaktionen aus. Der schwarze Bürgerrechtler Al Sharpton sprach von einem „scheußlichen Urteil“ und Roslyn Brock, Präsidentin der Bürgerrechtsbewegung NAACP schrieb: „Die Eltern von Trayvon Martin haben keine Gerechtigkeit erfahren.“ Die Organisation hat bereits eine Zivilklage gegen Zimmerman angekündigt.

In mehreren Städten der USA kam es zu spontanen Demonstrationen. Viele Schwarze zeigten sich tief frustriert von dem Urteil der Geschworenen.

CNN-Justizanalyst Jeffrey Toobin wetterte: „Ich verstehe das Urteil, aber...“ – er spielt damit auf die heftig kritisierte Strategie der Staatsanwaltschaft an, Zimmerman die Tat als Mord vorzuwerfen. Zahlreiche Experten hatten diese Anklage schon früh als nicht beweisbar bezeichnet und gefordert, man hätte von vorneherein nur auf Totschlag klagen sollen. Dieser alternative Tatbestand, für den keine bösartige Absicht nachgewiesen werden muss, wurde erst kurz vor Prozessende aufgenommen – zu spät für die Geschworenen, die offenbar vergeblich ein Motiv bei Zimmerman suchten.

Unbestritten war während des gesamten Prozesses der Anlass der Tragödie. In einer regnerischen Februarnacht traf Nachbarschaftswächter Zimmerman auf einer Patrouille durch sein Wohngebiet auf den ihm unbekannten Trayvon Martin. In dem jungen Schwarzen im Kapuzenpulli vermutete er einen Kriminellen, „der nichts Gutes im Sinne“ hatte. Zimmerman verfolgte Martin entgegen der expliziten Anweisung der Polizei. Unklar ist, was danach passierte. Während die Anklage darstellte, dass Zimmerman seinem Opfer nachstellte und den jungen Mann absichtlich tötete, drehte die Verteidigung den Spieß um. Zimmerman habe Martin kurz aus den Augen verloren, sei aus dem Auto gestiegen und plötzlich von dem Teenager angegriffen worden. „Heute Nacht stirbst du“, soll Trayvon Martin geschrien haben, während er Zimmermans Kopf auf den Asphalt der Straße schlug. Zimmerman habe in Angst um sein Leben gehandelt und mit seiner Neun-Millimeter-Pistole abgedrückt.

Kernstück von Anklage und Verteidigung war der mitgeschnittene Notruf eines Nachbarn, auf dem im Hintergrund ein Schrei zu hören war. Während die Eltern von Trayvon Martin beteuerten, dass der Schrei von ihrem Sohn stamme, war sich die Mutter von George Zimmerman sicher, dass ihr Sohn zu hören war. Audio-Analysten hatten schon früh erklärt, dass man den Schrei trotz aufwendiger Analyse keinem der beiden mit Sicherheit hätte zuschreiben können.

Außer dem Schrei war es vor dem Prozess vor allem um den Charakter beider Beteiligter gegangen. Während George Zimmerman wegen eines früheren Vorfalls von häuslicher Gewalt ins Zwielicht geriet, bemühte sich die Verteidigung nach Kräften, auch das Opfer in ein schlechtes Licht zu stellen. Anhand von Facebook-Einträgen und einem Chat- Protokoll wollte man darlegen, dass Trayvon Martin leicht reizbar gewesen sei, zudem sei er kurz vor seinem Tod für einige Tage der Schule verwiesen worden, nachdem man Marihuanaspuren in seinem Rucksack gefunden hatte. Diese Punkte, da irrelevant für die Nacht in Sanford, wurden für die Beweisführung vor Gericht nicht zugelassen.

Die leitende Staatsanwältin Angela Corey hielt nach dem Urteil an der Strategie der Anklage fest. „Wir stehen zu dem Mordvorwurf“, sagte sie bei einer eilig anberaumten Pressekonferenz in der Nacht. „Wir waren der Überzeugung, diesen Tatbestand beweisen zu können.“ Man sei enttäuscht, sagten sowohl Corey als auch Ankläger Bernie De La Rionda, der vor Reportern sichtlich frustriert war. „Wir haben hier einen 17-Jährigen, der nichts im Schilde führte und der von einem Fremden verfolgt und als kriminell eingestuft wurde.“ Er habe fest mit einem Schuldspruch für Zimmerman gerechnet. Patriotische Sätze ließ er sich trotz der Enttäuschung nicht nehmen: „Wir leben im großartigsten Land der Welt, und wir haben das beste Justizsystem der Welt.“

So dürfte das auch Mark O'Mara sehen, der Verteidiger von George Zimmerman, der nach dem Urteil sichtlich triumphierend auflief. Auf die Frage nach seinem größten Moment während des Prozesses antwortete er: „Jedes Mal, wenn ich meinen Mund aufgemacht habe, war ein großer Moment.“ Außerdem sagte er, wenn sein Mandant ein Schwarzer gewesen wäre, wäre er nicht angeklagt worden. Er sei froh, dass die Jury erkannt habe, dass sich sein Mandant nur verteidigt habe. George Zimmerman selbst sei erleichtert, nach dem langen Prozess aber auch traumatisiert. Es werde wohl einige Zeit dauern, bis er wieder ein normales Leben führen könne, sagte O'Mara. Zimmerman sei auch um seine Sicherheit besorgt. In den letzten Wochen hatten Beobachter mehrfach gemutmaßt, dass der Todesschütze im Falle eines Freispruchs nie mehr sicher sein würde, sondern stets Angst vor Racheakten haben müsse.

Weder Zimmerman noch die Geschworenen traten nach dem Urteil vor die Presse. Zimmerman hatte die Urteilsverkündung still verfolgt, zeigte dann aber ein ganz kurzes Lächeln.

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