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Wie steht's um uns Deutsche in Europa? Helmut Schümann umrundet unser Land mit dem Rucksack auf dem Rücken.

© privat

Deutschland drumherum (34): Der Frevel eines Wanderers

Mehr als 1100 gelaufene Kilometer hat Helmut Schümann auf seiner Deutschland-Umwanderung bereits hinter sich gebracht. In Folge 34 geht es nach ein ein paar Kilometern in die falsche Richtung doch noch nach Belgien.

Der Leser kurt-erik ist ein freundlicher Begleiter dieser Umwanderung von Anfang an. kurt-erik aber ist auch ein Ungläubiger. Er wolle ja glauben, könne aber nicht so recht, schreibt kurt-erik, dass ich bislang 1100 Kilometer gelaufen bin. Und nun, was soll ich machen? Meine Wanderstöcke sind keine hölzernen, so wie die früher, an denen sich wackere Wandersleute kleine Metallschildchen nagelten, um zu dokumentieren, wo sie schon überall waren. kurt-erik, inzwischen sind es sogar mehr als 1100 Kilometer, manch einer davon unfreiwillig. Solche wie die von Sonntag, als ich von Weiswampach in Luxemburg nach St. Vieth in Belgien laufen wollte. Von der Entfernung her ist das keine große Sache, etwa 20 Kilometer, aber Landstraße, viel befahrene Landstraße, viel befahren von Tanktouristen und anderen Schnäppchenjägern. Und Motorradfahrern, ganzen Motorradfahrerrudeln. Es läuft sich nicht so angenehm am linken Straßenrand, wenn einem die Gangs entgegen dröhnen.

Ich war bereit für den Autobus. Warum auch nicht? Regionale Busse und Züge waren Teil des Plans. Es war Sonntag. Sonntags fahren keine Busse, die meistens in solchen Regionen Schulbusse sind. Trampen, kurt-erik? Kann man vergessen in diesem Gebiet, weil die Autos, die aus Weiswampach zurück nach Belgien oder in die deutsche Eifel fahren, aber auch so etwas von vollgepackt sind mit Waren. Um es abzukürzen, nach fünf Kilometern entlang des schmalen Seitenstreifens, hatte auf der rechten Straßenseite ein Schnellimbiss geöffnet. Kundige Leute dort, „St. Vieth“, sagte der Frittenbräter, „einfach hinter dem Haus den Hügel hoch, da kommt dann der Ravel, und den immer geradeaus bis St. Vieth.“ Der Ravel ist die ehemalige Eisenbahntrasse, die erst kürzlich zum Fahrradweg umgebaut wurde und durchs Hohe Venn führt. Sehr schön, sehr ungefährlich, sehr angenehm zu gehen.

Nach zwei Stunden, es war meine dritte Wanderstunde an diesem Sonntag, ich müsste also kurz vor St. Vieth sein, traf ich auf eine Gruppe Radfahrer, die am Wegesrand pausierten. Wir unterhielten uns, wünschten uns einen weiterhin schönen Tag. Ich lief weiter. Als die Radfahrer mich überholten, rief einer, dass ich bis St. Vieth ja noch ein schönes Stück habe, „etwas über 20.“ Oberhalb von Burg-Reuland steht eine Wanderkarte, so eine, wie ich sie nicht habe, was wäre das für eine Schlepperei? Auf der Karte war zu sehen, dass der Ravel wohl auch nach St. Vieth führt, so wie die Richtung irgendwann sicher auch nach Berlin führt und auch nach Moskau. Nur der direkte Weg nach St. Vieth, der ist der Ravel nicht. Ich war zwei Stunden umsonst gelaufen, in die falsche Richtung.

Was das mit der Motivation macht, kurt-erik? Das kann ich sagen: Ich stieg vom Ravel runter nach Burg-Reuland, kehrte im ersten Gasthof ein, ließ mir von dort aus den Frevel eines Wanderers rufen, ein Taxi, Natalie kam, eine fröhliche deutschsprachige Belgierin, und schwupps war ich in St. Vieth. Jetzt noch eine kleine Rechenaufgabe, sie ist nicht schwer: Ich laufe im Schnitt am Tag etwa 25 Kilometer. Ich bin am 27. April in Swinemünde an der Ostsee gestartet. a) wie viele Kilometer machen das insgesamt, b) wie viele Ruhetage sind dabei eingebaut und c) welche Schuhgröße hat der Läufer?

Aber eigentlich wollte ich von den Ardennen erzählen. Durch die Ardennen in Luxemburg zu laufen ist furchtbar anstrengend, es geht auf und ab, und meistens auf. Aber es ist wunderschön. Wer mit Luxemburg nur Schwarzgeld und Finanztransaktionen jedweder Art in Verbindung bringt, und wer tut das nicht, wer das Großherzogtum Luxemburg allein als Ort des Bösen, des Kalten, des Geschäftes ansieht, der sollte mal durch die Ardennen laufen. Der sollte an der Our entlang gehen, wunderbar, und wenn man dann nach Vianden kommt, weiß man auch, dass sich Anstrengung lohnen kann. Zumindest um dieses Jahreszeit, wenn dieser kleine Ort nicht überlaufen ist von Bus, Auto, Motorrad, Fahrrad fahrenden Touristen.

Das hat Sarah erzählt, Sarah ist 21 Jahre alt und arbeitet im Hotel Victor Hugo. Jetzt schon ein Jahr. Sie ist Deutsche, lebt auch jenseits der Grenze, arbeitet aber in Luxemburg, weil, wie sie sagt, dass „man nach 15 Jahren Anspruch auf luxemburgische Rente hat, und die ist fast doppelt so hoch wie in Deutschland.“ Nun, kurt-erik, kann man das glauben, dass ein so junges Mädchen schon die Rente bedenkt? Aber ich muss weiter, von St. Vieth nach Losbachgraben.

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