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Wie steht's um uns Deutsche in Europa? Helmut Schümann umrundet unser Land mit dem Rucksack auf dem Rücken.

© privat

Deutschland drumherum (13): Illusionslos im tschechischen Nyrsko

Unser Kolumnist Helmut Schümann, der gerade Tschechien bereist, verpasst das Fußballspiel, das er so gern schauen wollte, und wird auch noch einer Illusion beraubt. Ein schöner Tag war's trotzdem, findet er.

In ein paar Jahren wird man aus Tschechien nicht nur hören, dass es hier im Grenzgebiet nicht nur eine tiefverwurzelte Geschichte mit den Deutschen gibt, man wird dann auch von der tiefverwurzelten Geschichte der Tschechen mit den Vietnamesen sprechen. So viele „Asia-Shops“ und „Dragoon Markets“, wie entlang der tschechischen Grenze, gibt es wahrscheinlich nur noch in Asien.

Dies wird die Dokumentation meiner Reise von Marianske Lazne nach Nyrsko, also nach Zelena Lhota in die Pension Herada, was beides zu Nyrsko gehört, aber von Nyrsko so was von weit...

Die Reise begann in Rozvadov, wohin ich wanderte von Marianske Lazne, weil es dort, im alten pompösen Marienbad nicht viel zu sehen gab, außer, dass der Kurort inzwischen fest in der Hand russischer Touristen ist.

Rozvadov ist ein kleiner Grenzort, von denen es viele gibt und die sich alle sehr ähneln. Es gibt ein paar Wohnhäuser, zwei, drei Geschäfte für billige Zigaretten und billigen Alkohol, in Rozvadov als zusätzliche Attraktion ein Spielcasino mit dem angeblich größten Pokerraum Europas, eine Busstation, an der an diesem Spätnachmittag kein Bus mehr halten würde, zwei Pensionen.

Le Thi Thom und ihre Tochter Du Thu Trang traf ich, nachdem mir die Wirtin der ersten Pension mitgeteilt hatte, dass sie ausgebucht sei und ich feststellte, dass die zweite Pension gar keine Pension ist, sondern ein Haus, in dem Zimmer stundenweise zu mieten sind, oder auch weniger, solange, wie Mann eben braucht.

Le Thi Thom betreibt schräg gegenüber dieses Hauses einen kleinen Laden und stand vor der Tür und sagte mir, dass es ein Stück weiter die Straße runter noch eine weitere Pension gebe, in Katersina, sechs, sieben Kilometer weiter. Ich kaufte ihr ein Bier ab. Sie erzählte, dass sie schon 30 Jahre hier im Ort sei, gut sei das Leben hier, sie müsse hart arbeiten, aber verdiene auch ganz gut dabei. Du Thu Trang, die Tochter, wie ich erfuhr, kam dazu, erzählte, dass sie in Regensburg studiert habe, Deutsch, Tschechisch, Geschichte, jetzt lebt sie in Prag, natürlich Prag, wo sonst, die Eltern besuche sie nur manchmal am Wochenende. „Vietnam? Ja, ja, da war ich schon mal, aber geboren bin ich hier, ich kenne das hier besser. Natürlich, die Strip-Lokale, das ist nicht schön, aber es steht niemand auf der Straße.“

Doch. Ich. Zum Abschied schenken die beiden mit zwei Kugelschreiber, wohl, weil ich gesagt habe, wer ich bin, was ich mache, und eine große Flasche Fanta, was auf einen langen Weg nach Katersina hindeute. Es wurde ein langer Weg. Aber die Pension war eine, es gab sehr gutes Essen und die Pension auf der anderen Straßenseite hieß „Open Hearts, Lollipop“, und war rot illuminiert. Die Busstation am anderen Morgen war verwaist. Der nächste Bus nach Tachov fuhr um 16:00 Uhr. Tachov ist 18 Kilometer entfernt. Eigentlich wollte ich den Tag mit dem Zug nutzen, mich ein gutes Stück Österreich nähern. Die Beine erholen.

Ich lief los. Es regnete. Es war kühl an diesem Morgen. Nach etwa einer Stunde  hielt ein LKW an, der fuhr mich nach Tachov. Am Ticketschalter druckte mir die sehr freundliche Frau den Reiseplan aus. Von Tachov mit dem Schienbus nach Plana, von dort mit dem Regionalzug nach Plzen, bei uns besser bekannt als Pilsen und Heimstatt eines sehr guten Bieres, dort eine Stunde Aufenthalt, dann Regionalzug nach Nyrsko, Abfahrt 13:06 Uhr, ich werde rechtzeitig in der Pension Herada sein, um den letzten Spieltag der Bundesliga verfolgen zu können. Alles bestens, alles wunderbar.

Der Schienenbus war pünktlich. Der Regionalzug in Plana auch. Nur fuhr er nicht ab. Die Schaffnerin sagte, „Problem, nix Zug, Bus.“ Der Schienenersatzverkehr kam nach zwei Stunden. In Pilsen war der Anschlusszug nach Nyrsko weg. Ein weiterer Zug sollte um 15:02 Uhr fahren, aber nur bis Klatovy, von dort gibt es wieder einen Schienenbus nach Nyrsko. Ich buchte per Handy das Zimmer in der Pension Herada. Es stand geschrieben, dass sie zwei Kilometer vom Bahnhof entfernt ist.

Ein Zug nach Klatovy kam nicht. Ein Bus fuhr zu einem anderen Bahnhof in Pilsen. Alles bestens organisiert. Dort stand der Zug nach Klatovy. Er fuhr nicht ab. Erst gegen 16:00 Uhr, da war die Fortuna, wie ich später erfuhr, schon abgestiegen. In Klatovy stand der Schienenbus nach Nyrsko. In Nyrsko angekommen, ging ich zum Zentrum des kleinen Ortes.

Petra, die Wirtin eines kleinen Cafés erzählte, dass kaum noch Deutsche über die Grenze kommen würden, sie vermutet die Finanzkrise als Grund. Sie selber fährt auch lieber rüber nach Deutschland, im Winter, das Skigebiet dort sei einfach besser. Ansonsten raubte sie mir die Illusion, dass meine Pension zwei Kilometer entfernt sei. Neun waren es. Ein schöner Tag in Tschechien. 

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