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Panorama: Der gute Mensch von Shandong: Ein chinesischer Unternehmer will sich selbst verkaufen, um eine Universität für Behinderte zu retten

Würde es die chinesische Höflichkeit nicht verbieten, müsste man Ren Zhixin für "you bing" halten - für einen Spinner. Oder wie sonst sollte man einen erwachsenen Mann beschreiben, der sich auf seiner Visitenkarte als "Weltberühmte Person" vorstellt?

Würde es die chinesische Höflichkeit nicht verbieten, müsste man Ren Zhixin für "you bing" halten - für einen Spinner. Oder wie sonst sollte man einen erwachsenen Mann beschreiben, der sich auf seiner Visitenkarte als "Weltberühmte Person" vorstellt? Und der mit vollkommen ernster Mine erzählt, dass er sich verkaufen will. Ja sich, seinen Körper, seinen Geist, seine Arbeitskraft. Egal was, "Hauptsache jemand zahlt zwei Millionen US-Dollar". Denn die will Herr Ren in sein Projekt stecken: eine Universität für Behinderte. An der chinesischen Küste, in der Provinz Shandong, soll die seit einigen Monaten geschlossene Yongkang-Hochschule wieder eröffnet werden. Alles sei schon bereit, erzählt Herr Ren: die Schüler, die Lehrer, die Unterrichtspläne, nur das Geld fehle eben noch. Und deshalb, sagt er, werde er "sich nun verkaufen".

Es ist eine merkwürdige Geschichte, die Herr Ren, der auf dem Bett seines kleinen Zimmers im Pekinger Gästehauses sitzt und an seiner Zigarette zieht, zu erzählen beginnt. Vor nicht allzu langer Zeit war der heute 43-Jährige ein angesehener Geschäftsmann. In dem Büro seiner Bekleidungsfirma reihten sich Fotos von ihm mit berühmten und einflussreichen Chinesen. Er besaß Fabriken, Villen, Autos. Die örtlichen Zeitungen lobten ihn als "Modellunternehmer". Und weil er nicht nur beneidet, sondern auch geliebt werden wollte, fasste Herr Ren aus Shandong den Entschluss, etwas Gutes zu tun.

Seine Mission begann er Mitte der achtziger Jahre. Damals verfolgte er das Schicksal eines behinderten Jungen, des halbseitig gelähmten Sohnes eines Freundes. Fleißig hatte der junge Mann, dessen einer Arm gelähmt und dessen Gesicht durch eine Pigmentverschiebung entstellt war, für die zentrale Aufnahmeprüfung zur Universität gebüffelt. Doch obwohl er mit 700 Punkten einer der Besten des Landes war, wollte ihn keine Hochschule nehmen. Beim körperlichen Fitnesstest, der bis heute Behinderten in China ein Studium praktisch unmöglich macht, fiel er stets durch. "Immer wieder hieß es, dass er als Krüppel nicht studieren kann", erinnert sich Ren. Nach zwölf Absagen ertränkte sich der Junge in einem Fluss. Er war neunzehn.

Ren Zhixin war schockiert, und dieses Erlebnis sollte ihn nicht mehr loslassen. Selbstmorde unter Chinas Behinderten, erfuhr er, sind keine Seltenheit. Bis heute leben die meisten der 60 Millionen behinderten Chinesen als Außenseiter der Gesellschaft. Im ganzen Land gibt es gerade fünf höhere Berufsschulen für Behinderte. Das Glück, dort einen Platz zu ergattern, haben die Wenigsten. Meist enden Lahme und Rollstuhlfahrer als Bettler auf den Straßen oder werden von den Verwandten in der Wohnung verwahrt. "Auf die Universität zu gehen, kann man praktisch vergessen", kritisiert der Pekinger Taubstumme Xingguang, der als Zeichner für eine Messefirma arbeitet. Schon in der Grundschule sagten ihm die Lehrer, dass eine Schulausbildung für ihn "Geldverschwendung" sei. "Du musst später sowieso mit deinem Körper arbeiten."

Die Ewige-Gesundheits-Universität

Es dauerte ein paar Jahre, bis Herr Ren endlich genügend Geld beisammen hatte. Anfang der neunziger Jahre lief das Geschäft seiner Bekleidungsfirma dann so gut, dass er sich entschied, seiner Stadt Yantai eine Universität für Behinderte zu schenken. Doch zu seiner Überraschung gab es Widerstände. Schulen und Universitäten waren damals noch das Monopol des Staates. Wer könne denn überwachen, was die Schüler dort lernen, fragten die Beamten im Erziehungsministerium. Und überhaupt: Warum sollte man für die "Quezi" (Krüppel) und "Xiazi" (Blinden) extra eine Hochschule gründen?

Herr Ren gab nicht auf: Jahrelang ging er von einer Behörde zur anderen, gab Hunderttausende Yuan für Festgelage mit lokalen Beamten aus. Am Schluss war er acht Millionen Yuan ärmer, aber am Ziel: Mit Genehmigung der Provinzregierung von Shandong eröffnete er 1995 die Yongkang-Universität - die erste interdisziplinäre Hochschule für Behinderte in China. Die "Ewige-Gesundheits"-Universität schien ein Erfolg zu werden. Nach ein paar Wochen stapelten sich auf Rens Schreibtisch 1000 Aufnahmeanträge von Behinderten, 80 wurden im ersten Jahr genommen. Ren mietete Räume, stellte Lehrer ein, kaufte Büromöbel. Um seine Firma kümmerte er sich kaum noch.

In den folgenden vier Jahren wurden in Yongkang 2000 Schüler unterrichtet: Es gab Computerklassen für Blinde, eine Designschule für Taube und Lahme, an der auch der Pekinger Xingguang studierte, ein Institut für chinesische Medizin und Akupunktur. All das hatte es in China vorher nicht gegeben. Und so sonnten sich auch die lokalen Politiker im Erfolg der guten Sache: Oft kamen sie nach Yongkang, um sich an der Modell-Universität fotografieren zu lassen. Zhang Yufeng, einst die Sekretärin von Mao Tse-tung, unterrichtete für einen Nachmittag Kalligraphie. Das Parteiorgan "Volkszeitung" lobte in einem langen Bericht das Engagement des Herrn Ren: "Er gibt sein Bestes, um diesen Kindern zu helfen."

Eine Geschichte wie aus dem Märchenbuch, glaubte man damals. Bis heute kann niemand genau erklären, woran das Projekt letztlich scheiterte. War es nur das Geld? Nach einem Jahr gab es erste Gerüchte über Finanzprobleme der Schule. Zwar zahlte jeder Student 1500 Yuan, also umgrechnet 375 Mark Schulgeld. Den größten Teil der Kosten finanzierte Ren jedoch aus eigener Tasche. Irgendwann während der Asienkrise, als die vernachlässigten Geschäfte seiner Firma immer schlechter gingen, konnte er die Miete für das Schulgebäude nicht mehr bezahlen, das er von der lokalen Garnison der Volksbefreiungsarmee in Yantai gemietet hatte. Bitten um staatliche Zuschüsse wurden von den Behörden abgelehnt. Im Sommer 1998 kam es schließlich zum großen Krach: In Kampfanzügen stürmten Soldaten die Schule, verprügelten Lehrer und Studenten und setzten sie schließlich mit Sack und Pack auf die Straße. Für die Vermieter von der Armee war die Angelegenheit erledigt.

Nicht aber für Herrn Ren. Er nahm Schulden auf, um ein neues, behindertengerechtes Haus zu bauen. Er verklagte die Armee, und wieder begab er sich auf eine lange Reise durch die Amtsstuben und Behörden. "Laut Gesetz muss uns die Provinzregierung finanziell unterstützen", sagt er und zieht einen Artikel der "Volkszeitung" hervor, wonach nicht-kommerzielle Schulen Anspruch auf mietfreie Gebäude haben.

Herr Ren ist bankrott

Doch was nützt es? Die Mächtigen und Einflussreichen, die sich einst bereitwillig mit ihm fotografieren ließen, wimmeln ihn heute ab. Die chinesischen Medien dürfen über den Fall nicht mehr berichten. Ein Jahr konnte die Yongkang-Universität noch auf Pump überleben. Jetzt ist Herr Ren bankrott, seine Firma geschlossen. Vergangenen November wurden in Yongkang der Unterricht endgültig eingestellt und die letzten 200 Schüler nach Hause geschickt. "Mein Herz ist gebrochen", sagt Ren.

Was soll jemand wie er nun machen? Wieder zu den Behörden gehen, die ihm mittlerweile offen ins Gesicht lachen, weil er seinen privaten Reichtum und sein Ansehen für eine Hochschule verschwendet hat? Soll er versuchen, private Spenden für ein Projekt zu sammeln, das sich mit der mächtigen Volksbefreiungsarmee angelegt hat und vom Staat offensichtlich boykottiert wird? Vor einem Monat verschickte Ren an verschiedene Zeitungen das Angebot, seinen Körper zu verkaufen. Zwei Millionen Dollar braucht er, zur Not reicht auch eine. Es sei für ihn "der letzte Ausweg, die Universität noch zu retten". Ein bizarres Angebot, gibt er zu. "Aber ist es denn richtig, wenn wir Millionen für Umweltschutz und die Erhaltung seltener Tierarten ausgeben und uns nicht um behinderte Menschen kümmern?" Ein Utopist, ein Träumer? Vielleicht ist Herr Ren aus Shandong auch nur verrückt genug, ein guter Mensch sein zu wollen.

Harald Maass

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