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Panorama: "Der Glaspalast": Kolonialware

Wer große realistische Literatur schreiben will, kann leicht in die Falle der Banalität tappen. Es mag dabei gut lesbarer Stoff herauskommen, gute Literatur noch lange nicht.

Wer große realistische Literatur schreiben will, kann leicht in die Falle der Banalität tappen. Es mag dabei gut lesbarer Stoff herauskommen, gute Literatur noch lange nicht. Amitav Ghoshs ehrgeiziger, aber dem Allerweltsgeschmack verhängnisvoll verpflichteter Roman "Der Glaspalast" ist ein Beispiel. Über 110 Jahre und von Indien über Birma bis Malaya spannt sich der Bogen: von 1885, als die Engländer Birma in eine Kolonie des Empire verwandelten und den König ins indische Exil schickten, bis 1996. Genug Zeit und Raum für eine generationenübergreifende Erzählung von Liebe und Tod, Aufstieg und Niedergang vor dem Hintergrund von birmanischer Kolonialgeschichte, indischer Nationalbewegung und Zweitem Weltkrieg.

Amitav Ghosh, in den USA lebender und englisch schreibender Abkömmling indisch-birmanischer Vorfahren, erzählt die Geschichte des bengalischen Waisenjungen Rajkumar, der als Zwölfjähriger in Birmas Hauptstadt Mandalay, unweit des königlichen "Glaspalastes", den britischen Einmarsch miterlebt, später im Teakholzhandel reich wird und in Indien eine birmanische Hofdame heiratet. Später steigt er in Malaya ins Kautschukgeschäft ein. 1941, als die Japaner Hinterindien angreifen, wittert er ein großes Geschäft. Ihn selbst verschlagen die Zeitläufte schließlich nach Bengalen, doch einer seiner beiden Söhne bleibt in Birma und führt als alter Mann in Rangun, unter den misstrauischen Augen der regierenden Militärs, ein "Foto-Atelier Glaspalast", in dem sich Oppositionelle treffen.

"Sie war", schwärmt Rajkumar von seiner birmanischen Braut, die auf den amerikanischen Namen "Dolly" hört, "wie der Palast selbst, ein Ding aus Glas, in dem man all das zu sehen vermochte, was man sich nur vorstellen konnte." Ghosh aber konnte sich in seinem Roman nicht immer genug vorstellen. Zum Beispiel für die zweiten 55 Jahre seines Familien-Epos, die er mehr pflichtgemäß abspult; nicht genug für manches Schicksal, das er nur abhakt und runterleiert: "Sie heiratete jung, mit siebzehn Jahren. Ihr Mann war Arzt, zehn Jahre älter. Sie waren sehr verliebt, und ein Jahr nach der Hochzeit kam ein Sohn. Aber als der Junge zwei Jahre alt war, schlug das Verhängnis zu: Sein Vater kam bei einem Zugunglück ums Leben. Bald danach..."

Aber schon früh wundert man sich, dass ein Autor, der immer wieder sein Können aufblitzen lässt, gelegentlich das Interesse an seinem Stoff verliert. Da hält etwa eine der Hauptpersonen, eine in der indischen Befreiungsbewegung engagierte Frau, ihre ersten Reden. Aber nicht diese werden mitgeteilt, sondern die technischen Details des Autos, mit dem die Frau abgeholt wird. Für einen weltgeschichtlich ambitionierten Roman eine befremdliche Trivialisierung. Sie passt jedoch zu den vielen banalen Dialogen, oberflächlichen Personenbeschreibungen - Rajkumars Frau ist "so schön wie eine Märchenprinzessin" - und abgedroschenen Einsichten: "Manchmal gibt es einen Unterschied zwischen dem, was man sagt, und dem, was man möchte." Das stimmt auch für Ghosh selbst.

Peter Köhler

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