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Panorama: Der Richter wollte Liebe kaufen

In Schweden ist die Bezahlung von Sex verboten – jetzt wurde ein hoher Richter als Freier erwischt

In den 70er Jahren diskutierten schwedische Politiker die Einführung staatlicher Bordelle – für die Sicherheit von Prostituierten und Freiern. Heute ist das anders. In Schweden ist, einmalig in der Welt, seit 1999 der Kauf von Sex verboten und wird mit bis zu sechs Monaten Gefängnis bestraft, während der Verkauf legal bleibt.

Dementsprechend hoch schlagen die Wogen, seit am Mittwoch ein Richter des schwedischen Höchsten Gerichtshofes „Högsta Domstolen“ suspendiert wurde. Er wird verdächtigt, Sex bei einem vorbestraften und drogenabhängigen Mann gekauft zu haben. Der Richter hatte zuvor selbst Verurteilungen nach den neuen Prostitutionsgesetzen durchgeführt und in einem jüngeren Fall die Bestrafung eines Zuhälters aus Ungarn deutlich herabgesetzt. „Das milde Urteil verwunderte uns zutiefst“, sagt Staatsanwalt Hans Ihrman. Der Verdacht sei „sehr, sehr beunruhigend“. Der Richter wurde zu einem Verhör der Stockholmer Polizei vorgeladen.

Eine Straftat des Richters könnte Folgen für das gesamte schwedische Rechtswesen haben. Falls der etwa 60-Jährige überführt wird, könnten Urteile, an denen er mitwirkte, aufgehoben werden. Kriminelle Handlungen eines Mitgliedes des Höchsten Gerichtshofes können dazu führen, dass bereits zu den Akten gelegte Fälle aller Rechtsbereiche wieder aufgerollt werden müssen.

Laut der Tageszeitung „Dagens Nyheter“ sind die Beweise gegen den Richter erdrückend. Selbst wenn der 20-jährige Mann, der nicht homosexuell sei, die Aussage zurücknehmen würde, müsste der Verdacht bestehen bleiben, heißt es aus gut informierten Quellen im Gericht – denn es gebe E-Mails und SMS-Nachrichten als Beweise. Der Richter soll für die sexuellen Dienste Anfang des Jahres zwischen 60 und 100 Euro bezahlt haben. Der Mann sei Neuling in der Prostitutionsszene und verkaufe sich aus Geldnot, schreibt „Dagens Nyheter“. Der bei seiner Mutter wohnende Mann soll ausgesagt haben, dass er selbst nie aus privaten Gründen am Sex mit dem Richter interessiert war und eine Freundin habe. Er habe aber weitere männliche Kunden aus höheren sozialen Kreisen der Stockholmer Gesellschaft gehabt. Auch diese Fälle werden von der Staatsanwaltschaft untersucht.

Schon 2003 hatte ein mildes Urteil des Höchsten Gerichtshofes gegen einen Mann, der im Besitz von umfangreichem kinderpornografischem Material war, Verwunderung bei Staatsanwaltschaft und Polizei hervorgerufen.

Das Sexkaufsverbot in Schweden ist seit seiner Einführung 1999 heftig umstritten. Pye Jakobson von der „Reichsorganisation für Sex- und Erotikarbeiter“, meint, dass es vor allem die Schwächsten trifft – drogenabhängige Mädchen. „Deren Lebenssituation ist oft zu instabil, um wie viele andere Frauen ins Internet auszuweichen“, sagt sie. Auf der anderen Seite sind nach Umfragen acht von zehn Schweden für das Verbot, gerade weil damit nur Freier, aber nicht die Prostituierten kriminalisiert werden.

Justizminister Thomas Bodström ist vor allem von der Symbolwirkung des Verbotes überzeugt: „Prostitution ist Ausbeutung von Menschen und das Sexkaufverbot setzt eine wichtige Markierung dafür, dass wir davon Abstand nehmen“, sagt er dem Tagesspiegel. Er ist stolz darauf, dass die Anzahl der Freier auf der Straße um bis zu 90 Prozent gesunken ist. Zudem hat sich das Verbot laut Reichskriminalpolizei als effektive Barriere gegen Zuhälterei und den Handel mit ausländischen Frauen bewährt, weil es in Schweden keinen legalen Prostitutionsmarkt mehr gibt.

„Unsere Nachbarländer haben viel größere Probleme mit Frauenhandel und ausländischen Zuhälterkartellen“, bestätigt Kriminalinspektor Anders Gripenlöf von der Stockholmer Prostitutionsbekämpfungseinheit. Deshalb findet das schwedische Modell auch im Ausland viele Sympathisanten. Frankreich, Norwegen und Finnland erwägen ein Verbot nach schwedischem Vorbild.

Die 36-jährige Jessica teilt die Begeisterung nicht. Sie geht seit 10 Jahren in Malmö auf den Strich. „Das Geschäft ist gefährlicher geworden. Mehr Konkurrenz und mehr Gewalt“, sagt sie. „Die netten Kunden haben Angst ertappt zu werden und sind ins Internet gewechselt. Übrig geblieben sind die Psychopathen, mit denen man richtig weit ins Dunkle rausfahren muss, damit die sich sicher vor der Polizei fühlen.“

André Anwar[Stockholm]

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