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Wie steht's um uns Deutsche in Europa? Helmut Schümann umrundet unser Land mit dem Rucksack auf dem Rücken.

© privat

Deutschland drumherum (19): Braunau am Inn, die Stadt mit dem unerwünschten Erbe

In Österreich ist es dieser Tage wie in Deutschland: Es regnet ohne Unterlass. Doch unser Autor Helmut Schümann wandert tapfer weiter, gerade durch das österreichische Braunau. Und er erfährt, dass er hier gerade erst ein regionales Großereignis verpasst hat.

Eigentlich ist der Weg aus Braunau hinaus Richtung Salzburg oder zumindest bis Burghausen entlang der Inn ein sehr schöner Weg. Von meinem Standort Laab muss man zuerst in das Innenstädtchen, gut, Laab ist nicht der Hit, ist Industrievorstadt, aber dafür ist der Stadtplatz von Braunau wirklich sehr hübsch. Dann führt der Weg unter der Brücke zur Grenze nach Simbach auf den Deich des Inn. Und dann kann man sich nicht mehr verlaufen, immer geradeaus, immer geradeaus, immer geradeaus. Links Wald, aus dem ab und an ein Kuckuck ruft und auch Gezwitscher anderer Vögel zu hören ist, deren Sprache ich aber nicht kann, folglich auch nicht weiß, wer sie sind. Rechts der Strom, der an diesem Morgen allerdings nicht ruhig dahin fließt, sondern ziemlich aufgeregt ist, geradezu aufgewühlt.

Die zwei Angler, denen ich begegne, packen ihre Sachen zusammen, „da geht heute nichts, der Wind“, brummt einer. Möglicherweise reagieren Fische wie der Hund, der bei so einem Mistwetter nicht hinterm Ofen hervorzulocken ist, sie bleiben lieber unter Wasser, als sich raus zerren zu lassen. Mit anderen Worten: Auf den eigentlich schönen Weg prasselt es nieder, bläst mir der Wind entgegen, eigentlich könnte ich auch in den Inn springen, nasser als jetzt könnte ich dabei auch nicht werden.

Immer geradeaus, immer geradeaus, immer geradeaus, keine Einkehrmöglichkeit weit und breit, auch kein Mensch. Wer ist auch so dumm, bei so einem Wetter durch die Natur zu laufen? Ein Jogger, der plötzlich hinter mir läuft, kurz stehen bleibt und fragt, was ich mit schwerem Gepäck so vorhabe. Und der, nachdem ich es ihm erklärt habe, mich ein Stück begleitet, gehend selbstredend, nicht joggend, mein Rucksack hat mit all den Karten längst die 13 Kilo überschritten, ich werde wohl bald ein Paket schnüren mit den nicht mehr benötigtem Material.

Der Jogger ist aus Braunau ist in der Stadtverwaltung, Johann Außerhuber, Abteilungsleiter für Inneres und Soziales. Er fragt, ob ich am Geburtshaus gewesen sei, ich erzähle ihm von Michi, dem Volltrottel mit dem Ariernachweis für David Alaba, den Fußballspieler. Er sagt, dass es solche Idioten leider überall gebe, dass ich aber mit der Lokalität wirklich den Volltreffer gelandet hätte, um solche Typen zu treffen.

Und er erzählt, dass ich ein wenig zu spät gekommen sei, vor einigen Monaten ist Franziska Jägerstätter gestorben, hoch betagt, 101 Jahre alt. Sie war die Witwe von Franz Jägerstätter, der 2007 selig gesprochen wurde, wohl auch, weil er, ein tief in seinem Glauben verwurzelter und hoch aufrichtiger Mann, 1944 von den Nazis hingerichtet worden war.

Burghausen - und auf dem Berg thront die wahrscheinlich längste Burg der Welt.
Burghausen - und auf dem Berg thront die wahrscheinlich längste Burg der Welt.

© Helmut Schümann

Franz Jägerstätter hatte aus religiösen Gründen den Kriegsdienst für den aus dem Geburtshaus verweigert. Das Begräbnis der Witwe, sagt Außerhuber, war ein regionales Großereignis. Aber das sei auch ein Zeichen, dass Braunau nach vielen Jahren der Agonie inzwischen sehr offensiv mit dem „unerwünschten Erbe“ umgehe. Alljährlich finden in Braunau die Zeitgeschichtstage statt, auch kommt endlich Bewegung in die Diskussion, was man denn mit dem Geburtshaus heute machen solle. Derzeitiger Stand, erzählt Außerhuber ist der Antrag seiner Ehefrau, der Leiterin der Volkshochschule, eben diese Volkshochschule dort einzuquartieren.

Der Regen hat kaum nach gelassen, auch der Wind nicht, es geht sich aber trotzdem leichter und schneller mit guten Geschichten im Gepäck. Zu denen gehört auch die vom Umgang der Stadt mit Asylbewerbern, die in einem Kloster untergebracht sind, ohne irgendeinen Protest der Anwohner, „wäre ja auch noch schöner“, sagt Außerhuber.

Und es passt auch in die Geschichte einer Stadt, die ihr „unerwünschtes Erbe“ nie los werden wird, sie aber nicht mehr verdrängt oder verschämt verschweigt, dass sie zusammen mit Linz als einzigen Städten Österreichs einen festen Stellplatz eingerichtet haben für „fahrende Völker“, also Sinti und Roma, mit Wasseranschluss, Hygienorten und Strom.

Als Johann Außerhuber und ich uns wieder trennen, er joggend, ich wandernd, hat der Regen immer noch nicht nachgelassen, aber das macht nichts mehr. Und drei Stunden später entschädigt zusätzlich der Blick auf Burghausen von Ach an der Salzach aus.

Auch so ein Regentag kann etwas für sich haben. Am nächsten Morgen allerdings, es schüttet wieder wie aus Kübeln,  überquere ich die kleine alte Brücke über die Salzach mit dem kleinen Schild in der Mitte, mit dem die Staatsgrenze angezeigt wird, laufe zum Bahnhof. Den Watzmann lass ich Watzmann sein, Salzburg auch, fahre mit Regionalzügen nach Kufstein. Trocken, aber ohne Begleitung, man kann nicht immer alles haben.       

Helmut Schümann umrundet derzeit Deutschland – manchmal mit dem Bus, manchmal im Regionalzug, aber meistens zu Fuß.

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