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Panorama: Die Chemie fließt mit

Muttermilch ist weniger belastet als früher – aber es kommen immer neue gefährliche Schadstoffe dazu

Berlin - Zuerst die gute Nachricht: Die Belastung der Muttermilch mit PCB (Poly-chlorierte Biphenyle) nimmt seit dem Verbot des Stoffes 1989 kontinuierlich ab. Die schlechte: Es finden sich immer mehr „neue“ Chemikalien darin, zum Beispiel Weichmacher wie DEHP (Di-ethyl-hexyl-phtalat) oder bromierte Flammschutzmittel. Das ist das Ergebnis einer Studie, die der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) nun vorgelegt hat. Insgesamt sind 350 unterschiedliche Chemikalien in der Muttermilch nachweisbar. Angelika Zahrnt, BUND-Vorsitzende, sagt: „Wir raten nicht vom Stillen ab, aber synthetische Chemikalien haben in der Muttermilch nichts zu suchen.“

Zahrnt fordert als Konsequenz aus diesem Befund eine rasche Verabschiedung der europäischen Chemikalienpolitik „Reach“, mit der erstmals verlangt wird, dass chemische Altstoffe, die noch nie auf ihre Gesundheitswirkung untersucht worden sind, getestet und registriert werden. Ein Vorhaben, an dem sich die EU wegen des Widerstands der Chemie-Industrie, vor allem aus Deutschland, schon seit Jahren die Zähne ausbeißt.

Trotz der Erfolge bei Altstoffen wie PCB gibt der BUND auch da keine Entwarnung. Denn PCB, das seit 2004 auch weltweit verboten ist, wird weiterhin in Muttermilchproben nachgewiesen. Ein Säugling nimmt während der Stillperiode immer noch zwei bis vier mal mehr PCB auf, als es der zurzeit gültige Grenzwert für die täglich tolerierbare Aufnahme zulässt. Und selbst Stoffe wie das Insektizid DDT (Dichlor-Diphenyl-Trichlorethan), das in Deutschland seit den 70er Jahren aus dem Verkehr gezogen worden ist, wird immer noch in zehn bis 50 Prozent der Proben nachgewiesen.

Noch beunruhigender sind die Werte beim Weichmacher DEHP. Der Stoff ist überall. Sie sollen Kunststoffe geschmeidiger machen und gasen oder waschen sich aus einer Vielzahl von Produkten aus, vom Fußboden über das Spielzeug bis zum Infusionsschlauch im Krankenhaus. In deutschen Muttermilchproben sind Rückstandsgehalte von 70 bis 160 Mikrogramm pro Kilogramm nachgewiesen worden. Daraus ergibt sich bei den Kindern eine Belastung, die etwa viermal so hoch liegt wie die noch akzeptablen Grenzwerte. Die Phtalate stehen im Verdacht, zur zunehmenden Unfruchtbarkeit von Männern beizutragen. Stark belastete Mütter haben deutlich mehr Jungen mit Störungen der Fortpflanzungsorgane zur Welt gebracht. Am stärksten belastet sind die späten Mütter, weil all diese Stoffe sich im Fettgewebe der Frauen jahrelang anreichern. Dieses Gewebe wird in der Milchbildungsphase aufgelöst – die gespeicherten Schadstoffe landen so beim gestillten Kind. Angelika Zahrnt fordert deshalb das „Vorsorgeprinzip“ in der Chemikalienpolitik, damit die Muttermilch in Zukunft noch gesünder wird.

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