zum Hauptinhalt

Panorama: Dem Ärger auf der Spur

Sie waren schon auf den Schlachtfeldern von Marseille, Düsseldorf und Charleroi. Und nun sind sie wieder in Deutschland. Immer auf der Suche nach Hooligans von der Insel. Doch so langsam keimt ein Verdacht: Was passiert, wenn es bei großen Fußballturnieren keine Randale mehr gibt? Die englischen „Hooliewatcher“ bangen um ihren Job.

Als ich kürzlich ziemlich müde den Presseclub in Frankfurt verließ und den Römerberg überquerte, schockte mich die ohrenbetäubende Stille. Nach Englands Sieg über Paraguay waren 65 000 englische Fans in die Altstadt geströmt. Die Mischung aus so vielen Deutschen und betrunkenen Engländern sagte mir ganz klar, dass da Ärger in der Luft liegt. Ich dachte noch: Wer würde heute Nacht wohl gern Polizist sein?

Sechs Stunden später wartete ich an einem Taxistand und wandte mich mit einem ganz anderen Anliegen an einen Kollegen vom „Daily Mirror“. Ich fragte ihn, ob wir wohl bald arbeitslos sein würden. Wir beide sind nämlich Mitglieder der doch recht zweifelhaft benannten „Hooliewatch“-Truppe, einer Gruppe Reporter, die sich aus Journalisten aller großen englischen Medien zusammensetzt. Wir sollen den Krawallen beim Fußball nachspüren – unser berüchtigter kultureller Export, der auf die Europameisterschaften in Deutschland anno 1988 zurückgeht.

Für die meisten Journalisten, mich eingeschlossen, ist Hooliewatch eine zwiespältige Sache: Einerseits war es für mich die Eintrittskarte zur EM in Portugal und zu dieser Weltmeisterschaft, was mich – der deutschen Sprache mächtig und Deutschlandfan – natürlich besonders gefreut hat. Aber es bedeutet auch, Nacht für Nacht einer zwar kleinen, aber lästigen Minderheit von Landsleuten zuzuschauen, wie sie immer betrunkener, widerwärtiger und chauvinistischer wird – und manchmal brutaler.

In Portugal hat einer meiner Kollegen völlig geistesabwesend gegenüber einem „Fan“ in Albufeira – dem Schauplatz kleinerer Krawalle an der Algarve – erwähnt, er sei von der „Times“. „Ich werde dir die ganze Nacht folgen, und wenn ich die Chance kriege, schneide ich dir die Kehle durch“, kam es knurrend zurück.

Die tapferen – möglicherweise latent süchtigen – Schreiber sind die, die schon auf den Schlachtfeldern von Marseille (Frankreich 1998), Düsseldorf (EM 1988) und Charleroi (EM 2000) dabei waren, um nur ein paar zu nennen. Aber unter uns Hooliewatchern kommt die leise Ahnung auf, dass sich etwas verändert. Man trägt immer noch ein Notizbuch mit den Kontaktdaten der örtlichen Polizei und des Konsulats bei sich und bleibt bis zum Redaktionsschluss der letzten Ausgabe wach. Doch inzwischen gilt nicht nur für mich die Ansage des Herausgebers, über die vielen anderen Facetten dieses weltgrößten Sportevents zu schreiben – es sei denn, es gehe bei den Hooligans so richtig zur Sache.

Ein weitgehend störungsfreies Turnier in Japan und Südkorea war die Saat des Wandels. Aber Portugal, als rund 2500 bekannte Unruhestifter ihre Pässe abgeben und in England bleiben mussten, das war der wahre Wendepunkt. Welch Ironie nur, dass – zeitgleich zur karnevalesken Atmosphäre in Lissabon – in Orten wie Croydon (einem Londoner Vorort und Synonym für Saufgelage und Schlägereien) größere Krawalle ausbrachen.

Auf dem Weg zum Spiel am Samstag schien der Begriff „Hooliewatch“ schon leicht lächerlich geworden zu sein. Gemeinsam mit zwei anderen Reportern pirschte ich mich vorsichtig auf einem Waldweg an das einstige Waldstadion heran – eingedenk der Warnungen Einheimischer, dass wir hier in einen Hinterhalt geraten könnten. Doch auf wen stießen wir wohl als Erstes? Auf Briefträger Pat, die Komikfigur kleiner Kinder, in voller Uniform!

Eingeweihte britische Polizeikreise hatten mir im Vorfeld des Frankfurter Spiels gesteckt, das, was da passieren würde, sei wegweisend für den Rest des Turniers. Nun, das sollte sie dann im Hinblick auf Nürnberg und Köln optimistisch stimmen. Dorthin reist die Mannschaft von Sven-Göran Eriksson als Nächstes.

Aber es ist wie mit der Nationalmannschaft: Man sollte vorsichtig mit seiner eigenen Einschätzung sein. Der Hoffnung steht die Erwartung gegenüber – und niemand erwartet ernsthaft, dass das Turnier vollkommen friedlich verlaufen wird. Aber falls wir alle wieder samt unserer Wohnwagen über den Ärmelkanal heimkehren, ohne Geschichten von üblen Zwischenfällen mit Hooligans erzählen zu können – dann müsste ich wohl auf Sportreporter umschulen. Matthew Beard

Der Autor ist Reporter beim „Independent“ in London.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false