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Panorama: Der Trick: ein einfaches Homevideo

Die 19 Jahre alte Mia Rose hat es mit YouTube zum Soulstar geschafft – und hat jetzt einen Plattenvertrag

Das derzeit beliebteste Internetvideo dauert vier Minuten, hat eine einzige Einstellung und zeigt ein in Weiß gehaltenes Mädchenzimmer. Auf dem Bett sitzt eine dunkelhaarige Schöne mit Knopfaugen, eine Blume im Haar. Sie spielt ein Liebeslied auf einer Akustikgitarre und singt mit in die Ferne schweifendem Blick: „Take my Hand“. Diese vier Minuten haben gereicht. Das Mädchen, die 19-Jährige Mia Rose aus London, ist ein Star – ohne jemals einen Song verkauft zu haben. Stattdessen hat sie 19 weitere Musikclips aufgenommen. Homevideos, die sie mal auf einer Terrasse, dann in den Zimmern ihres Elternhauses zeigen. Sie macht jeweils eine kurze Ansage, dann folgt der Song und Schluss. Auf YouTube, der größten Website für Videos, führt sie damit die Bestenliste an: vier Millionen Zuschauer.

Dass Rose in den letzten drei Wochen keine Clips mehr produzierte, hat einen geschäftlichen Grund. Sie war in New York, unterzeichnete bei einer Plattenfirma, Atlantic Records, und nimmt jetzt ihr erstes Album auf. Endlich. Denn Mia Rose ist eine hinreißende Performerin, besser als jede andere, die sich auf Videoportalen präsentiert. Sie wirkt spontan, aber professionell. Wechsel von Dur zu Moll unterstreicht sie mit sanften Gesten und Schritten, und rückt ihr einmal der Kameramann viel zu nahe, lächelt sie ihn an, denn Filmfehler sind erlaubt. Vor allem aber können auch die schlecht klingenden, übersteuerten Aufnahmen nicht verdecken, dass eine Soulsängerin in ihr steckt. Auch als Komponistin ist sie talentiert. Ihr eigener Song, „Never on your own“ eine Gitarrenpopnummer, hat einen Refrain, der sofort hängen bleibt. Rose ist eine Ausnahmeerscheinung, denn gute Sängerinnen gibt es auf You Tube nur wenige. Die meisten User nutzen die Seite für Spaßaufnahmen. Gerades deshalb bietet YouTube eine Chance: Hier lassen sich die Profis einfacher von Dilettanten trennen.

Dabei gilt für Musiker noch immer das Netzwerk von MySpace als Maß aller Dinge. Doch während sich viele Nachwuchskünstler auf MySpace hinter einer schick designten Homepage mit Audiofiles, Clips, Texten und imposanten Freundeslisten verstecken, gibt‘s auf YouTube nur schlichte Präsentationen. Einen weißen Hintergrund zum eigenen Video. Mit Mia Rose erhielt erstmals jemand dank YouTube, nicht MySpace, einen Albumvertrag. Natürlich hat Rose auch viele Kritiker. Einer bezeichnet die Sängerin als „Fake“, als gäbe es sie nicht wirklich, sondern sei eine Inszenierung. So falsch wie einst das „Lonelygirl15“. Ein Mädchen, das monatelang die YouTube-Gemeinde mit ihren Geschichten faszinierte. Und in Wirklichkeit eine Schauspielerin war. „Wahrheit ist immer subjektiv“, sagt Mia Rose ernst. „Aber ich bin nicht das Produkt einer PR-Abteilung. Ich bin echt.“

Sassan Niasseri

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