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Wie steht's um uns Deutsche in Europa? Helmut Schümann umrundet unser Land mit dem Rucksack auf dem Rücken.

© privat

Deutschland drumherum (3): Scheiße ist auch in Polen relativ

Über die Landstraße, den bretternden LKW entgegen - und das mit einem defekten Navi: Helmut Schümann umrundet unser Land mit dem Rucksack auf dem Rücken und erzählt von seiner Reise. Am Freitag war sein Tag relativ kurwa - zu deutsch: Scheiße - bis zum kurwa-billigen Bier.

Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Der gestrige Tag, immerhin war es der Nationalfeiertag in Polen, war irgendwie kurwa, oder auch kurva, so genau mag ich das nicht unterscheiden. Es fing schon mal damit an, dass ein netter älterer Herr in Pniewo, der schon um halb Acht in der Früh seinen Vorgarten sprengte, mir den Weg nach Widuchowa zeigte. Er zeigte ihn mir in der mir fremden Sprache, aber mit eindeutigen Gesten. Er blieb, mit einer kurzen Ausnahme, der letzte Mensch, den ich für viele Stunden zu Gesicht bekam. Die Ausnahme war der Pförtner des Elektrizitätswerks, vor dem ich nach zweieinhalb Kilometer stand. „Zuruck! Zuruck!“, rief er, „Nowo Czarnowo, Steklno, Pacholeta“, zumindest habe ich mir seine Worte anschließend auf einer Straßenkarte so zurechtgelegt, dann macht er eine Armbewegung, die nach rechts deutete, „Pacholeta, Debogora, Widuchowa.“ Und noch einmal mit Nachdruck: „Zuruck! Zuruck!“ Kurwa eben.

Ich kenne nicht viele polnische Worte. Das eine hat mir ein in Polen geborener Freund heute am Telefon beigebracht: Serdetschie. Das heißt so viel wie allerherzlichsten Dank. Das andere ist kurwa. Das hat, wie es heißt, viele Bedeutungen, nehmen wir hier nur die anständigste: Scheiße. Immer wenn wir Deutschen Scheiße sagen, sagen die Polen kurwa.

Meine kurwa ging weiter, dass mich die Wegbeschreibung über Bahngleise führte, über stillgelegte Bahngleise und ein intaktes. Es kam kein Zug. Die nächste kurwa war, dass ich auf der Straßenkarte sah, dass mich der weiter beschriebene Weg wohl auch nach Widuchowa gebracht hätte. Aber auf Landstraßen wiesen die Hinweisschilder auf eine Entfernung von 36 Kilometern hin. Ich war aber schon sieben gelaufen. Kurwa, kurwa, kurwa.

Die Lösung war eine Kreuzung ein Stück hinter Krzypnica. Rechts geht es nach Marwice, da wollte ich hin, zwei Kilometer. Die kurwa-zwei Kilometer stellten sich als mindestens fünf heraus. In Marwice steht ein Schild, das Fahrradfahrer darauf hinweist, sie hätten noch 10,7 Kilometer bis Widochuwa zu radeln. Der Weg führt entlang der Oder. An der Oder standen hier und da Autos, die zu Leuten gehörten, die diesen schönen Frühsommertag am Wasser genießen wollten. Ich sah die Autos heim fahren, gleich neben mir, aber als ich an die Gabelungen kamen, an denen ich sie vielleicht hätte anhalten können, da waren sie immer schon fünfzig Meter weiter. Kurwa.

Bogdan, Wirt in einer Kneipe in Widuchowa, hat sich zwar den Arm verletzt. Seine Fröhlichkeit hat er jedoch nicht verloren - und lädt großzügigst zum Wodkatrinken ein.
Bogdan, Wirt in einer Kneipe in Widuchowa, hat sich zwar den Arm verletzt. Seine Fröhlichkeit hat er jedoch nicht verloren - und lädt großzügigst zum Wodkatrinken ein.

© Helmut Schümann

Ich kam nach Widuchowa. Das ist auf der Straßenkarte für Autofahrer ein etwas größerer Ort, unterstrichen zudem als attraktiver Ort. Gleich am Ortseingang stand rechts ein Schild, das ein Zimmer anbot, Bed & Breakfast. Bis zur Ortsmitte sind es noch einmal zwei Kilometer. Nachdem ich die zwei Kilometer gegangen war, sah ich, dass es keine Ortsmitte im herkömmlichen Sinne gibt in Widuchowa. Wohl Häuser, wohl auch einen Supermarkt, der aber am Feiertag zu hat, wohl auch eine Kneipe. Am Nachbartisch saßen zwei junge Männer. Worüber sie sprachen verstand ich nicht, nur jedes vierte Wort verstand ich: kurwa. Der Wirt brachte mir ein großes Bier, vier Zloty, also ein Euro, kurwa-billig also.

Auf meine Frage, ob es denn im Ort eine Übernachtungsmöglichkeit gebe, sagte der Wirt, dass es ein Zimmer gebe, Bed & Breakfast, am Ortseingang. Er zeigte in die Richtung, aus der ich gekommen war.

Ich humpelte zurück. Auf dem Weg zum Ortseingang steht ein Kiosk. Vor dem saß ein alter Mann. Er hatte schon mehrere, ach was, viele Biere Vorsprung und bedeutete mir, mich neben ihm auf eine Bank zu setzen. Wir tranken Pivo. Ich verstand nicht viel. Er zeigte auf die andere Seite der Oder. „Nemec, nema kurwa.“ Die Wirtin, eine junge Frau, kam aus dem Kiosk und schnauzte den Alten an, ich vermute mal, dass sie ihn ruhig haben wollte. Der Alte zuckte mit den Schultern, sagte „oh, oh, Hitler kurwa, Stalin kurwa. Kurwa, kurwa, kurwa.“

Im Bed&Breakfast von Agnieszka und Zbigniew Madej im polnischen Widuchowa gelegen kann man bereits für umgerechnet fünfzehn Euro übernachten.
Im Bed&Breakfast von Agnieszka und Zbigniew Madej im polnischen Widuchowa gelegen kann man bereits für umgerechnet fünfzehn Euro übernachten.

© Helmut Schümann

Kurwa war offensichtlich mein Wort des Tages. Der Alte wollte noch pivo mit mir trinken, ich ging um mein Zimmer zu buchen, „kurwa“, rief er mir hinterher.

Und? Was soll ich sagen: Das Zimmer bei Agnieszka und Zbigniew Madej, ein Traum, fünfzehn Euro, mit direktem Zugang zur Oder. Wäre es wärmer, könnte ich morgen früh kurz rein springen. Kurwa-gut eben. Scheiße ist auch in Polen relativ.

Nur, dass am Abend in der Kneipe Valdek und der Wirt Bogdan großzügigst meine Wodkatauglichkeit testen wollten und ich durchfiel, war dann wieder super-kurwa.   

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