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„Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu sein.“ Papst Franziskus geht weit über das hinaus, was die Kirche bisher sagte.

© Tiziana Fabi/dpa

Der Papst und die gleichgeschlechtliche Partnerschaft: Liebe zum Menschen statt Liebe zum Dogma

Franziskus bejaht das Recht auf eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft. Wer ist dieser Papst?

Es ist gut möglich, dass er gerade jetzt, in diesem Moment, wieder in seinem Arbeitszimmer betet. Das tut er oft, der Papst. Und er liest in der Bibel, nicht nur aus Frömmigkeit, auch aus dem Wunsch heraus, noch mehr von der Welt und ihrem Werden zu verstehen.

Ein gutes Buch, und manchmal, am Abend, nach getaner Arbeit, schläft Franziskus darüber ein. Das hat er selbst einmal erzählt, heiter, humorvoll, wie es seine Art ist, um zu sagen: Seht her, ein Mensch bin ich, und ihr seid es auch. Tut es mir nur nach, es tut euch nichts, außer Gutes.

„Jeden Morgen, wenn ich hier in mein Büro in der Bibliothek des Apostolischen Palastes komme, bete ich zur Muttergottes. Dann gehe ich zum Fenster und schaue hinab auf den Petersplatz und auf die Stadt. Und am Ende des Petersplatzes, da sehe ich Euch. Jeden Morgen grüße ich Euch so von Herzen und ich danke Euch.“

So denkt er, so redet er, der erste Papst seit Jahrhunderten, der nicht aus Europa kommt. Seine Familie, die schon, die kam einst, um dem Faschismus zu entfliehen, aus dem Piemont nahe Asti über Turin nach Argentinien. Dort ist er geboren, Jorge Maria Bergoglio, inzwischen 83 Jahre alt und Heiliger Vater für mehr als 1,2 Milliarden Katholiken in der Welt.

Und da steht er nun, der Papst, hinter dem Vorhang, schaut auf die Menschen, die ihrem Tagwerk verhaftet sind, blickt über den Platz und darüber hinaus. Buchstäblich, wie es scheint, denn vielleicht führt das zu den Momenten, die ihn leiten und hervortreten lassen mit Gedanken, die die Grundmauern des Vatikan erbeben lassen. Gedanken, die sich aus den Verliesen der Jahrhunderte befreien und aufschwingen in die Welt da draußen. Die Welt, wie sie wirklich ist, keine im Elfenbeinturm der Gelehrsamkeit erdachte.

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Arbeiter im Weinberg des Herrn

„Der Argentinier“ wird er genannt, aber wer weiß, wie ihn die Geschichte nennen wird, wenn er seine Mission als Arbeiter im Weinberg des Herrn beendet hat. Dieser Begriff aus dem guten Buch passt besser zu Franziskus als zu seinen Vorgängern.

Er sagt ungewöhnliche Dinge in gewöhnlichen Worten, wie Arthur Schopenhauer es forderte, der Philosoph, den der Papst auch gelesen hat. Man soll seine Jovialität nicht als Mangel an Bildung deuten wollen. Bergoglio ist Jesuit! Er hat das Denken gelernt. Hat Philosophie studiert.

Hat sich immer weiter gebildet, in Deutschland auch. Er spricht sogar Deutsch. Von Papst zu Papst, gewissermaßen. Und, damit die Italiener in der römischen Kurie ihn nur weiß Gott nicht unterschätzen, fließend Italienisch; sogar, wenn nötig, mit regionalem Akzent.

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Ja, er will in jeder Sprache, mit jedem Wort verstanden werden. Franziskus weiß, wovon er spricht. Dass er einmal in seiner Heimat für die theologische Bildung zuständig war, befähigt ihn zum Diskurs; dass er vor seiner Zeit als Geistlicher als Chemietechniker gearbeitet hat, lässt ihn vieles darüber hinaus verstehen. Und so redet er, wenn auch in seinen Enzykliken mehr, als dass er lehrt. Was der Papst über die ächzende Schöpfung und die soziale Ungerechtigkeit zu sagen weiß, füllt Bände. Und zeigt, dass er über den Petersplatz hinausschaut.

Ihn treibt keine strenge, strikte Theologie, so wie die Kirche unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Das war die hohe Zeit der Konservativen. Franziskus dagegen blickt, seit er Bischof wurde und dann Kardinal, mithin seit Jahrzehnten, aber wohl seit jeher, seit Beginn seiner Priesterschaft 1958, auf das Leben in all seinen Formen. Sein erkennbares Leitmotiv klingt womöglich schlicht, ist es aber nicht, weil es in diesem System Kirche, dieser ummauerten Institution Vatikan ein Wagnis ist: dass die Liebe zum Menschen stärker sein muss als die Liebe zum Dogma.

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Sage nur keiner, seine Theologie sei nicht stringent. Und sie ist auf seine Weise systematisch. Bergoglio geht vom Notleidenden aus, von Not in ihren vielen Schattierungen, und leitet davon seine Handlungen ab. So ruft er als Franziskus per Telefon Briefschreiber an, besucht Obdachlose, schickt ihnen Schlafsäcke, baut ihnen um den Petersplatz herum Duschen, umarmt minutenlang einen unheilbar Kranken.

Für die Armen

Als Erzbischof in Buenos Aires warb Bergoglio erfolgreich Priester für die Arbeit in den Armenvierteln an, erschien unangemeldet in Slums, begann Hilfsprojekte für Drogensüchtige und versuchte, sie vor Todesdrohungen von Drogendealern zu schützen. Und schon in der Wirtschaftskrise Argentiniens von 2001, bei der 40 Prozent der Bevölkerung verarmten, ging er gegen die freie Marktwirtschaft und Auswüchse der Globalisierung an, forderte einen sozialen Wiederaufbau.

So handelt er – und zugleich so, durchaus stringent am Leitmotiv entlang: 2001 besuchte er als einziger katholischer Amtsträger den ehemaligen Bischof Jerónimo José Podestá, als der im Sterben lag. Podesta war unter anderen wegen seiner Befürwortung der Priesterehe und Frauenordination von allen kirchlichen Ämtern suspendiert worden. Und nach dessen Tod war Bergoglio der Einzige, der Podestas Verdienste für die Kirche öffentlich würdigte.

Dann das Jahr 2010: Die argentinische Regierung beschloss die gesetzliche Erlaubnis der gleichgeschlechtlichen Ehe. Die lehnte Bergoglio vehement ab – aber bejahte eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft. Heute sagt er, „was wir benötigen, ist ein Gesetz, das eine zivile Partnerschaft ermöglicht“.

Der jesuitische Kardinal, der Papst wurde. Der Papst, der sich 2015 als Erster seines Amtes mit einem transsexuellen Mann traf und wenig später mit einer von einer Ordensschwester geleiteten Pilgergruppe homosexueller Katholiken.

Im Juni 2016 forderte eben dieser Franziskus seine Kirche auf, sich für die Ausgrenzung und Diskriminierung Homosexueller zu entschuldigen, im Oktober 2016 erklärte er, Transsexuelle dürften nicht ausgegrenzt werden. Denn für ihn zählt vor allem: Familie.

Liebe zu den Menschen, stärker als Dogmen, darin ist er doch ziemlich systematisch, dieser Papst. Für den soll bei den Konservativen ja eigentlich immer noch das Dogma der Unfehlbarkeit gelten.

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