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Eingesperrt im Tunnel – eine Horrorvision vieler Fahrgäste.

© IMAGO

Deutsche Bahn: Albtraum ICE

Dreieinhalb Stunden eingesperrt im Tunnel – ohne Frischluft und ohne Abkühlung durch eine Klimaanlage und alles bei schummrigem Licht. Nun untersucht die Bundespolizei den Vorfall.

Ein Zug saß mehr als drei Stunden im Tunnel fest. Die Horrorvorstellung wurde am Sonntag, wie berichtet, für rund 420 Fahrgäste in einem ICE der Bahn zur Wirklichkeit. Mehrere Fahrgäste wurden wegen Kreislaufproblemen ärztlich behandelt. Eine Frau musste ins Krankenhaus gebracht werden. Die Bundespolizei untersuche, ob ein Ermittlungsverfahren gegen die Bahn oder die Mitarbeiter im Zug eingeleitet werden müsse, sagte Cora Thiele von der Bundespolizei Baden-Württemberg am Montag. Auch das aufsichtsführende Eisenbahn-Bundesamt überprüft jetzt das Notfallmanagement der Bahn.

Der ICE aus Berlin war nach Thieles Angaben auf der Fahrt nach München gegen 13 Uhr in einem Tunnel bei Vaihingen in der Nähe von Stuttgart wegen eines Motorschadens liegen geblieben. Dadurch war auch die Klimaanlage im Zug ausgefallen. Batterien speisten die Notbeleuchtung; auch die Toiletten funktionierten weiter. Wieso es zu dem Defekt gekommen ist, steht noch nicht fest. Die Bahn kündigte an, den Fahrgästen den vollen Preis zu erstatten. Wer in ärztlicher Behandlung war, soll 500 Euro erhalten.

Zunächst versuchte man, den ICE wieder in Gang zu bringen. Nachdem dies gescheitert war, wollte die Bahn den ICE von einer Diesellokomotive abschleppen lassen. Doch auch dieser Versuch ging schief. Nach dem Ankuppeln und Anfahren wurde nach Angaben einer Bahnsprecherin eine Zwangsbremsung ausgelöst, die den Zug wieder stoppte. Auch hier sei die Ursache noch unklar.

Schließlich schickte die Bahn einen Ersatz-ICE in den Tunnel, der Tür an Tür neben dem Pannenzug hielt. Über Notbrücken, die in jedem ICE vorhanden sein sollen, konnten die Passagiere dann gegen 16 Uhr 30 in den Ersatzzug balancieren, der sie – ohne weitere Panne – nach Stuttgart brachte.

Der Pulverdinger Tunnel bei Vaihingen ist knapp zwei Kilometer lang. Zu Fuß durften die Fahrgäste nicht zum Ausgang laufen. Sie mussten im Zug ausharren, weil die Bahn ein Aussteigen auf freier Strecke nicht zulässt. Da zwischen dem Fahrzeugboden und dem Gleis ein Höhenunterschied von rund einem Meter besteht, wäre die Verletzungsgefahr beim Herausklettern zu groß, argumentiert die Bahn.

Um ein eigenmächtiges Aussteigen zu verhindern, bleiben bei einem liegen gebliebenen Zug auch die Türen geschlossen. Fällt dann, wie jetzt, auch noch die Klimaanlage aus, heizt sich der Zug auf. Welche Temperaturen am Sonntag erreicht worden waren, konnte die Bahn nicht sagen. Fenster lassen sich in den Fernzügen nicht mehr öffnen, weil die Wagen druckdicht sein müssen. Begegnen sich Züge bei hohem Tempo im Tunnel, könnten durch den dabei entstehenden Druck sonst Hörschäden entstehen.

Die Scheiben sind auch besonders stabil. Nach dem Unglück von Eschede, bei dem 1998 insgesamt 101 Menschen starben, hatte sogar die Feuerwehr bei ihren Rettungsversuchen Mühe, die Scheiben einzuschlagen. Auch als im April aus einem fahrenden ICE eine Tür abfiel und gegen einen entgegenkommenden ICE prallte, blieben die Scheiben ganz. Nach der Katastrophe von Eschede ließ die Bahn in den ICEs Fenster einbauen, deren Scheiben leichter einzuschlagen sind. Sie sind besonders gekennzeichnet.

Schon mehrfach waren Fahrgäste nach Pannen stundenlang in Zügen eingesperrt. Im Mai 2004 mussten sie in einem ICE in Berlin kurz vor Spandau vier Stunden warten, ehe der mit einem Bremsschaden liegen gebliebene Zug abgeschleppt werden konnte. Im November 2009 dauerte es rund drei Stunden, ehe ein Regionalexpress, besetzt mit rund tausend Fahrgästen, in Grunewald nach einem Oberleitungsschaden abgeschleppt werden konnte. Und im Juli dieses Jahres ließ die Bahn bei brütender Hitze einen ICE weiterfahren, obwohl die Klimaanlage komplett ausgefallen war. Nachdem der Zug aus Berlin endlich in Bielefeld gestoppt worden war, mussten mehrere Fahrgäste im Krankenhaus behandelt werden.

Für Stefan Buhl, den Chef des Fahrgastverbandes Pro Bahn in Baden-Württemberg sind die Katastrophenkonzepte der Bahn eine Katastrophe. „Wenn die Bahn schon überfordert ist, einen ICE abzuschleppen, dann ist gar nicht auszumalen, was im Katastrophenfall passiert“, sagte Buhl.

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