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Panorama: Die Bergung kann beginnen

Das Feuer im Gotthard ist gelöscht, der Tunnel ausgekühlt und vom Süden her ein paar Meter begehbar. Ausgebrannte Autowracks, unter der eingestürzten Decke begraben, versperren aber bereits nach 150 Metern den Weg.

Das Feuer im Gotthard ist gelöscht, der Tunnel ausgekühlt und vom Süden her ein paar Meter begehbar. Ausgebrannte Autowracks, unter der eingestürzten Decke begraben, versperren aber bereits nach 150 Metern den Weg. Einsatzkräfte, die ein Stück weiter vorgedrungen sind, in die "zona rossa", die rote Zone, sprechen davon, dass nur "formlose Klumpen" zu sehen seien. Bis an den Unfallort, wo am Mittwoch zwei LKW kollidierten und ein Inferno anrichteten, sind die Tessiner Rettungsmänner aber noch nicht gedrungen. Die Hoffnung, Überlebende zu retten, haben sie längst aufgegeben. "Wir werden wohl keine Leichen finden, unter den Trümmern gibt es nur mikroskopisch kleine Reste von menschlichen Körpern", sagt Marco Guscio, Chef der Tessiner Verkehrspolizei. Der Tunnel ist auf der Südseite, rund um den Unfallort, nicht mehr stabil. Um die Bergungsleute zu schützen, muss die Decke erst mit Holzbalken abgestützt werden.

Es wird damit gerechnet, dass die Männer erst am Montag bis zur Unfallstelle vordringen können. Die Zahl der Toten kann die Polizei noch nicht benennen. Elf Leichen wurden bisher entdeckt, zehn Männer und eine Frau. Allesamt erstickt. Vier der Opfer stammen aus Deutschland, jeweils eines aus Italien, Frankreich, Luxemburg und der Schweiz. Einer der beiden LKW-Fahrer ist ebenfalls tot. Zwei weitere Körper konnten bisher nicht identifiziert werden. Über die Zahl der Vermissten liegen unterschiedliche, sich teilweise widersprechende Angaben vor. Die Polizei hat mehrere Hotlines für Angehörige eingerichtet, davon eine auf deutsch und eine auf italienisch.

Manche Menschen haben sich offenbar unter beiden Telefonnummern gemeldet und Vermisste gemeldet. Zur Zeit suchen die Rettungskräfte nach 128 Personen. Etwa 100 Fahrzeuge, darunter 15 Lkw, sollen sich zur Brandzeit im Tunnel befunden haben. Heute, Samstag, soll nach der Auswertung der Bilder aus den Überwachungskameras eine Liste mit den Nummernschildern der Autos publiziert werden, die im Tunnel stecken. Derweil sind in der Schweiz Stimmen lauter geworden, die eine Limitierung des Schwerlastverkehrs fordern. Schon aus logistischen Gründen werden die Lastwagen in den nächsten Wochen und Monaten nicht auf der direkten Nord-Süd-Linie durch den Gotthard fahren können. Der Gotthard-Pass kann im Winter wegen Schnees gesperrt sein.

Der San Bernardino-Tunnel mit seinen tückischen Steigungen und Gefällen kann aus Sicherheitsgründen nur begrenzt zur Ausweichsroute werden. "Wir müssen nun den Schwerverkehr verlagern, aber dürfen nicht neue Risiken schaffen", sagt Michael Gehrken, Sprecher des Bundesamts für Straßen in Bern. Er fordert einen "Philosophiewechsel in der EU". Auch im Ausland müsste die Bahninfrastruktur, wie in der Schweiz bereits in Gang, nachhaltig verbessert werden. Die Schweiz will Frankreich auch dazu bewegen, den Montblanc-Tunnel bald wieder zu öffnen, um die Routen durch die Schweiz zu entlasten. Kurzfristig sei es möglich, den Verkehr stärker durch den Simplon-Tunnel und den Großen St. Bernhard fließen zu lassen. Allerdings sind diese Strecken im Winter oftmals eingeschneit oder sogar lawinengefährdet. Die Sicherheitsstandards im Gotthard seien gut gewesen, sagt Gehrken, und hätten jetzt bereits das Niveau des neuen, renovierten Montblanc-Tunnels. Die Techniken für Sprinkleranlagen, die mehrfach von Kritikern gefordert wurden, seien noch nicht ausgereift und im Moment sogar kontraproduktiv, weil sie dem Tunnel Sauerstoff entziehen würden.

Die Menschen im Gotthard seien erstickt, nicht verbrannt, sagt Michael Gehrken. Im Bundesamt für Verkehr (BAV) ist man der Meinung, dass der Ball nun bei der EU liegt. Die Schweiz habe mit dem Bau der neuen Eisenbahntunnel durch Gotthard und Lötschberg, die 2007 respektive 2013 fertig sein sollen, bereits Pionierarbeit geleistet, meint BAV-Sprecher Davide Demicheli. "Die Schweiz allein kann die Verlagerung auf die Schiene nicht leisten. Wir müssen die Strecke von Rotterdam bis Genua betrachten."

Felix Ruhl

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